Auszug von einem Artikel von Alexander Grau NZZ
Der Mensch der Moderne möchte Individuum sein. Was in früheren Jahrhunderten allenfalls ein paar Aristokraten und reichen Bürgern vorbehalten war, ein selbstbestimmtes, autonomes, exzentrisches Leben, ist heute ein Massenphänomen. Doch Emanzipationsmöglichkeiten erzeugen auch Emanzipationsstress.
Der emanzipierte Individualist unserer Gegenwart will sein Leben radikal autonom führen – und seine Sicht auf sich selbst ist die einzig wahre. Die Gesellschaft hat dabei Applaus zu spenden, besser noch Verehrung.
Denn in der Logik des sich selbst verwirklichenden Ichs ist nicht gespendeter Applaus eine Herabsetzung. Der Mensch der Wohlstandsmoderne will daher nicht nur toleriert, er will anerkannt werden, auch wenn die idiosynkratischen Produkte seiner Selbstverwirklichung noch so abseitig sind. Der Liberalismus erstickt an seinen eigenen Idealen weiterlesen