Gottesdienst 14. April 2024
Ein Post auf Facebook hat mich dazu angeregt, über unsere Seele nachzudenken. Der Schreiber behauptete: „Die Seele ist ein flüchtiges Trugbild unserer Programmierung, welches mit unserem Tod mitstirbt.“
Der Gedanke dahinter ist ganz einfach: Wenn die Seele nur mit unserem Körper existiert, dann brauche ich mich nicht um Glauben oder Gott zu kümmern.
Die Sadduzäer in der Bibel glauben genau das. Flavius Josephus, ein jüdischer Geschichtsschreiber des ersten Jahrhunderts, schreibt: „Die Sadduzäer leugnen die Vorsehung gänzlich … Die Fortdauer der Seele aber und die Bestrafungen und Belohnungen in der Unterwelt lehnen sie ab“ (bell. II 163‐166). Diese Beschreibung finden wir auch in Apostelgeschichte 23,8, wo es heißt: „Die Sadduzäer behaupten nämlich, es gebe weder Auferstehung noch Engel noch Geist, die Pharisäer dagegen bekennen sich zu alldem.“ Für die Sadduzäer war der Glaube eine schöne Tradition, und Lebensrituale bereicherten das Leben.
Die Griechen glaubten, dass die Seelen in eine Unterwelt gehen. Dort leben sie nicht weiter, sondern existieren als scheue Schatten, entweder freudlos oder in ewiger Glückseligkeit. Eine Rückkehr ins Leben war unvorstellbar. Deshalb war in Apostelgeschichte 17,32 das Interesse an Paulus und seiner Lehre vorbei, als er von der Auferstehung der Toten sprach.
In der hebräischen Bibel, dem Tanach, ist nicht ganz klar, was mit den Toten geschieht. So heißt es in Psalm 115,16-18: „Der Himmel ist der Himmel des Herrn, aber die Erde hat er den Menschenkindern gegeben. Die Toten werden dich, Herr, nicht loben, keiner, der hinunterfährt in die Stille, aber wir loben den Herrn von nun an bis in Ewigkeit.“ Und in Prediger 9,10: „Bei den Toten, zu denen du fährst, gibt es weder Tun noch Denken, weder Erkenntnis noch Weisheit“. So entstand die Vorstellung, dass die Menschen in der Erde schlafen.
Aber Jesaja schreibt auch: „Deine Toten werden leben, deine Leichname werden auferstehen. Wacht auf und rühmt, die ihr liegt unter der Erde! … Denn die Erde wird die Toten herausgeben“ (Jesaja 26,19). Plötzlich wird in der Bibel sichtbar, dass die Menschen eines Tages von Gott wieder auferweckt werden. Daniel beschreibt das so: „Viele, die unter der Erde schlafen liegen, werden aufwachen, die einen zum ewigen Leben, die anderen zu ewiger Schmach und Schande“ (Daniel 12,2). Das eigentliche Bild dafür ist Hesekiel 37. Die Gebeine rücken zusammen, neue Sehnen und Muskeln entstehen und der Geist wird eingehaucht. Deshalb sind jüdische Gräber für ewig und die Gebeine werden gesammelt.
Die Zukunftshoffnung im Tanach (Altes Testament) besteht in der Erwartung der Auferweckung der Toten in ein vollendetes Reich auf dieser Erde in Israel (Jesaja 11,6-10 / 26,19 / 27,13).
In der Auseinandersetzung mit den Sadduzäern sagt Jesus in Markus 12,26-27 etwas Überraschendes: „Was aber die Toten betrifft, dass sie auferweckt werden: Habt ihr nicht im Buch Moses gelesen, wie Gott beim Dornbusch zu ihm redete und sprach: »Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs«? 27 Er ist nicht der Gott von Toten, sondern von Lebenden. Ihr irrt sehr.“
Jesus sagt, Abraham, Isaak und Jakob sind nicht tot, sondern leben. Damit zeigt er eine neue Sicht auf. Die Seelen der Toten leben weiter.
Da die Bibel den Umgang mit den Toten verbietet (5. Mose 18,11), müsste eigentlich klar sein, dass die Toten nicht tot sind, sonst könnte man sie nicht befragen. Bei Saul sehen wir, dass sich Samuel heraufbeschwören lässt (1.Samuel 28,7-20).
In Matthäus 10,28 sagt Jesus es so: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht zu töten vermögen; fürchtet aber vielmehr den, der sowohl Seele als auch Leib zu verderben vermag in der Hölle!“
In Lukas 16,19-31 erzählt Jesus die Geschichte von Lazarus und dem reichen Mann, der nach seinem Tod um seine Brüder besorgt ist. Er ist also handlungsfähig.
Im jüdischen Kontext war es unvorstellbar, dass die Seele nach dem Tod aktiv ist und unabhängig vom Körper agiert. Jesus ist der erste, der davon spricht, was nach dem Tod geschieht.
Was ist eigentlich die Seele? In unserem naturwissenschaftlichen Weltbild ist sie nicht fassbar. Aber allein die Tatsache, dass wir Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften haben, zeigt, dass es verschiedene Ebenen gibt.
Unsere Wahrnehmungen sind nicht nur physischer Natur. Wir haben auch die Fähigkeit, etwas zu erfassen, das außerhalb unserer physischen Möglichkeiten liegt, z.B. ein gedankliches Konstrukt.
Die Naturwissenschaft kann die Frage nicht beantworten, ob es hinter dem Materiellen noch eine immaterielle Wirklichkeit gibt, weil sie auf das Materielle beschränkt ist. Es handelt sich also um eine rein geisteswissenschaftliche Frage. Sie ist nicht «nicht-existent», weil man sie materiell nicht fassen kann.
Als Menschen können wir etwas lernen, was wir noch nie erfahren haben. Es gibt also eine Denkfähigkeit, die außerhalb der natürlichen Wahrnehmung liegt. Hier liegt der Unterschied zum Tier.
Vieles hat an sich keine Bedeutung. Zum Beispiel ein Straßenschild. Aber wir geben ihm die Bedeutung. Genauso wie den Buchstaben und den Zahlen. Wir haben also die Fähigkeit, über etwas nachzudenken, das nicht wirklich ist. Wären wir nur körperlich, müsste etwas real sein und mit einer körperlichen Erfahrung verbunden werden können.
Peter Bichsel hat uns mit seiner Geschichte „Ein Tisch ist ein Tisch“ (Kurzfilm) vor Augen geführt, das man sich rein gedanklich in eine eigene Welt befördern kann und dabei die Fähigkeit verliert mit anderen zu kommunizieren.
Alle physikalischen Untersuchungen des Gehirns offenbaren nie die Gedanken eines Menschen. Nur der Mensch selbst (und Gott / Markus 2,6) hat den Zugang zu seinen Gedanken.
Gedankliche Wahrheiten können auch wahr oder falsch sein. Physische Erfahrungen kennen diese Wahlmöglichkeit nicht.
Es gibt also Erlebnisse, die außerhalb unserer körperlichen Erfahrungen und Einwirkungen liegen, wie zum Beispiel Zuneigung, Ablehnung, Freude, Trauer, Humor usw. Es gibt also eine Wirklichkeit, die unabhängig unseres Körpers, aber durch unseren Körper wirkt. Es gibt keine physische Möglichkeit, das Denken zu beeinflussen. Die Gedanken sind frei.
Aber wie kann man die Seele definieren?
Jesus sagt als Zusammenfassung des Tanachs in Matthäus 22,37: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand.“
Wir haben Gefühle, die das Herz ausdrückt. Wir haben den Verstand, der seinen Ursprung im Gehirn hat, und wir haben eine Seele. Damit meint die Bibel unser inneres Wesen oder unser übernatürliches Bewusstsein.
Paulus beschreibt die Seele auch als inneren Menschen (2.Korinther 4,16 / Römer 7,22 / Epheser 3,16).
Im Beispiel des reichen Kornbauern sagt Jesus in Lukas 12,20: „In dieser Nacht wird man deine Seele von dir fordern.“ Mit Seele ist die Persönlichkeit gemeint.
Interessanterweise altert unsere Seele nicht. Im Alter fühlt man sich jünger, als man ist.
Paulus schreibt in 2.Korinther 12,2: “Ich weiß von einem Menschen in Christus, dass er vor vierzehn Jahren – ob im Leib, weiß ich nicht, oder außerhalb des Leibes, weiß ich nicht; Gott weiß es –, dass dieser bis in den dritten Himmel entrückt wurde.“
Auch Johannes, der Jünger Jesu, macht Erfahrungen, die außerhalb seines Körpers liegen. So schreibt er in Offenbarung 1,10: „Ich war an des Herrn Tag im Geist“. In diesem Zustand empfing er die Botschaften und Visionen.
Auch Nahtoderfahrungen zeigen, dass man trotz Inaktivität vom Gehirn, reale Dinge wahrnehmen kann. Auch die spirituelle Welt kennt Astralreisen.
Jesus sagt in Matthäus 10,28 auch, dass die Seele verderben kann: „fürchtet aber vielmehr den, der sowohl Seele als auch Leib zu verderben vermag“.
Das ist die logische Konsequenz der Aussage in Johannes 6,47: „Ich sage euch: Wer glaubt, hat ewiges Leben.“ Und in Johannes 3,16: „Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat.“
Insofern haben die Atheisten Recht. Wer gottlos ist, hat kein ewiges Leben.
Welche Auswirkungen hat dies auf uns?
Leben ist mehr als Essen und Trinken und schöne Rituale. Vielleicht ist gerade der Slogan „mit dem Tod ist alles vorbei“ heute ein Hindernis, sich mit Gott auseinander zu setzen.
Wenn wir unseren Fokus wieder neu darauf ausrichten, dass unsere Bestimmung nicht nur ein flüchtiger Schatten ist, sondern auf die ewige Gemeinschaft mit Gott ausgerichtet ist, verändern sich unsere Prioritäten.
Mit dem Blick auf die Ewigkeit macht es Sinn, Schwerpunkte zu setzen und auf manches zu verzichten oder sich selbstlos für andere einzusetzen.
Wer ohne das Wissen um eine Zukunft lebt, bleibt in der Sinnlosigkeit des Lebens stecken und hat kaum Kraft, schwierige Situationen durchzustehen und hoffnungsvoll zu sein.
Vielleicht rückt dann auch die Frage in den Fokus, was wir unserer Seele alles zumuten wollen. Seelsorge im wörtlichen Sinn meint, sich mehr um das Wohl der Seele zu sorgen.
Wer um seine Seele weiß, kann mit David sagen: „Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat“ (Psalm 103,2).