Rund 800.000 Menschen, etwa zehn Prozent der israelischen Bevölkerung, bezeichnen sich als haredi, als ultraorthodox. Sie leben nach den Regeln der Thora: tägliches Beten, striktes Einhalten des Sabbats, Fernsehen ist verboten. Die Männer sollen sich der Lehre der Thora widmen, wenn überhaupt, arbeiten sie als Rabbiner, Synagogendiener oder Lehrer. Die Aufgabe der Frau ist vor allem, ihre Familie zu ernähren.
Mehr als 6.000 Menschen arbeiten bei Matrix, viele von ihnen sind junge Israelis, die sich nicht um Speisevorschriften scheren und gern das Wochenende durcharbeiten – oder durchfeiern. Doch die Mitarbeiterinnen der othodoxen Abteilung sind anders: Die 600 Frauen, die rund 50 Kilometer von Jerusalem entfernt in einem Hochhaus in der konservativen Siedlung Modi’in Illit arbeiten, sind streng religiös.
Auf den ersten Blick könnte man ihre Büros für eine jüdische Mädchenschule halten. Junge Frauen in Kopftüchern sitzen dort, die Blusen hochgeschlossen. Auf manchen Tischen liegen Gebetsbücher. Männer sieht man nicht. Die züchtig gekleideten Frauen schreiben Programme, bauen Websites und testen Software.
Weil die israelische Hightechindustrie boomt, versuchen neuerdings viele ultraorthodoxe Frauen dort ihr Glück. Die Vorgaben des Rabbiners sind strikt: Männer zu berühren ist für die Frauen tabu. Mit männlichen Kunden dürfen sie nur über die Arbeit sprechen, jeder private Satz wäre ein schwerer Verstoß. Das Internet dürfen die Haredim nur begrenzt nutzen, also nur jene Seiten besuchen, die sie für ihren Job benötigen.
Projekte, die früher in Indien oder China landeten, bearbeiten heute die Haredim. Der Aufwand der Firma ist groß, aber er lohnt sich, vor allem finanziell. Der Staat bezuschusst jeden Arbeitsplatz, der mit einem Ultraorthodoxen besetzt wird. Gleichzeitig arbeiten die Haredim zu deutlich niedrigeren Löhnen als säkulare Israelis; im Durchschnitt bekommen sie etwa ein Viertel weniger als die nicht religiösen Mitarbeiter. Deshalb entdecken immer mehr Unternehmen das Potenzial der ultraorthodoxen Community, einige werben gezielt um die Haredim.
Das mittelständische Unternehmen DAAT sitzt in einem der Glastürme Tel Avivs, im Erdgeschoss trinken Trainees mit dicken Brillen Cappuccino. Die Mitarbeiterinnen von DAAT hingegen, die im siebten Stock des Gebäudes arbeiten, dürfen das Café nicht einmal betreten. Sie sind fast ausnahmslos tiefreligiös. Auch sie tragen Kopftuch oder Perücke, um die Haare vor fremden Blicken zu verdecken, wie es für religiöse Juden üblich ist. Auch hier liegen Gebetsbücher direkt neben Tastatur und Maus.
Nili Davidovitz hat DAAT vor drei Jahren gegründet. Die 47-Jährige ist studierte Informatikerin – und streng religiös. In ihrer Firma ist nicht nur die Küche koscher. Kritische Aufträge bespricht Davidovitz mit einem Rabbiner: Darf die Firma beispielsweise eine Internetseite für einen Kinderfilm gestalten, obwohl Haredim nicht fernsehen dürfen? „Wenn er Nein sagt, werden wir das Projekt ablehnen“, sagt Davidovitz.
Seit seiner Gründung hat DAAT keine einzige Angestellte verloren, anders als viele andere IT-Unternehmen. „Die Frauen sind einfach froh, dass sie hier einen Ort gefunden haben, an dem sie als Religiöse arbeiten können“, sagt Davidovitz. Die Mittvierzigerin ist für ihre Angestellten nicht nur Chefin, sondern auch Bezugsperson. Und sie versucht zu schlichten, wenn die Familien der Frauen doch einmal Vorbehalte gegen die Hightechindustrie hegen. „Einmal wollte ein Ehemann nicht, dass seine Frau mit männlichen Kunden spricht“, erinnert sich Davidovitz. „Ich habe ihm versichert, dass kein Wort zwischen ihnen fällt, das nicht mit dem Job zu tun hat. Da hat er eingewilligt.“
Bereits jedes dritte Grundschulkind in Israel kommt aus einer religiösen Familie. Will die „Start-up-Nation“, wie Ökonomen Israel einmal genannt haben, ihre Wirtschaftskraft nicht verlieren, wird sie die Haredim integrieren müssen.
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