Überraschendes zu Jesus – Eine wertschätzende Gemeinschaft

Jesus fordert uns heraus, wenn er in Johannes 13,34-35 sagt: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, … Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“

Warum eckt Jesus mit dieser Botschaft an?

Radio Maria Schweiz, Mittwoch 12. März 2025, 14 Uhr / 22 Uhr / Do 2 Uhr Sendung Spiritualität mit Hanspeter Obrist.

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Jesus sah den Menschen als Person an und nicht in seiner Stellung.

Im jüdischen Umfeld war jedoch die Herkunft wichtig. So heißt es in Lukas 15,1-2: 1 Alle Zöllner und Sünder kamen zu ihm, um ihn zu hören. 2 Die Pharisäer und die Schriftgelehrten empörten sich darüber und sagten: Dieser nimmt Sünder auf und isst mit ihnen.

Jesus erregt Anstoß, weil er auf alle Menschen zugeht.

In seinem Umfeld hat man sich klar von anderen Gruppen distanziert. So lesen wir in Lukas 18,11-14: 11 Der Pharisäer stellte sich hin und sprach bei sich dieses Gebet: Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort. 12 Ich faste zweimal in der Woche und gebe den zehnten Teil meines ganzen Einkommens. 13 Der Zöllner aber blieb ganz hinten stehen und wollte nicht einmal seine Augen zum Himmel erheben, sondern schlug sich an die Brust und betete: Gott, sei mir Sünder gnädig! 14 Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt nach Hause hinab, der andere nicht. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden. 

Jesus sieht uns zuerst als Menschen mit unserer individuellen Geschichte. Für ihn ist nicht wichtig, wo ein Mensch steht, sondern wo er hin will.

Wie oft machen wir es umgekehrt. Uns ist wichtig, wer jemand ist.

Jesus spricht auch davon, dass wir einander lieben sollen. Meint Jesus damit, dass wir alle Christen sympathisch finden sollen?

Sympathie ist wohl das falsche Wort. Es geht mehr um Empathie. Das bedeutet, dass man sich in andere Menschen hineinversetzen und mit ihnen mitfühlen kann. Es geht also nicht um eine gefühlsmäßige Zuneigung, sondern um Anteilnahme.

Auch das entspricht nicht unserer Natur. Heute geht es ständig darum, ob mir etwas gefällt oder nicht.

Jesus aber will, dass wir einander als Menschen wahrzunehmen. Also nicht den Beruf, die Leistung, die gesellschaftliche Stellung, das Geschlecht, die Anzahl der Kinder und Enkel, den Besitz oder andere Dinge.

Also nicht, wer jemand ist, sondern wie es ihm geht.

Paulus schreibt in Galater 3,28: „Da ist nicht Jude noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.“

Je mehr wir in Christus sind, desto mehr sehen wir die anderen Menschen nicht mehr in seiner Lebensstellung. Plötzlich spielt es keine Rolle mehr, was jemand arbeitet, was er erreicht hat oder welchem Geschlecht er angehört. Jeder ist zuallererst Mensch.

Keine leichte Aufgabe in einer Zeit, in der sich jeder von seiner besten Seite zeigt. Aber das war es wohl noch nie. Wir haben die Tendenz, dass es mehr um uns geht als um die Wahrnehmung des anderen.

Vielleicht hilft es, wenn wir uns vor Augen halten: Ich muss jemanden nicht sympathisch finden, sondern Liebe bedeutet, den anderen wahrzunehmen. Meistens bedeutet das einfach, ein offenes Ohr füreinander zu haben. Nicht Lösungen für den anderen zu suchen, sondern die Not auszuhalten und sie im gemeinsamen Gebet vor Gott zu bringen.

Der Schlüssel ist, dass wir einander wahrnehmen, so wie Gott uns wahrnimmt.

Jesus bringt noch eine weitere Dimension ins Spiel: Er sagt, wir sollen einander lieben, wie er uns geliebt hat.

Jesus hat immer wieder deutlich davon gesprochen, dass wir uns von ihm prägen und verändern lassen sollen.

So sagt er in Lukas 6,36: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“

Barmherzigkeit bedeutet, dass ich innerlich betroffen bin von dem, was ich wahrnehme und darüber nachdenke, was mir möglich ist, um zu helfen.

Das bedeutet nicht, ein Verhalten zu unterstützen oder Partei zu ergreifen, sondern zu helfen, einen Weg zu finden. Als Christen sind wir auch nicht verpflichtet, überall zu helfen, sondern wir beten, dass Gott den Menschen hilft, einen neuen Weg zu gehen. Das schließt natürlich auch spontane Hilfe ein. Aber nicht jede Hilfe ist echte Hilfe, sondern sie kann auch in die Abhängigkeit führen. Liebe heißt manchmal auch Nein sagen.

Das scheint für uns ein Widerspruch zu sein. Wenn wir jemanden dabei begleiten, selbst einen neuen Weg zu finden, ist ihm mehr geholfen, als wenn wir ihm ein Hindernis aus dem Weg räumen. Manchmal muss man lernen, mit einem Hindernis umzugehen.

Jesus hat immer wieder nicht alles so einfach wie möglich dargestellt, sondern zum Nachdenken und Suchen angeregt. Es hilft einem Menschen nicht, wenn wir ihn über eine Straße führen, er aber gar nicht dorthin will. Es hilft einem Menschen nicht, wenn wir sein vordergründiges Problem lösen, er aber nicht verstehen will, wie es dazu gekommen ist. Ich habe das einmal sehr krass erlebt, als wir einem Menschen geholfen haben, seine Schulden zu bezahlen. Aber nach einiger Zeit hatte er die gleichen Schulden, weil er nicht verstanden hat, dass man nicht mehr ausgeben kann, als man hat.

Das eigentliche Ziel ist, sich gegenseitig zu helfen. Man sieht das Potenzial einer Person und ermutigt sie, sich in eine Richtung zu entwickeln.

Liebe bedeutet, sich in der Kunst des aufbauenden Wortes zu üben.

Jesus nimmt jeden Menschen so an, wie er ist und ermutigt alle, sich mit Gott auf den Weg zu machen. Sich Jesus öffnen, mit ihm teilen, was wir beobachten, ihm sagen, was uns bewegt und in der Bibel entdecken, was ihm auf dem Herzen liegt.

Lieben wie Jesus bedeutet, einander zu dienen. Bei der Fußwaschung in Johannes 13 sagt Jesus, dass einer dem anderen dienen soll und keiner größer ist als der andere. Der Meister soll dem Schüler dienen und nicht umgekehrt.

Wir machen es oft umgekehrt. Der Chef sagt, was der andere für ihn tun soll und nicht wir überlegen, wie der Stift oder Untergebene sein Potential entfalten kann.

Unsere dienende Haltung darf aber auch nicht dazu führen, dass wir uns umgekehrt von Menschen beherrschen lassen.

Jesus sagt in Johannes 13,16: „Amen, amen, ich sage euch: Der Sklave ist nicht größer als sein Herr und der Abgesandte ist nicht größer als der, der ihn gesandt hat.“

Empathie und Wertschätzung dürfen nicht zu Überheblichkeit führen. Wer sich über andere erhebt und auf sie herabschaut, hat nicht verstanden, was Gnade bedeutet. Gnade ist ein unverdientes Geschenk der Wiederherstellung der Beziehung zu Gott ohne eigene Verdienste.

Es ist eine Kunst, die Balance zu halten zwischen Wertschätzung, Überschätzung und gegenseitigem Mitgefühl.

Liebe bedeutet, dass wir in Würde miteinander umgehen. Wir begegnen einander mit Achtung. Wir sind einander zugewandt, interessiert, aufmerksam und freundlich.

Nur weil wir Christen sind, haben wir nicht das Recht, einander alles an den Kopf zu werfen.

Manchmal tun wir das. Doch der neue Umgang, den Jesus lehrt, bedeutet, den anderen als Person wahrzunehmen. Ihm mit Respekt zu begegnen. Wir sollen einander fördern, denn jeder von uns ist von Gott begabt und soll immer mehr das entfalten, was Gott in ihn hineingelegt hat und wozu er ihn geschaffen hat.

Der erste Schritt ist oft, einfach Danke zu sagen für das, was der andere gerade für uns tut. Ich kenne jemanden, der hat sich bei Hilfsarbeitern bedankt, dass sie so hart für uns arbeiten. Das hat ihm einen ganz neuen Zugang zu manchen Menschen gegeben, die sich hier in der Schweiz nicht wertgeschätzt fühlen.

Jesus möchte, dass wir einen neuen Umgang miteinander pflegen.

Das „einander lieben“ tönt nach „Friede, Freude, Eierkuchen“. Aber hat Jesus nicht auch die Pharisäer kritisiert?

Die hohe Kunst des Lebens ist: Wie begegne ich Menschen, die mir gegenüber feindlich gesinnt sind? Da schlucken wir erst einmal leer.

Jesus hat nicht die Konfrontation gesucht, sondern das Gespräch. Er hat Wahrheiten oft so in Geschichten verpackt, dass sein Gegenüber selbst den richtigen Schluss ziehen konnte. Er hielt den Menschen nicht ständig ihre Verfehlungen vor Augen. Er sprach von Umkehr, von Neuorientierung, von einem neuen Umgang miteinander.

Es ist interessant, wie manche Menschen meinen, genau zu wissen, was andere tun müssen. Aber Erkenntnis ist Stückwerk. Manchmal braucht es das Schweigen, das Aushalten, das Tragen im Gebet und nicht eine Lösung aus meiner Perspektive. Ich glaube, da haben wir alle noch Verbesserungspotenzial.

Die Pharisäer meinten zu wissen, was die Menschen und Gott tun sollten. In der jüdischen Auslegung ging man sogar so weit zu lehren, dass Gott sich an das hält, was der Sanhedrin (der Hohe Rat) beschließt. Auch wir meinen manchmal auch, die Lösung zu kennen. Aber Liebe bedeutet, mit jemandem einen Weg zu gehen und ihm dabei zu helfen, Schwieriges auszuhalten.

Vieles lernen wir durch Übung. Sei es im Beruf oder in der Schule. Als „Lernende von Jesus“ üben wir auch einen Schritt nach dem anderen. Mein Nächster steht vielleicht an einem ganz anderen Punkt als ich. Und jeder hat andere Voraussetzungen mit auf den Weg bekommen. Was für den einen selbstverständlich ist, kann für den anderen ein großer Schritt sein.

Hier kommt wieder das Einfühlungsvermögen ins Spiel. Wir sehen einander mit neuen Augen. Wir wissen auch, dass jeder auf seine Weise wertgeschätzt werden muss. Geschwisterlichkeit führt aber auch nicht zu Überheblichkeit, sondern zu einem respektvollen Umgang miteinander. Unser Ziel ist es, uns gegenseitig zu ermutigen und zu fördern.

Es tut weh, wenn ich im Internet immer wieder lese, wie sich auch Christen gegenseitig herabsetzen, verurteilen und verteufeln.

So schrieb jemand: „Ich verabschiede mich von Facebook. … Gäbe es eine Brille, die nur Sinnvolles, Wertvolles, Anständiges und Respektvolles durchließe, ich würde mir den Entscheid vielleicht noch einmal überlegen. … Ich entscheide mich für einen weiteren Weg ohne unnötigen Ballast. … Ich verzichte ab sofort freiwillig auf Boshaftigkeiten, Diskussionen ohne den Austausch von ernsthaften Argumenten und die vielen Stellungskriege im anonymen Sumpf des „Worst“-Wide-Web. … Danke für alle freundlichen, lieben, ernsthaften und menschlichen Momente, die ich hier hatte.“

Das Statement drückt den Wunsch nach „freundlichen, lieben, ernsthaften und menschlichen Momenten“ aus.

Einen positiven Umgang erlebe ich in einer Bibel-Gruppe. Dort schreibt ein neu hinzugekommener Teilnehmer: „Ich bin sehr beeindruckt von eurer tiefen Gemeinschaft und wie ihr füreinander einsteht im Gebet vor unserem Herrn.“

Und das ausgerechnet in einer Gruppe, in der Menschen am Rande ihrer Kräfte leben, weil eine Hiobsbotschaft nach der anderen über sie hereinbricht. Aber man nimmt Anteil und steht füreinander vor Gott ein und hält die Not gemeinsam aus.

So schreibt jemand aus dieser Gruppe: „Ich danke euch allen von Herzen für euer mitfühlen, beten, verstehen und da sein! Es tut so gut. Ich wünsche jedem einzelnen Gottes Schutz, seinen Segen und seine Hilfe!“ Der tiefe Respekt in aller Verschiedenheit beeindruckt mich sehr. Wir erleben immer wieder, wie Gott hilft. Doch oft anders, als wir es erwartet haben.

Der Heilige Geist schenkt uns eine neue Sicht auf uns selbst und auf unsere Mitmenschen. Er hilft uns, unsere Mitmenschen aus einer göttlichen Perspektive zu sehen. Er öffnet uns den Blick für das Reich Gottes und für einen Gott, der um uns Menschen wirbt, der aber auch respektiert, wenn wir uns nicht auf ihn einlassen wollen.

Der Himmel ist nicht nur ein schöner Ort. Himmel ist, wenn einer dem anderen dient. Das üben wir hier. Jeder von uns ist an einem anderen Punkt herausgefordert, sich von Gott prägen und verändern zu lassen.

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