Leseprobe Kapitel 15 vom Buch: Zu Fuß als Ehepaar nach Jerusalem
Durchzuhalten gilt es auch jetzt, da uns die warmen Temperaturen der letzten Septembertage unliebsame „Weggefährten“ beschert haben. Hanspeters Verbrauch an Blasenpflastern ist groß. „Vielleicht hilft es, wenn wir mehrmals täglich die Socken wechseln“, überlegt er. Auch Annemarie ist von dem Übel betroffen. „So schlimm ist es gar nicht“, bemerkt sie. „Unsere Freunde haben uns echt gute Pflaster geschenkt!“ Zwischen den Zehen bewährt sich später ein Pflasterspray. Beide Hilfsmittel haften sogar unter der Dusche sehr gut. Genügend Duschgelegenheiten finden wir im Moment vor allem bei Übernachtungen in oder neben Sporthallen. Das ist bei diesen sommerlichen Temperaturen ein riesiges Geschenk. Die Idee, auf Sportplätzen anzufragen, kam uns vor einigen Jahren zu Beginn unserer Donau-Radtour. „Alles ausgebucht, tut uns leid“, hieß es damals auf einem Zeltplatz. Es war das erste Mal, dass wir trotz unseres kleinen Zeltes abgewiesen wurden. Als wir dann einen Fußballplatz mit sanitären Anlagen entdeckten, kam uns in unserer Not die zündende Idee. Wir schätzen auf unserer jetzigen Reise aber nicht nur Sportplätze, sondern auch günstige Hotels, privat vermietete Fremdenzimmer oder Gästehäuser.
Inzwischen liegt Padua hinter uns. Wir wandern am Kanal „Riviera del Brenta“ entlang und staunen über die vielen schmucken Villen. „Früher haben hier die wohlhabenden Leute aus Venedig den Sommer verbracht“, klärt man uns auf. „Warum sie wohl in unmittelbarer Nähe ihres Wohnortes einen Sommersitz gebaut haben?“, überlegt Annemarie. Erst in Venedig begreifen wir dieses Phänomen. Die Stadt besteht ausschließlich aus schmalen Straßen und Wasserwegen. Es gibt keine Wiesen. Kinder haben dort nur den harten Steinboden zum Spielen und Herumtollen. Ja, manchmal können wir die Denk- und Handlungsweise anderer erst verstehen, wenn wir uns in ihre Situation hineinversetzen.
Wir denken an eine Begebenheit, die sich vor drei Tagen zugetragen hat: „Mein Kollege hat heute Geburtstag. Hätten Sie vielleicht etwas Wein für ihn?“, fragte uns ein Schäfer, nachdem wir in Zevio einen Ruhetag eingelegt hatten. Verdutzt sahen wir einander an. Ob seine Geschichte stimmte, wussten wir nicht. Tatsache war, dass Hanspeter vor unserer Pause beim Einkaufen gesagt hatte: „Heute kaufe ich eine Flasche Wein. Wir feiern, dass es uns bis hierher so gut ergangen ist.“
Die zwei Deziliter Wein, die von den beiden Abenden übrig geblieben waren, füllten wir in eine kleine Plastikflasche und nahmen sie mit. „Ist egal, ob es stimmt oder nicht. Er darf unseren Wein gerne haben“, kamen wir überein. „Können Sie mir noch fünf Euro geben?“, fragte der Hirte weiter. Da Annemarie alles übersetzen musste, diskutierten wir gleich in Schweizerdeutsch, ob wir darauf eingehen sollten. Schon vor der Reise fanden wir es immer wieder schwierig, schnell und angemessen zu reagieren, wenn Leute bettelten. „Sie können mit uns essen“, boten wir manchmal an. Ab und zu merkten wir dann aber im Gespräch, dass uns eine Lüge aufgetischt worden war. Zu guter Letzt entschieden wir uns, diesem Schäfer etwas Geld zu geben.
In Venedig freuen wir uns über ein günstiges Zimmer. Die Nebensaison hat ihre Vorteile. Wir staunen nicht schlecht, als wir am folgenden Tag im jüdischen Getto einer Pfarrerin mit Schülern aus Basel begegnen. Der Begriff „Getto“ entstand hier in Venedig, als 1516 die Juden der Stadt in das Viertel der Gießerei, italienisch „getto“, verbannt wurden.
Nach der ausgedehnten Stadtbesichtigung fahren wir mit dem Schiff hinüber nach Punta Sabbioni und treffen dort erstmals auf das Mittelmeer. Die im Sommer von Touristen bevölkerten, jedoch jetzt menschenleeren Sandstrände sind ein Traum. Allerdings bekommen wir nun auch die Kehrseite der Nebensaison zu spüren.
Link: Das Getto entstand in Venedig
Auszug aus dem Buch: “Zu Fuß als Ehepaar nach Jerusalem”
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