Was passiert nach dem Tod?

Juden und Christen im Gespräch über die Bibel

Dienstag, 15. März, im Radio Maria

Mit Dr. Richard Breslauer, Dozent an der Jüdisch – Christlichen Akademie in Basel, und Hanspeter Obrist, Erwachsenenbilder

Dieser Artikel enthält eine Zusammenfassung der Beiträge.

Zusammenfassung des Beitrags von Dr. Breslauer:

Weshalb suchen wir etwas nach dem Tod? Wie wir jetzt in der Ukraine erleben, herrscht viel Ungerech­tigkeit auf dieser Welt. Wir hoffen, dass es nach dem Tod eine Wiedergutmachung dafür gibt.

Im jüdischen Glauben gibt es zwei Hauptmeinungen zum Thema „Leben nach dem Tod“. Die eine ist der Glaube an eine messianische Zeit mit der Auferstehung der Toten in der zukünftigen Welt und einem Jüngsten Gericht. Dabei ist es eine offene Frage, wer auferstehen wird und was genau mit den Auferstandenen passiert. Werden sie wieder sterben? Ist diese Auferstehung eine Belohnung oder sogar eine Strafe?

Der nächste Gedanke ist die zukünftige Welt (Olam Haba). Es gibt zahlreiche Meinungen darüber, was dort geschehen wird. Wir sprechen über Paradies und Hölle. Was passiert an diesen zwei Orten? Werden die Leute in Häusern aus Gold und Edelsteinen wohnen und ein wunderbares Leben haben, in dem man ständig essen und trinken kann? Gibt es dort Flüsse, in denen Wein fließt? Zu dieser Vorstellung kommt die Frage, wer in diese zukünf­tige Welt eintreten darf? Betrifft es nur die Seele oder auch den Körper? Es gibt viele Fragen und verschiedene Meinungen.

Für wen ist die Hölle vorgesehen? Was passiert dort? Wie lange muss der Mensch dort bleiben? Ist es eine Art Fegefeuer, in dem man sich von den Sünden dieser Welt reinigt und wenn es gut geht, kommt man danach doch noch ins Paradies?

Wenn betrifft das? Gibt es Menschen, die so schlecht sind, dass sie das Paradies gar nicht erreichen sollen? Hier kennt die rabbinische Literatur verschiedene Möglichkeiten. Demnach wird es Menschen geben, die so schlecht sind, dass sie gar nicht auferstehen werden. Als Beispiel nimmt die rabbinische Literatur die Menschen von Sodom und Gomorra. Diese Menschen waren so schlecht, dass sie nie auferstehen werden.

Es gibt im jüdischen Glauben aber auch die Meinung, dass nach dem Tod gar nichts passiert. Der Mensch lebt und stirbt. Damit ist es zu Ende. Der Mensch hinterlässt eine Botschaft oder eine geistige Erbschaft, an die man sich erinnert. Aber mit dem Menschen oder der Seele passiert nichts. Diese Annahme basiert auf einem Vers im Buch Genesis (1. Mose 3,19), in dem gesagt wird, dass der Mensch nach seinem Tod wieder zu Erde werden wird.

Das Targum Jonathan interpretiert diesen Vers wie folgt: „Du kehrst dorthin zurück und dort willst du weilen im Staub, bis du wieder auferstehen wirst, am Tag des Jüngsten Gerichts.“ (Durch die Arbeit deiner Hände wirst du Nahrung essen, bis du dich wieder dem Staub zuwendest, aus dem du erschaffen wurdest: denn Staub bist du, und zum Staub wirst du zurückkehren; denn aus dem Staub sollst du auferstehen, um zu urteilen und abzurechnen für alles, was du getan hast, am Tag des großen Gerichts. aus: Targum Jonathan on Genesis 3Targum Jonathan, auch als Targum Yona­san/Yonatan bezeichnet, ist das offizielle östliche (babylonische) Targum (= die aramäische Übersetzung) der Nevi’im.)

Wir sehen, man kann den gleichen Vers dahingehend interpretieren, dass nach dem Tod nichts mehr sein wird oder dass eine Auferstehung folgt. Der grössere Teil der Juden glaubt an ein Leben nach dem Tod.

Warum wollen Menschen überhaupt an etwas nach dem Tod glauben? Neben den Aspekten der Ungerechtigkeit und der Wiedergutmachung gibt es noch andere Möglichkeiten. Ich glaube, dass die Wurzeln an ein Leben nach dem Tod in das alte Ägypten zurückreichen. Dort war der Glaube an ein Leben nach dem Tod sehr entwickelt. Die Menschen konnten sich nicht vorstellen, vor allem in Bezug auf die Könige, dass sie tatsächlich endgültig sterben. Später ging diese Denkweise auch in den volkstümlichen Glauben über. Wenn jemand stirbt, fällt uns aufgrund unserer Nähe zu dieser Person der Abschied sehr schwer und wir können uns nicht vorstellen, dass dieser Mensch nicht mehr existiert. So glaubt man gern, dass der geliebte Mensch auf irgendeine Art und Weise weiterlebt. Und wenn wir selbst sterben, dann werden wir uns als Familie und Freunde wieder vereinigen.

Input Hanspeter Obrist:

Die christliche Interpretation des Lebens nach dem Tod in der Tora

Wenn wir aus christlicher Sicht in die Tora, die fünf Bücher von Mose, schauen, dann fällt uns auf, dass Gott den Menschen als einziges Lebewesen mit einer göttlichen Seele geschaffen hat. So steht in 1.Mose 2,7: „Da formte Gott, der HERR, den Menschen, Staub vom Erdboden, und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.“ Der Mensch ist Mensch durch Gottes Lebensatem. Alle anderen Lebewesen haben nichts Ewiges in sich.

In 1.Mose 3,19 steht dann: „Im Schweiße deines Angesichts wirst du dein Brot essen, bis du zum Erdboden zurückkehrst; denn von ihm bist du genommen, Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück.“

Nachdem Kain seinen Bruder Abel erschlagen hatte, steht in 1.Mose 4,10: „Der HERR sprach: Was hast du getan? Das Blut deines Bruders erhebt seine Stimme und schreit zu mir vom Erdboden.“ Abel ist also nach seinem Tod nicht stumm. Etwas von ihm lebt weiter. Dass ein verstorbener Mensch nach seinem Tod noch in irgendeiner Form existiert, sehen wir auch in 1.Samuel 28,12 am Beispiel des Propheten Samuel, dessen Geist von einer Wahrsagerin heraufbeschworen wurde.

Nicht alle Menschen in der Bibel verließen diese Welt durch den Tod. In 1.Mose 5,24 lesen wir: Henoch ging mit Gott, dann war er nicht mehr da; denn Gott hatte ihn genommen.“ Hier steht, dass Henoch nicht starb, sondern direkt von Gott aufgenommen wurde. Genauso lesen wir es später auch bei Elija, der im Himmelswagen zum Himmel auffuhr. In 2.Könige 2,11 steht: „Während sie (Elija und Elischa) miteinander gingen und redeten, erschien ein feuriger Wagen mit feurigen Pferden und trennte beide voneinander. Elija fuhr im Wirbelsturm zum Himmel empor.“

Elija wurde nicht begraben, sondern fuhr zum Himmel auf. Auf Hebräisch heißt Himmel „Schammaim“. Das bedeutet „dort Wasser“. Der Himmel ist also der Ort, von dem alles Leben herkommt. Gott bezeichnet sich in Jeremia 2,13 als die Quelle des lebendigen Wassers.

Ein weiterer Hinweis auf die Auferstehung finden wir aus christlicher Perspektive bei der Opferung von Isaak. In Hebräer 11,19 steht: Er (Abraham) war überzeugt, dass Gott sogar die Macht hat, von den Toten zu erwecken; darum erhielt er Isaak auch zurück.“

Hier wird gesagt, dass Abraham überzeugt war, dass Gott die Macht hat, Tote zu erwecken. Abraham glaubte also, dass selbst der Tod Gott nicht daran hindert, seine Versprechen einzuhalten. In 1.Mose 22 steht, dass Abraham darauf vertraute, dass er und sein Sohn zurückkehren werden. In Vers 5 steht: „Da sagte Abraham zu seinen Jungknechten: Bleibt mit dem Esel hier! Ich aber und der Knabe, wir wollen dorthin gehen und uns niederwerfen; dann wollen WIR zu euch zurückkehren.“

Einen weiteren Hinweis finden wir dort, wo Gott Mose beim Feuerbusch begegnete. Als Jesus mit den Sadduzäern diskutierte, sagte er in Matthäus 22,31-32: „Habt ihr im Übrigen nicht gelesen, was Gott euch über die Auferstehung der Toten mit den Worten gesagt hat: 32 Ich bin der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs? Er ist nicht der Gott von Toten, sondern von Lebenden.“

Jesus bezieht sich da auf 2.Mose 3,6. Dort steht: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.“ Gott sagt nicht: „Ich war“, sondern: „Ich bin“. Der Aussage von Jesus zufolge bedeutet diese Aussage, dass Abraham, Isaak und Jakob heute bei Gott sind.

Die Aussagen über das Leben nach dem Tod bei den Propheten

Bei den Propheten finden wir folgende Aussagen:

In Daniel 12,2 steht: „Von denen, die im Land des Staubes schlafen, werden viele erwachen, die einen zum ewigen Leben, die anderen zur Schmach, zu ewigem Abscheu.“

Und in Hesekiel 37,12-14 heißt es: 12 So spricht GOTT, der Herr: Siehe, ich öffne eure Gräber und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf. Ich bringe euch zum Ackerboden Israels. 13 Und ihr werdet erkennen, dass ich der HERR bin, wenn ich eure Gräber öffne und euch, mein Volk, aus euren Gräbern heraufhole. 14 Ich gebe meinen Geist in euch, dann werdet ihr lebendig und ich versetze euch wieder auf euren Ackerboden. Dann werdet ihr erkennen, dass ich der HERR bin. Ich habe gesprochen und ich führe es aus – Spruch des HERRN.“

Vorstellungen über das Leben nach dem Tod im Umfeld von Jesus

Aufgrund der jüdischen Bibel sind verschiedene Erwartungen über ein Leben nach dem Tod entstanden. Im Umfeld von Jesus finden wir folgende Vorstellungen:

Josephus, ein jüdischer Historiker, schreibt (bell. II 163‐166): „Die Sadduzäer leugnen die Vorsehung gänzlich … Die Fortdauer der Seele aber und die Bestrafungen und Belohnungen in der Unterwelt lehnen sie ab.“

Und in den „Altertümern“ (ant. XVIII 1,4) heißt es: „Die Lehre der Sadduzäer lässt die Seele mit dem Körper zu Grunde gehen und erkennt keine anderen Vorschriften an als das Gesetz(=die fünf Bücher von Mose).

Diese Beschreibung finden wir auch in Apostelgeschichte 23,8. Dort steht: „Die Sadduzäer behaupten nämlich, es gebe weder Auferstehung noch Engel noch Geist, die Pharisäer dagegen bekennen sich zu alldem.“

Flavius Josephus, schreibt über die Pharisäer (De bello Judaico II 162ff.):alles schreiben sie der Vorsehung und Gott zu … Zwar sei jede Seele unsterblich; aber in einen anderen Leib gehen nur die der Guten über, die der Bösen aber werde durch ewige Schande bestraft.“ Nach der Auffassung der Pharisäer werden die guten Menschen im kommenden Königreich also wieder auf dieser Erde leben.

Über die Zeloten schreibt Josephus (ant. XVIII 1,6): Sie stimmten „mit den Pharisäern überein, dabei aber mit großer Zähigkeit an der Freiheit hängen und Gott allein als ihren Herrn und König anerkennen. … wenn sie nur keinen Menschen als Herrn anerkennen müssen.“ Die Zeloten wählten also eher den Tod, als einen Menschen als Herrn zu anerkennen.

Von den Essenern schreibt Josephus: „Kräftig lebt bei ihnen die Überzeugung, vergänglich seien zwar die Leiber und der Stoff sei nichts Bleibendes, die Seelen aber seien unsterblich und würden für immer bestehen“ (De bello Judaico II 119‐168).

Aussagen von Jesus zum Leben nach dem Tod

Als Lazarus gestorben war, sagte Jesus zu Marta in Johannes 11,23-26: „23 Dein Bruder wird auferstehen. 24 Marta sagte zu ihm: Ich weiß, dass er auferstehen wird bei der Auferstehung am Jüngsten Tag. 25 Jesus sagte zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, 26 und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben.“

Martha bringt die jüdische Auferstehungshoffnung zum Ausdruck. Jesus lehrt, dass alle, die an ihn glauben, weiter existieren.

In Lukas 16 zeigt Jesus anhand eines Beispiels auf, wie wir uns das vorzustellen haben. Er erzählt die Geschichte von einem anderen Lazarus und einem reichen Mann. Dort spricht er von zwei Orten, einem Ort des Mangels und einem Ort, an dem die Bedürfnisse gestillt werden. Was fehlt dem reichen Mann? Er möchte gern Wasser haben. Doch dort, wo er ist, ist das lebendige Wasser nicht. Wer Gott während seines Lebens los sein wollte, wird nach dem Tod an einem Ort sein, der Gott-los ist. Der Name „Lazarus“ kommt vom hebräischen Wort „El Ezer“. Das bedeutet „Gott ist meine Hilfe“. Lazarus ist also der Mensch, der auf Gott vertraut. Er ist nach seinem Tod an dem Ort, wo Abraham ist. Der Mensch, der Gottes Anweisungen mit den Füßen tritt, bleibt dagegen namenlos.

Jesus lehrt in Johannes 14,2: „Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich euch dann gesagt: Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten?“

Christliche Vorstellungen vom Leben nach dem Tod

Christen haben mitunter recht konkrete Vorstellungen davon, wie das Leben nach dem Tod aussieht. Die mittelalterlichen Bilddarstellungen haben das Ihre dazu beigetragen. Da es in der Bibel unterschiedliche Aussagen darüber gibt, gibt es auch unter Christen verschiedene Ansichten.

Die große Mehrheit der Christen glaubt, dass sie nach dem Tod direkt zu Jesus kommen werden. Andere glauben, dass es Zwischenräume gibt. Wieder andere sprechen von einem Ruhezustand, in dem man nichts wahrnimmt. Einige glauben auch, dass wir nach jüdischer Vorgabe auf dieser Erde wieder zum Leben erweckt werden.

Paulus beschreibt es in Römer 8,38-39 so: „38 Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch Gewalten, 39 weder Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“

Das Neue Testament lehrt, dass alle, die mit Jesus unterwegs sind, Kinder Gottes werden (Johannes 1,12). Als Kinder Gottes trennt sie nichts von Jesus, wie es Paulus beschrieben hat. Sie werden in eine jenseitige Welt eintreten: in ein himmlisches Jerusalem, in dem Jesus für sie Wohnungen vorbereitet hat (Johannes 14,2-3). An diesem Ort dient einer dem anderen (Johannes 13,14-15; 15,12). Die Gemeinschaft mit Gott steht im Zentrum (Offenbarung 21,3). Irdische Bedürfnisse werden nicht mehr vorhanden sein (Bsp. Sexualität: Matthäus 22,30). Eine neu geprägte Freude wird die Menschen erfüllen, von der sie hier noch wenig wissen und die sich auch nicht ins irdische Leben übertragen lässt. Paulus nennt dies „unbeschreibliche Worte“ (2.Korinther 12,4). Gott selbst wird die Tränen seiner Kinder abwischen (Offenbarung 21,4). Als ein Kind von Gott erwartet den Christen die Gemeinschaft mit dem himmlischen Vater.

Fragen von Hanspeter Obrist an Dr. Richard Breslauer

In meinen Gesprächen mit Juden habe ich vier Vorstellungen zum Leben nach dem Tod angetroffen.

Einige glauben nicht an ein Leben nach dem Tod.

Andere glauben, dass sie im kommenden Königreich wieder zum Leben auf dieser Erde erweckt werden und dass die Seele bis dann in der Erde ruht.

Andere glauben, die Seele wandert von einer Existenz zur anderen. Auferstehen wird dann die Summe aller Existenzen, die wie ein Puzzle oder Mosaik aus den einzelnen Existenzen zusammengesetzt ist.

Eine andere Vorstellung ist, dass sich die Seele von Existenz zu Existenz vervollständigen kann. Wenn die höchste Stufe erreicht wird, ruht die Seele im Paradies, welches sich in Mesopotamien 30 cm über der Erde befindet.

Wann ist der Glaube an eine Seelenwanderung im Judentum entstanden?

Das Konzept der Seelenwanderung ist eigentlich im Judentum fremd. Sie wird in der jüdischen Literatur nicht erwähnt. Im 9. Jahrhundert nimmt man das erste Mal Stellung zur Seelenwanderung. Raf Saadia Gaon (Saadia ben Joseph Gaon) erwähnt diesen Glauben in einer ablehnenden Form in der Schrift Emunoth ve-Deoth („Buch der Glaubensartikel und Dogmen“). Dann hat sich auch eine Reihe von Rabbinern im frühen Mittelalter dagegen ausgesprochen. Samson ben Raphael Hirsch (1808-1888) aus Frankfurt schreibt ebenfalls gegen das Konzept der Seelenwanderung. Woher kommt also dieser Gedanke und wie kam er in die Tradition hinein? Dies geschah mit der Entwicklung der Kabbala, der Mystik und der Chassidischen Bewegung. In Osteuropa entwickelte sich der Chassidismus, und dort nahm man die Idee einer Seelenwanderung auf. Die Seelenwanderung wird als Chance oder Strafe verstanden, wenn der Mensch seine Verpflichtungen im Leben nicht erfüllt hat. Manchmal soll die Seele sogar in Tiere wandern. Diese Denkweise ist bekannt, für mich aber etwas, das für das jüdische Denken fremd ist. Dass sich die Seele steigern kann, ist ein Teil dieses Glaubens an verschiedene Existenzen. Dabei stellt man sich vor, dass die Seele von Gott in einen Embryo gesandt wird und nach dem Leben ebenso rein wieder zu Gott zurückkehren kann. Deshalb muss man nach dem Tod verschiedene Rituale durchführen, damit die Seele sich steigert. Das macht man vor allem in der Erinnerung des Todestages mit den Segenssprüchen. Da dies jedoch nie aufhört, weiß ich nicht, ob die Seele rein zu Gott zurückkommt.

Eliyah Havemann sagt in seinem Buch: „Wie werde ich Jude?“: „Erst die zweite, himmlische oder g’ttliche Seele macht den Juden zum Juden“ (S.232). „Wenn sie aus der Mikve kommen, dann wir ihnen entweder eine zweite Seele geschenkt oder die erste wird jüdisch.“ (S.233). Auf Seite 17 schreibt er: „Nach orthodoxer Lesart ist jeder Mensch ein Jude, der eine jüdische Mutter hat.“ Gemeint ist eine Mutter, die ihren jüdischen Glauben praktiziert. Mir erklärte Mose aus dem Chabbad-Zentrum in Haifa, dass Gott am Anfang eine bestimmte Anzahl von jüdischen Seelen geschaffen hat. Ist dies ein allgemein­ vorherrschender Glaube, dass die jüdischen Seelen im Voraus geschaffen wurden und vom Thron Gottes kommen und wieder dorthin zurückgehen? Oder ist es so, dass eine neue Seele entsteht, sobald ein Kind entsteht?

Nach meiner Meinung gibt es keine jüdische oder nichtjüdische Seele. Der Mensch ist ein Mensch, ob er Jude ist oder nicht. Wir lesen in der Genesis, dass der Hauch Gottes in Adam gekommen ist. Für mich sind dies befremdende Theorien. Nach meiner Meinung ist die Mikwe dazu da, um den Menschen rein zu machen. Das hat mit der Seele nichts zu tun.

Noch eine Bemerkung zu den biblischen Quellen. Auch die jüdische Tradition sucht biblische Quellen zur Auferstehung der Toten. Das Interessante dabei ist, dass keine der von Hanspeter erwähnten Stellen als Beweis für die Auferstehung der Toten genommen wird. Stattdessen werden ca. 15 andere Stellen benutzt, bei denen man aus den grammatikalischen Zusammenhängen heraus über die Auferstehung diskutiert.

Als Christen sprechen wir von einer jenseitigen Welt nach dem Tode. Ist es richtig, dass Juden aufgrund verschiedener Stellen wie im Propheten Hesekiel an eine Auferstehung auf dieser Erde glauben?

Im Judentum gibt es keine eindeutige Antwort, ob das Olam Haba auf dieser Erde oder in einem Jenseits stattfinden wird. Auch ist nicht klar, was passiert, wenn jemand aufersteht. Wird er in alle Ewigkeit leben oder wird er Gott loben und dann wieder sterben? Es gibt zu diesem Thema zahlreiche Meinungen.

März 2022

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