In Deutschland schrumpften im Jahr 2018 die evangelischen Landeskirchen um 216’000 Menschen. Bei den Katholischen waren es 220’000 weniger.
So gibt es zurzeit 23 Millionen katholische und 21 Millionen protestantische Kirchenmitglieder in Deutschland. Insgesamt gehört damit also noch etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung zu einer der beiden grossen Kirchen.
In der Schweiz gehören 37 Prozent der Schweizer Wohnbevölkerung zur katholischen Kirche und nicht ganz 25 Prozent gehören zur Reformierten Kirche. mehr Informationen
Die evangelische Kirche schrumpft schneller als die römisch-katholische Kirche. Das geht aus den am 19. Juli veröffentlichten Statistiken der EKD (Hannover) und der (katholischen) Deutschen Bischofskonferenz (Bonn) hervor.
Bei den Protestanten ging die Mitgliederzahl 2018 im Vergleich zu 2017 um 395.000 auf 21,1 Millionen zurück. Das entspricht einem Minus von 1,84 Prozent. Die Katholiken verloren 2018 rund 309.000: Ein Minus von 1,3 Prozent im Vergleich zu 2017. Sie bleiben mit 23 Millionen Angehörigen die größte Konfession. Insgesamt sind 53,1 Prozent der 83 Millionen Einwohner in Deutschland Mitglied in einer der beiden großen Kirchen. 2005 waren es noch 62 Prozent.
Der EKD-Ratsvorsitzende, Landesbischof Heinrich-Bedford-Strohm (München), sagte, dass jeder Austritt schmerze: „Da Menschen heute, anders als früher, aus Freiheit entscheiden, ob sie der Kirche angehören wollen, gilt es für uns heute noch deutlicher zu machen, warum die christliche Botschaft eine so starke Lebensgrundlage ist.“
Die katholische Kirche verliere aufgrund stärkerer Zuwanderungsströme aus dem Ausland „geringfügig“ weniger Mitglieder als die evangelische, so die EKD in ihrer Mitteilung. mehr Informationen
In St.Gallen geht eine Kirche einen neuen Weg. Im Monat Mai wurde in der Kirche bewusst nicht gepredigt. Pfarrerin Kathrin Bolt über den Ausnahmemonat Mai, in dem in ihrer Kirchgemeinde in St.Gallen keine Predigten stattfinden. Seinen Ursprung hat dieser Versuch in Deutschland. Die Autorin Hanna Jacobs schrieb in einem Magazin einen Artikel mit dem Titel «Herr Pfarrer, lassen Sie ihre Predigt stecken». Dieser wurde auch in der Ostschweiz gelesen und führte dazu, dass es diesen Monat keine Predigt gibt. Bolt sieht im Versuch die Möglichkeit, später den Gottesdienst offener gestalten zu können. Betont aber, dass es nicht das Ziel sei, die Predigt generell abzuschaffen.
«Es kamen mehr Katholische, aber auch mehr jüngere Leute. Neugierige Menschen, die wissen wollen, was wir hier machen.» «Wir», das sind drei Pfarrerinnen und ein Pfarrer der Kirchgemeinde Straubenzell in St. Gallen.
«Ich organisierte einen Gottesdienst mit verschiedenen Stationen, bei denen die Leute entscheiden konnten, ob sie singen, schreiben oder meditieren wollten. Das fand ich sehr lebendig und der Gottesdienst hat viel Freude ausgelöst.»
Die Aktion polarisiert und das sei gut so. «Es gibt durchaus Leute, die sich darauf freuen, dass wir bald wieder predigen», so Kathrin Bolt. Und wie gesagt, es sei auch nicht das Ziel, diese abzuschaffen. Aber: «Wir müssen den ‹Frontalunterricht› in der Kirche überdenken und uns fragen, was die Leute beschäftigt.» Oft predigen Pfarrpersonen über Themen, die sie persönlich interessieren und beschäftigen. Diese Einstellung müsse man hinterfragen und den Blick auch auf das richten, was die Leute beschäftigt. Wie? «Indem man mit ihnen spricht und sie aktiv fragt.» So kann eine völlig neue Art von Gottesdienst entstehen. Eine, die bei Bedarf, aber nicht um jeden Preis, eine Predigt verlangt. mehr Informationen
Benediktinerpater Nikolaus Nonn, Leiter des Fachbereichs Liturgie des Bistums Hildesheim, blickt optimistisch nach vorn.
Nicht alles bleibt gleich. „Wir sind schon jetzt dabei, alte liturgische Formen, alte Gottesdienstformen neu zu entdecken wie das Tageszeitengebet, Pilgern, Meditationen. Das ist alles nicht neu, war aber zeitweise in Vergessenheit geraten und erlebt schon seit Jahren eine Renaissance. Insofern hat für mich die Zukunft der Liturgie bereits begonnen“, meint Nonn.
Trotzdem klingt er ein wenig resigniert, wenn das Thema Wortgottesdienstleiter angesprochen wird. „Eigentlich sind wir schon ganz gut für die Zukunft aufgestellt. Wir haben zahlreiche Laien zu Wortgottesdienstleitern ausgebildet. Aber etliche von ihnen kommen nicht zum Einsatz“, weiß der Liturgieexperte. Mit viel Motivation hätten sie sich auf ihr Amt vorbereitet, wurden vom Bischof beauftragt und sind in ihre Gemeinden zurückgekehrt, um dann zu erfahren, dass ihr Pfarrer sie nicht einsetzen will.
„Solange wir Priester haben, die alleiniger Chef im Ring sind, treten wir auf der Stelle, geht es nicht voran.“ Nonn hebt die Schultern: „Ich verstehe nicht, dass wir auf der einen Seite überlastete Priester haben, die unter ihrer Arbeit zusammenbrechen, auf der anderen Seite aber nicht bereit sind, gut ausgebildete Laien zum Zug kommen zu lassen.“ Doch lächelnd fügt er hinzu: „Die Zeit wird es schon richten. Wir Priester werden immer weniger und in naher Zukunft – deutlich vor 2030 – werden wir erleben, dass von Laien geleitete liturgische Feiern in vielen Kirchorten Normalität sind.“
Für den Benediktiner zeichnet es sich immer deutlicher ab, dass es in der Kirche Europas zukünftig Personalgemeinden geben wird. „Von den alten, traditionellen Pfarrgemeinden werden wir uns verabschieden müssen“, prophezeit Nonn. Denn immer mehr Menschen werden sich eine Gemeinde suchen, die ihnen gefällt, eine, in der sie sich zu Hause fühlen, wo sie angesprochen werden. „Wir müssen uns mit unseren liturgischen Angeboten an den Bedürfnissen der Menschen orientieren. Es gilt, sie da abzuholen, wo sie gerade sind – in ihrem Lebensalltag, ihrer jeweiligen Lebenssituation.
Ich kann mir gut vorstellen, dass wir in Zukunft auch Gottesdienste am Arbeitsplatz feiern. Es gibt schon heute Christen, die sich zu einem Gebetskreis vor oder während der Arbeit – zum Beispiel in der Frühstückspause – treffen. Auch das ist Gottesdienst. Auch das ist Liturgie“, sagt Nonn.
Von Eventgottesdiensten hält der Liturgieexperte Nonn nicht viel. „Wenn ein Event in den Vordergrund rückt und der eigentliche Kern des Gottesdienstes in den Hintergrund gerät, läuft was falsch.“
Wenn Pater Nikolaus auf die Gottesdienste seiner Kinder- und Jugendzeit zurückblickt, fällt ihm auf: „Die Haltung der Gottesdienstbesucher hat sich besonders in den letzten 20, 30 Jahren verändert. Sie ist selbstbewusster geworden. Die Menschen lassen sich nicht mehr alles gefallen, akzeptieren nicht, wenn die Messe luschig oder so husch, husch gefeiert wird. Sie haben einen gewissen Anspruch. Sie wollen ernst genommen werden und sie wollen angesprochen werden. Und wenn das nicht geschieht, suchen sie sich einen anderen Gottesdienstort oder bleiben ganz weg.“ mehr Informationen
Der katholische Religionssoziologe und Pastoraltheologe Paul M. Zulehner sagt: Die Kirche wandelt sich von einer Institution zu einer ‚Jesusbewegung‘ „vernetzter älterer und junger Leute, die dem Evangelium Platz machen in ihrem Leben.“ „Das wird vielfältige Formen annehmen, die wir heute noch nicht so genau kennen.“ „Die Zeit der Expertenkirche geht zu Ende.“ „Jetzt beginne die Zeit der inspirierten Laien, die selbst aktiv würden und sich auf neue Art vernetzten.“
Die FAZ stellt fest, dass “der Mitgliederrückgang […] zu einem Entscheidungschristentum führen wird, in dem man seine Mitgliedschaft nicht mehr aus familiärer Tradition […] aufrechterhält. Man zahlt seine Kirchensteuer deshalb, weil man das Christentum bejaht”. Mit anderen Worten: Die Kirche ist unaufhaltsam auf dem Weg, wieder das zu werden, was sie ursprünglich war: Eine Freiwilligenkirche von entschiedenen Jesusnachfolgern.
Die Kirche wird sich mehr an den Bedürfnissen der Teilnehmer orientieren müssen. Einige werden gerne einer „Notfallkirche“ angehören. Wie beim ADAC / TCS bezahlen sie gerne einen Beitrag, damit im Notfall eine Ansprechperson da ist. Doch ein wöchentlicher Impuls möchten sie auf keinen Fall.
Andere werden sich eine Kirche wünschen, in der man sich aktiv mitbeteiligten kann. So hat jede „Form“ ihre Chancen und Grenzen. mehr Informationen