Wirbel um den Muezzinruf in Deutschland

19.11.21 In Düren steht eine Moschee, in der seit 37 Jahren der Muezzin-Ruf über Lautsprecher vom Minarett ertönt – dreimal am Tag. Für die Nachbarn gehört er dazu, und die Mitglieder der Moscheegemeinde sprechen von einem guten Miteinander. Nafiz Temür im Gemeinschaftsraum der Fatih-Moschee in Düren. Er springt dort oft als Muezzin ein. Der offizielle Name der Moschee lautet DİTİB Fatih Camii, sie ist benannt nach Mehmed II. Der Adhān (Gebetsruf) erfolgt dreimal täglich öffentlich. Die öffentlichen Gebetsrufe wurden nach einer Klage ab 1985 erlaubt.

13.11.21 Bei der Stadt Köln ist ein erster Antrag zur Genehmigung von Muezzin-Rufen eingegangen. Gestellt habe ihn eine Ditib Moscheegemeinde aus dem rechtsrheinischen Teil der Stadt, teilte eine Sprecherin am Mittwoch mit. Er werde nun geprüft. Wann mit einem Ergebnis zu rechnen ist, war zunächst nicht abzusehen. Insgesamt hätten bislang zehn Gemeinden Interesse an einem öffentlichen Gebetsruf bekundet.

Am Freitag 12.11.21 wurde in Raunheim der Muezzinruf offiziell erlaubt. Die Stadt hat fast einstimmig beschlossen, ihn zu erlauben. In Raunheim haben rund 70% der Menschen einen Migrationshintergrund. Wie gross die Akzeptanz tatsächlich ist, wird sich beim nächsten Ramadan zeigen. Denn dann darf der Muezzin einen Monat lang rufen und zwar täglich bei Sonnenuntergang.

25.10.21 Update: Muezzin-Rufe in Köln: Die Stadt hat bisher 22.10.21 keine Anträge erhalten. Eine Sprecherin der Stadt sagte vergangenen Freitag, dass drei Moscheegemeinden Interesse bekundet hätten und Informationen eingeholt haben. Ein Antrag wurde jedoch nicht gestellt. „Der öffentliche Gebetsruf ist von der Religionsfreiheit gedeckt. Somit hätten Moscheen auch ohne die Ankündigung der Stadt öffentlich zum Gebet rufen können“, erklärt Bekir Altaş, Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG), auf Anfrage von IslamiQ. Doch die Moscheegemeinden reagierten zurückhaltend, um den sozialen Frieden nicht zu gefährden. Altaş kündigt an, dass die Kölner IGMG-Moscheegemeinden zunächst intensive Gespräche mit der Stadtgesellschaft führen werden, bevor sie entscheiden, ob sie den öffentlichen Gebetsruf beantragen möchten.

Die DITIB begrüßt das auf zwei Jahre befristete Modelprojekt „Öffentlicher Gebetsruf“ der Stadt Köln. „Das ist ein Signal für Anerkennung der Muslime als ein gleichwertiger und natürlicher Teil der multireligiösen deutschen Gesellschaft“, erklärt DITIB-Generalsekretär Abdurrahman Atasoy auf Anfrage von IslamiQ. Obwohl es sich beim Gebetsruf um ein Recht im Rahmen der Religionsfreiheit handle, sei es für die DITIB sehr wichtig, die Mitbürger „zu sensibilisieren und die offenen Fragen, die durch Desinformationen in den Medien verbreitet werden, abzubauen“, erklärt Atasoy. Aus diesem Grund entscheide jede Kölner DITIB-Gemeinde für sich, ob sie den Antrag für den Gebetsruf stellt.

Der Muezzin darf nur jeden Freitag zwischen 12 und 15 Uhr und für maximal fünf Minuten Gläubige zum Gebet einladen. Außerdem muss jede Moscheegemeinde einen Vertrag mit Auflagen (u.a. Höchstgrenze der Lautstärke) für die Umgebung abschließen und vorher Anwohner mit Flyern informieren sowie einen Ansprechpartner für Beschwerden und Fragen benennen. Eine Pedition fordert die Erlaubnis rückgängig zu machen.

15.10.21 Rund drei Viertel der Menschen in Deutschland lehnen laut einer Umfrage ab, dass der Muezzinruf genauso selbstverständlich zu hören sein sollte wie Kirchenglocken. 64 Prozent wollen dies sogar „auf keinen Fall“. 

Das zeigt eine am Donnerstag 14.10.21 veröffentlichte repräsentative Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag des „Bonner General-Anzeigers“. Nur 18 Prozent sprechen sich für den islamischen Gebetsruf aus.

In allen Altersgruppen überwiegt die Ablehnung, wobei sich die 18- bis 29-Jährigen mit einem Viertel am ehesten für einen regelmäßigen Muezzinruf aussprechen.

Während Katholiken zu 82 Prozent die Frage verneinen, sind es unter den Protestanten nur 71 Prozent. Damit zeigen sie sich offener als Konfessionslose, die zu 76 Prozent Ablehnung bekunden.

Die Stadt Köln hatte am Donnerstag 7.10.21 angekündigt, dass Muezzins künftig auf Antrag und unter Auflagen zum Freitagsgebet rufen dürfen. Ein entsprechendes Modellprojekt sei zunächst auf zwei Jahre befristet. Die Ankündigung hatte zu Kritik geführt, wobei der Stadt zunächst noch keine Anträge von muslimischen Gemeinden vorlagen.

Der arabische Gebetsruf nach sunnitischer Tradition lautet auf Deutsch: „Gott (Allah) ist am größten. Ich bezeuge, dass es keine Gottheit gibt außer Gott. Ich bezeuge, dass Muhammad der Gesandte Gottes ist. Kommt zum Gebet. Kommt zum Heil.“ Ein zweiter Gebetsruf findet in der Moschee direkt vor Beginn des Gebets statt. Wenn ein Muslim alleine betet, muss er keinen Gebetsruf vollziehen.

Die vier sunnitischen Rechtsschulen sind sich einig darüber, dass der Ruf zum Gebet eine verpflichtende Vorstufe des gemeinschaftlichen Gebetes ist.

In Deutschlands wird meist im Inneren der Moschee in Zimmerlautstärke zum Gebet gerufen. Nach einer erfolgreichen Klage im Jahr 1985 war die Fatih-Moschee im nordrhein-westfälischen Düren die erste in der Bundesrepublik, in der ein Muezzin dreimal täglich per Lautsprecher zum Gebet auffordern kann.

Mittlerweile ist der lautsprecherverstärkte Gebetsruf an mindestens 30 Moscheen bundesweit eingeführt. mehr Informationen

Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker verglich die Rufe bei der Projektvorstellung mit dem Kirchengeläut des Kölner Doms. Passt so ein Vergleich?

Ein wesentlicher Unterschied liegt darin, dass der Gebetsruf eine direkte Botschaft ist. Mit dem Muezzinruf wird das Glaubensbekenntnis verkündet. Wenn es dann heißt, „kommt her zum Gebet, kommt her zum Heil“, dann ist hier relativ eindeutig festgelegt, wo das Heil ist und damit auch, wo das Heil nicht ist. 

Die Glocken sind eher ein Symbol. Sie zeigen nur an, welche Zeit jetzt ist. Z.B. die Zeit für ein Gebet.  Es gibt unterschiedliche Glocken. Da gab es Ratsglocken, die den Stadtrat zusammengerufen haben oder Gerichtsglocken, die zum Beispiel bei der Hinrichtung von Delinquenten geläutet haben. Es gab auch die Wachtglocke zum Aufschließen und zum Abschließen der Stadttore oder Sturm– und Feuer-Glocken, wenn irgendeine Gefahr drohte.

Das Läuten lässt sich schon im 6. Jahrhundert nachweisen. Der Muezzinruf ist seit dem 7. Jahrhundert, in manchen Regionen Europas, wie zum Beispiel in Spanien seit dem 8. Jahrhundert bekannt, sehr viel später auch auf dem Balkan. mehr Informationen

Mit dem Muezzinruf will sich Köln als besonders weltoffen zeigen. Doch in der Zentralmoschee in Köln steht auch: „Verhilf uns zum Sieg über die Ungläubigen.“ Sure 2,286 Abdel-Hakim Ourghi hat den arabischen Schriftzug entdeckt, fotografiert und eine Debatte darüber ins Rollen gebracht.

„Warum wird dieser Ort mit einem Bittgebet verziert, das den Sieg über die Ungläubigen erfleht? Das ist eine Kampfansage an das friedliche Miteinander in Deutschland“, erklärt Ali Ertan Toprak gegenüber der „Welt“.

Vielleicht lässt sich ein solches Verhalten der Moscheebetreiber der Ditib, die schließlich der verlängerte Arm der Religionsbehörde des türkischen Präsidenten Erdogan ist, mit den Worten beschreiben, die Otto Jastrow, emeritierter Professor an der Universität Erlangen-Nürnberg 2018 in einem Beitrag für den Deutschlandfunk wählte.

„Die Diskriminierung anderer Religionen zieht sich wie ein roter Faden durch die islamische Geschichte. Da der Islam für seine Gläubigen die einzig wahre und letztgültige Religion ist, können andere Religionen per se nicht gleichberechtigt sein. Deshalb kennt der Islam keine religiöse Toleranz; sie ist ein Wunschbild des Westens.“  weiterlesen

Der vielfach ausgezeichnete Publizist Hamed Abdel-Samad sieht in der Zulassung des Muezzinrufs in Köln die verfassungswidrige Bevorzugung einer Minderheit und einen weiteren Schritt auf dem Weg zu mehr Einfluss des politischen Islam. »Jeder Muslim darf beten, fasten und nach Mekka pilgern, wie er das möchte. Aber warum sollen einige Menschen das Recht bekommen, per Lautsprecher ihre Stadtviertel zu beschallen?«, sagte Hamed Abdel-Samad der »Welt« am Freitag im Interview.
 
Das habe weder mit Vielfalt noch mit Glaubensfreiheit zu tun, so der Politikwissenschaftler. »Atheisten, Hindus und Veganer dürfen das nicht. Nur die Minderheit der Muslime darf jetzt an 35 Orten in Köln jeden Freitag fünf Minuten ihre Ideologie herausposaunen.« Ihn störe diese Bevorzugung, die aus seiner Sicht verfassungswidrig sei, da niemand aufgrund seiner Religion privilegiert werden dürfe.
 
Der Muezzinruf sei nicht vergleichbar mit dem Läuten der Kirchenglocken. »Die Glocken nerven manchmal auch, machen aber keine Propaganda wie der Muezzinruf. Über die Glocken wird keine Ideologie verkündet. Aber wenn der Muezzin den Schlachtruf Allahu Akbar ruft, also ›Allah ist größer als alle Religionen, alle Feinde, alle Menschen, und Mohammed ist sein Gesandter‹, ist das eine klare Ansage an den Rest der Gesellschaft«, so Abdel-Samad.
 
Die Zulassung des Muezzinrufs gerade »in einer Islamisten-Hochburg wie Köln, wo die Integration gescheitert ist, wo der türkische Präsident Erdogan die größte Fangemeinde der Welt hat, wo massenhafte sexuelle Übergriffe durch Zuwanderer stattfanden« sieht er jedoch als kontraproduktiv. Säkulare Muslime etwa hätten davon nichts.
Der Staat müsse neutral sein. »Seine Aufgabe ist zu garantieren, dass jeder glauben und beten darf, was er will, und zu garantieren, dass ihn niemand daran hindert. Er muss nicht befördern, dass einige Muslime ihre Vorstellungen überall in Institutionen und im öffentlichen Raum zur Schau stellen dürfen.«
 
Unterdessen hat die Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter das Kölner Modellprojekt zum Muezzinruf kritisiert. Der Gebetsruf beinhalte im Gegensatz zum ohne Worte auskommenden christlichen Glockengeläut die explizite Botschaft, dass Allah der Größte sei, sagte die Leiterin des Forschungszentrums Globaler Islam in Frankfurt am Main am Freitag im Deutschlandfunk. Sie zeigte sich überzeugt, dass die Mehrheit der Muslime in Deutschland den Muezzinruf gar nicht wolle. Vor allem Geflüchtete hätten damit sogar teils traumatische Erfahrungen gemacht.
 
Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker verteidigte das Modellprojekt in ihrer Stadt dagegen. Den Muezzinruf an Freitagen zu erlauben, stelle für sie ein Zeichen des Respekts dar, schrieb die parteilose Politikerin auf Twitter. Bislang hat allerdings noch keine Kölner Moschee einen entsprechenden Antrag gestellt. mehr Informationen
 
Die Stadt kündigte an, dass Moscheegemeinden auf Antrag und unter Auflagen ihre Gläubigen an Freitagen zum Gebet rufen können. Der Ruf dürfe maximal fünf Minuten lang erklingen. Die Lautstärke werde abhängig von der Lage der Moschee mit einer Höchstgrenze festgelegt. Die umliegende Nachbarschaft sei im Vorfeld zu informieren und eine Ansprechperson für Fragen zu benennen. In Deutschland gibt es bislang einige Dutzend Gemeinden, in denen der Muezzin zum Gebet rufen darf. Das stadtweite Kölner Projekt ist in dieser Form einzigartig.  mehr Informationen
 
Ahmad Mansour schreibt: Ich bin Muslim und will keine Muezzin-Rufe in Deutschland – weil ich weiß, wohin das führt. Ihnen geht es wenig um Gleichberechtigung oder Toleranz der Religionen und um deren Co-Existenz, sondern ausschließlich um mehr Sichtbarkeit, mehr Macht und mehr Unterwanderungsmöglichkeiten.

 

 
Ich hasse nicht, ich denke nach, stelle Fragen, betrachte die Angelegenheit aus einer Innensicht und kritisiere eine Aktion, weil ich fest davon überzeugt bin, es wird nicht zu mehr Offenheit und Toleranz führen, sondern im Gegenteil, zu mehr Spaltung.

Die Debatte um den Muezzin in Köln ist Sinnbild einer kranken Diskurskultur, wenn es um Themen wie den Islam geht. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die sich mit solchen Aktionen mehr Toleranz erhoffen: Ihnen geht es nur um sich und das Gefühl, besser zu handeln und moralischer zu sein. Eine Forderung nach mehr Toleranz und Vielfalt seitens Ditib trauen sie sich nicht zu formulieren.

Eigentlich sind solche Ereignisse ein wunder Punkt für jeden Europäer, weil sie ihn dazu zwingen, über seine eigene Identität nachzudenken und eine Entscheidung treffen zu müssen: Ist Europa christlich? Säkular? Welche Identität will Europa pflegen, hervorrufen oder sollten alle Religionen komplett gleich betrachtet und behandelt werden? Und wenn ja, wie sichtbar sollten Religionen sein, welches Verhältnis sollte die Politik dazu haben?
 
Diese bedeutenden Fragen will Europa gerne vermeiden, ignorieren und ist nicht bereit, diese bis zum Ende zu durchdenken. Denn in der Frage nach der Sichtbarkeit des Islams in Europa versteckt sich die Frage nach der Identität Europas. mehr Informationen
 
 

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