Der Mord an einem Lehrer am Freitag 16.10.20 verändert das Verhältnis zum Islam. Neu ist, dass der Anschlag nicht von einer Terroristenorganisation ausgelöst wurde, sondern durch einen Post eines Dritten in den Sozialmedien. Viele sind der Trauerfeiern überdrüssig – und wollen konkrete Schutzmaßnahmen.
27.10.20 Der französische Innenminister Gerald Darmanen soll im Radiosender Europe-1 gesagt haben, dass eine Fatwa gegen den Lehrer ausgesprochen worden sei. Wenn Frankreichs Innenminister Recht hat, dann ist die Definition dessen, was Präsident Macrons dramatisch als „terroristischen Akt“ gewertet hat, nicht korrekt. Es war eine Hinrichtung. Eine Hinrichtung nach dem Urteil eines parallelen Rechtssystems.
Russland wehrt sich gegen die Ausweisung der Tschetschenen: Sie sind dort auf gewachsen, haben dort Bildung und Ausbildung bekommen, sprechen und schreiben auf Französisch. Und es ist Frankreich, das für ihre Erziehung verantwortlich ist, nicht irgendein anderes Land, wohin man sie jetzt deportieren will. Hat Frankreich diese Tschetschenen – die in Russland als Terroristen galten – um die Jahrtausendwende nicht als „Freiheitskämpfer“ bezeichnet? Hat Frankreich ihnen nicht fröhlich seine Gastfreundschaft angeboten? mehr Informationen
25.10.20 Frankreich zieht nach einer beleidigenden Aussage des türkischen Präsidenten den Botschafter aus Ankara ab. Recep Tayyip Erdogan hatte zuvor gesagt, Emmanuel Macron gehöre in psychologische Behandlung. Der Streit eskalierte, nachdem Macron dem radikalen Islamismus im Land den Kampf angesagt hatte. Auslöser war die Ermordung eines Geschichtslehrers vor rund einer Woche. «Wir lassen uns nicht auf unnütze Auseinandersetzungen ein und akzeptieren keine Beleidigungen», hiess es aus Frankreich. Man fordere den türkischen Präsidenten auf, den Kurs seiner gefährlichen Politik zu ändern. Erdogan hatte zuvor am Samstag auf einem Kongress seiner Partei AKP in Kayseri in Zentralanatolien gegen «besorgniserregende Anzeichen einer wachsenden Islamfeindlichkeit in Europa» gewettert. Als Beispiel nannte er unter anderem Macron, der nach der Enthauptung des Lehrers Samuel Paty vor gut einer Woche dem radikalen Islamismus in Frankreich den Kampf angesagt hatte. Macron wirbt für einen Islam, der «mit den Werten der Republik» vereinbar ist.
20.10.20 Frankreichs Innenminister Gerald Darmanin sagte in einem Radiointerview: Man sehe an solchen Vereinen, wie der „politische Islam sich mit dem radikalen Islam vereint, was schließlich zum Terrorismus führt. Der politische Islam muss mit derselben Schlagkraft bekämpft werden wie der Terrorismus“.
Solche klaren Worte hat man bisher aus Politikermund noch nicht gehört. Der Islam kennt die Trennung von Religion und Staat nicht. Indem der Innenminister de facto die Trennung von Politik und Religion fordert, erhebt er diese Forderung auch zum Maßstab für den Integrationswillen der muslimischen Bevölkerung. Die Religion müsse sich dem Gesetz der Republik unterordnen.
Es ist eine Forderung, die am Sonntag 18.10.20 auf vielen Plätzen und seit der grausamen Enthauptung eines Geschichtslehrers durch eine junge Islamistenhand in vielen Zeitungen und Rundfunkanstalten erhoben wird.
Präsident Emmanuel Macron nennt diese Zusammenhänge nicht, er spricht nur vom islamischen Separatismus. Aber der Druck auf ihn und die Regierung wächst. Dieser Mord ist eine Wende. Frankreich wird sich der Gefahr bewusst, die in der Radikalisierung so vieler Jugendlicher tickt – wie eine Zeitbombe, deren Uhr schon seit Jahren abläuft. Wenn Macron seinem Innenminister nicht folgt, kann es auch zur Wende für sein Mandat werden. mehr Informationen
Zehntausende sind am Sonntag 18.10.20 in Frankreich gegen die Ermordung eines Lehrers auf die Straße gegangen. Er hatte im Unterricht über Mohammed-Karikaturen diskutiert. Unklar ist, ob der offenbar beliebte Lehrer das Thema Meinungsfreiheit generell aufbrachte oder nur deshalb, weil in Paris gerade der Prozess gegen die Komplizen der Charlie-Attacke von 2015 läuft.
Am Mittwoch 21.10.20 war die Trauerfeier. Präsident Emmanuel Macron würdigte den Pädagogen vor dem aufgebahrten Sarg als Helden und als „Gesicht der Republik“, der hunderte von jungen Menschen zu verantwortungsvollen Bürgern geformt habe. „Die Islamisten haben ihn getötet, denn sie wollen unsere Zukunft. Doch mit ruhigen Helden wie ihm werden sie diese nie haben“, sagte Macron. Er lehrte den Respekt vor den anderen, die Größe des Denkens, der Zivilisation und auch die Toleranz. Auch den Koran habe er gelesen. Von seinen Maßnahmen gegen den Terror sprach Macron dagegen nicht.
Die Trauerstimmung hat freilich nicht alle Franzosen erfasst. Immer mehr kritische Stimmen kommen zu Gehör, die angesichts der zahlreichen Attentate der vergangenen Jahre einen Überdruss zum Ausdruck bringen. „Mit Blumen und Kerzen hat noch niemand einen Krieg gewonnen“. Macron versprach am Dienstag, dass sich „die Aktionen gegen den radikalen Islam nun intensivieren werden“.
Der Großimam Ahmad Al-Tayyeb von Kairo verurteilte in einer verlesenen Rede bei einem Treffen in Rom den islamistischen Terroranschlag von Paris. Seine Rede verlas in Namen des Großimams der Generalsekretär des „Hohen Komitees der menschlichen Brüderlichkeit“ Mohamed Abdelsalam Abdellatif. Als Großimam der Al-Azhar erkläre er „vor dem allmächtigen Gott, dass ich mich, sowie die Lehren des Islams und des Propheten von dieser abscheulichen kriminellen Tat distanziere und von allen, die solche abweichenden, falschen Gedanken annehmen“. Gleichzeitig verurteilte er es, wenn „unter dem Slogan der Meinungsfreiheit“ Religionen beleidigt und ihre Symbole missbraucht würden. Es sei eine Zeit für eine neue Globalisierung, die auf Geschwisterlichkeit beruhe.
Eine muslimische Schülerin behauptete in einem Video, der Lehrer habe die Schüler ihres Glaubens vor die Tür gesetzt. Bei einer Aussprache in der Schule ließ sich die muslimische Familie von einem radikalen Prediger namens Abdelhakim Sefrioui begleiten.
Sefrioui rief über soziale Medien dazu auf, sich in Conflans „vor der Schule für eine Aktion zu mobilisieren“. Der Attentäter, der 80 Kilometer von Conflans entfernt lebte, fasste dies offenbar auf seine Weise auf: Er reiste zur Schule, deren Adresse in den Videos genannt worden war, und erkundigte sich bei Schülern nach dem Lehrer. Er folgte ihm und schnitt ihm die Kehle durch und trennte den Kopf ab; dann stellte er das Video der Tat online. Dort blieb es nur Minuten stehen. Ebenso kurz dauerte noch das Leben des Angreifers: Eine Polizeipatrouille stellte und erschoss ihn, als er mit Messer und Softgun aggressiv gestikulierte.
Bei dem Täter handelt es sich um den 18-jährigen Abdoullak A., der in Moskau geboren und vor zwölf Jahren nach Frankreich gekommen war. Als Gefährder war er nicht registriert. Er postete ein Foto des Getöteten mit der Nachricht: „Von Abdoulakh, Allahs Diener, an Macron, den Chef der Ungläubigen: Ich habe einen eurer Höllenhunde exekutiert, der es gewagt hat, Mohammed zu erniedrigen.“
Vier Mitglieder seiner Familie wurden am Wochenende verhaftet, dazu sieben weitere Personen. Unter ihnen der Vater der betroffenen Schülerin sowie Sefrioui.
Als hätte Frankreich noch nicht genug zu schaffen mit steigenden Corona-Infektionszahlen und einer schweren Wirtschaftskrise, kehrt nun auch der Terror zurück. Und dazu eine alte Polemik, aus der Frankreich bis heute keinen Ausweg findet. mehr Informationen
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat zuvor am Freitag 6.10.20 dargelegt, wie sein Land mit dem Islam umgehen soll.
Er legte einen Fünf-Punkte-Plan mit vielen Details vor, aber in ihrem Kern war seine Botschaft simpel: Zuerst kommen Freiheit, Gleichheit und Demokratie – jene Werte, deren kontinentaleuropäische Wiege im Frankreich der Aufklärung steht. Religionsfreiheit endet dort, wo die Regeln des Glaubens mit den Prinzipien der Demokratie unvereinbar sind.
„Wir kommen nicht darum herum festzustellen, dass es einen radikalen Islam in Frankreich gibt.“ Manchmal braucht es nur wenige Worte, um eine große Veränderung einzuleiten. Der Islamismus in Frankreich ist sehr selbstbewusst, frech und arrogant geworden. Er bedroht dabei ganz Europa. Das, was gerade über Frankreich wütet, kann genauso gut auch Deutschland treffen. Frankreich hat den großen Fehler begangen, zu lange die Bildung von Parallelgesellschaften ignoriert zu haben. Die Saat ihrer Ignoranz ernten sie nun in einem entfesseltem Islamismus.
Um der Entwicklung von Radikalismus und Parallelgesellschaften entgegen zu wirken, will Frankreich nun anhand eines Fünf-Punkte-Plans vorgehen. Geplant ist, in Zukunft Moscheen und Vereine besser zu kontrollieren und die Finanzierung aus dem Ausland unter die Lupe zu nehmen, um die Organisationen gegebenenfalls leichter auflösen zu können. Vor allem stehen aber schulische Einrichtungen, Privat- und Koranschulen im Fokus, in denen die Kinder islamistische und undemokratische Werte vermittelt bekommen. Der Fernunterricht von Kindern, die zu Hause bleiben, soll etwa vom kommenden Sommer an strikt eingegrenzt werden. Außerdem will Frankreich selbst Imame ausbilden, so dass die Zahl derer aus der Türkei, Tunesien und Marokko geringer wird. Ebenso sollen alle Organisationen den Grundprinzipien der Demokratie zustimmen.
Frankreich arbeitet in einem Prozess um die „Charlie Hebdo“-Morde gerade die schlimmsten Auswüchse islamistischer Verblendung auf. Aber Macron machte auch klar, dass es ihm in erster Linie um die „gewaltlose“, alltägliche Islamisierung der Gesellschaft geht. Der liberale muslimische Intellektuelle Hamed Abdel-Samad schreibt in seinem Buch „Integration“ den simplen Satz: „Es kann keine Synthese aus Freiheit und Unfreiheit geben.“ Und es kann keine Kompromisse eines säkularen Rechtsstaates mit Strömungen geben, die die Demokratie durch die Scharia oder sonstige voraufklärerischen Ideen verwässern und schwächen.
Was Wegschauen anrichten kann, haben wir gerade in Frankreich gesehen. Dies sollte für Deutschland ein mahnendes Exempel sein, meint Ahmad Mansour auf cicero. „Ich bin Muslim und stelle die Meinungsfreiheit über meine Religion. Das ist der Deal. Und er ist nicht verhandelbar. Genau das hat Präsident Macron nun endlich und unmissverständlich deutlich gemacht.“
Yasser Louati, ein französischer muslimischer Aktivist, twitterte: „Die Unterdrückung von Muslimen war eine Bedrohung, jetzt ist es ein Versprechen. In einer einstündigen Rede begrub #Macron #Säkularismus, ermutigte die rechtsextremen, anti-muslimischen Linken und bedrohte das Leben muslimischer Studenten, indem er trotz einer globalen Pandemie drastische Grenzen für den Heimunterricht forderte.“
Zitate aus der Rede Macrons bei der Trauerfeier.
Heute Abend werde ich nicht den Kampf gegen den politischen, radikalen Islamismus zur Sprache bringen, der bis hin zum Terrorismus führt. Das habe ich bereits getan. Dem Bösen habe ich einen Namen gegeben.
Samuel Paty war einer jener Lehrer, die wir nicht vergessen, einer jener leidenschaftlichen Menschen, die in der Lage sind, Nächte damit zu verbringen, die Geschichte der Religionen zu studieren, um seine Schüler und ihre Überzeugungen besser zu verstehen.
Hier in Frankreich lieben wir das irdische und gleichzeitig universelle Projekt der Republik, ihre Ordnung und ihre Versprechen.
Warum wurde Samuel also getötet? Warum? Am Freitagabend glaubte ich zunächst an den willkürlichen Wahnsinn, an absurde Willkür: ein weiteres Opfer des grundlosen Terrorismus. Schließlich war er nicht das Hauptziel der Islamisten, er war nur ein Lehrer. Er war nicht der Feind der Religion, die sie benutzten, er hatte den Koran gelesen, er respektierte dessen Anhänger, unabhängig von ihren Überzeugungen, er interessierte sich für die muslimische Zivilisation.
Nein, im Gegenteil, Samuel Paty wurde genau wegen all dessen getötet. Weil er die Republik verkörperte, die jeden Tag in den Klassenzimmern wiedergeboren wird, die Freiheit, die in der Schule weitergegeben und deren Fortbestand dort sichergestellt wird. Samuel Paty wurde getötet, weil die Islamisten unsere Zukunft wollen – und weil sie wissen, dass sie diese mit stillen Helden wie ihm niemals erringen werden. Sie trennen die Gläubigen von den Ungläubigen.
Samuel Paty kannte nur Bürger. Sie, die Islamisten, nähren sich von Unwissenheit. Er glaubte an Wissen. Sie kultivieren den Hass auf andere. Er wollte immer das Gesicht der anderen sehen, den Reichtum der Andersartigkeit entdecken.
Samuel Paty wurde am Freitag zum Gesicht der Republik, zum Gesicht unseres Willens, die Terroristen zu zerschmettern, die Islamisten einzuengen, als eine Gemeinschaft freier Bürger in unserem Land zu leben, unsere Entschlossenheit zu zeigen, dass wir lernen und lehren werden, frei zu sein.
Wir werden die Karikaturen, die Zeichnungen nicht aufgeben.
Wir werden Literatur, Musik, alle Werke der Seele und des Geistes entdecken lassen. Wir werden auch künftig mit all unserer Kraft die Debatte lieben, die vernünftigen Argumente, die freundliche Überzeugungsarbeit. Wir werden die Wissenschaft und ihre Kontroversen lieben.