Die Wahlen in Ägypten führten zu einer unerwarteter Macht Salafisten. Wer sind sie?
Die salafistische Lehre geht darauf aus, das Gesetz und das Vorbild des Propheten Mohammed ganz ernst zu nehmen, wortwörtlich, wie es geschrieben steht, ohne Interpretation und Anpassungsversuche an die heutige Zeit. Dass der Prophet im siebten Jahrhundert nach Christus gelebt hat, ist für sie kein Grund, seine Lehre und sein Vorbild auch nur im geringsten mit der heutigen Zeit vereinbar zu machen. Im Gegenteil, die heutige Zeit soll sich dem Vorbild der Wüstenstädte Mekka und Medina, so wie sie damals waren, anpassen. Denn das Gesetz stammt direkt von Gott, und das Verhalten des Propheten war das eines in jeder Hinsicht gottgefälligen Menschen.
Der Begriff „Salaf“, der „Nachfolge“ bedeutet und die Nachfolge des Propheten und seiner ersten Genossen meint, trifft genau ihre Glaubensrichtung. Saudi Arabien ist die Hochburg dieser Lehre. Sie hat sich jedoch in den letzten Jahrzehnten über die ganze islamische Welt ausgedehnt. Sie verurteilt alle späteren Entwicklungen innerhalb des Islams, besonders die Mystik und die Verehrung von Heiligen Männern als „Neuerungen“, das heisst unerwünschte und vom wahren Glauben abweichende, „heidnische“ Züge, die den reinen Islam entstellen. Sie anerkennt jedoch, dass es „technische“ Neuerungen und Errungenschaften gebe, welche dem Islam nicht widersprächen. Diesen stehen die Salafisten offen.
Massstab dafür, was erlaubt und verboten sei, geben einzig die Gesetze der Scharia, des islamischen Gottesrechtes, das von den muslimischen Gelehrten der ersten drei Jahrhunderte nach dem Propheten auf Grund der koranischen Weisungen und des überlieferten Vorbilds des Propheten ausgearbeitet wurde. Die Auslegung dieser Gesetze und ihre Anwendung auf die heutige Zeit steht nach Ansicht der Salafisten den Regionsgelehrten zu, vorzüglich jenen ihrer eigenen Glaubensrichtung.
Der Erfolg der salafistischen Glaubensrichtung in der heutigen islamischen Welt hat zwei Wurzeln, zum ersten geniesst sie als die Religionsrichtung Saudi Arabiens die Unterstützung der saudischen Krone. Überall in der weiten islamischen Welt gibt es von der salafistischen Glaubensrichtung unterhaltene oder unterstützte Moscheen und Gelehrte, die diese Lehre verbreiten.
Die zweite Wurzel ist geistiger Natur. Die islamischen Gesellschaften haben sich seit rund zwei Jahrhunderten gezwungen gesehen, fortlaufend immer mehr Neuerungen im materiellen, technischen, kulturellen und fast allen anderen Bereichen des menschlichen Lebens zu übernehmen, die nicht aus ihrer eigenen Kultur herstammen, sondern vielmehr aus jener der „Nicht-Muslime“. Die Religion bildete so einen letzten Hort der eigenen Identität.
Unter diesen Umständen wird die Religion defensiv. Sie dient als der zentrale Bereich des Eigenen, das man unter dem Ansturm des Fremden festhalten will. Sie ist auch das „Stabile“ in der Flut der von aussen hereinströmenden Neuerungen. Sie stiftet Identität, Würde, Eigenständigkeit in einer Welt, die vom Fremden, der Macht, dem Erfolg, dem Geld der Anderen überflutet wird und allmählich darin zu ertrinken droht.
In dieser Rolle als letzter Halt muss die Religion fest gefügt sein, unverrückbar, etwas an das man sich halten kann, was geschrieben steht und was immer so war, wie es ist, und immer so bleiben wird.
Der Islam als „Nachfolge“ (Salaf) ist ein defensiver Islam; ein Islam, der als Festung dient gegen den beständig zunehmenden und immer noch anwachsenden Ansturm des Fremden.