Die Menschen wollen sein wie Gott. Aber sie scheitern schon an ihrem Menschsein. Daraus zog Luther die Konsequenzen.
Auszüge aus dem Artikel von Ingolf U. Dalferth in der NZZ vom 30.9.2017
Wirklich frei ist allein der, der das Gute, das er will, auch vollbringen kann.
Um welche Freiheit ging es? Die Reformatoren gaben eine strikt theologische Antwort. Zur Kurzformel christlicher Freiheit wird: Zu bejahen, dass man bejaht ist. Durch die radikale Umorientierung des ganzen Lebens auf Gott hin wird das Leben nicht länger in religiöse (Gott nahe) und nichtreligiöse (Gott ferne) Bereiche aufgeteilt. Im Licht der Grundunterscheidung zwischen Schöpfer und Geschöpf wird das ganze Leben als Resonanzraum der Gegenwart Gottes verstanden. Gott ist in jeder Gegenwart gegenwärtig, und jeder lebt an seinem Ort in Gottes schöpferischer Gegenwart.
Gottes Gegenwart trägt jede Gegenwart, und Gottes Freiheit liegt jeder Freiheit zugrunde.
Ohne Gott (solus Deus) kein Sein, keine Welt, kein Leben. Ohne Christus (solus Christus) keine Erkenntnis dessen, wer Gott in Wahrheit ist und was Gott für seine Geschöpfe aus reiner Liebe will und tut (sola gratia). Ohne die Schrift (sola scriptura) kein Verstehen, dass Christus der Schlüssel zum Verständnis der Liebe Gottes ist. Ohne den Geist Gottes (solo spiritu) keine Gewissheit, dass die Schrift das rechte Verständnis Christi und damit der Liebe Gottes erschliesst.
Das Freiheitsverständnis dieser leidenschaftlichen Theozentrik wird bis heute selten verstanden. Wir verstehen Freiheit als Fähigkeit, ungezwungen so oder anders zu handeln (Handlungsfreiheit), aus eigenem Antrieb Ereignisreihen zu starten (Spontaneität), uns für oder gegen etwas zu entscheiden (Entscheidungsfreiheit), etwas zu wollen oder nicht zu wollen (Willensfreiheit), unser Wollen an Regeln auszurichten, die der Würde jedes Menschen Rechnung zu tragen suchen (Autonomie). Die klassische Freiheitsfigur verdichtet das zur Fähigkeit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden und sich für das Gute und gegen das Böse entscheiden zu können. …. Auf gute Weise will, wer sich an Gott orientiert, auf schlechte Weise, wer sich an sich selbst ausrichtet. Menschen sind im Prinzip frei, das eine oder andere zu tun. Im Unterschied zum Schöpfer aber müssen sie wählen und sind nicht frei, nicht zu wählen. Aber sie wählen alle falsch, weil sie sich bei der Bestimmung des Guten nicht an der Liebe zu Gott, sondern an ihrer eigenen Selbstliebe ausrichten.
Alle Menschen wollen das, was sie für sich selbst für gut halten. Aber nicht alles, was man für gut hält, ist es auch.
«Ihr werdet sein wie Gott», raunt die Schlange, um Menschen zu verführen, sich die göttliche Fähigkeit der Unterscheidung zwischen Gut und Böse anzueignen. Doch die Unterscheidungsfähigkeit nützt nichts, wenn man sie nicht recht gebrauchen kann, weil man den Unterschied zwischen Geschöpf und Schöpfer verwischt.
Menschen wollen wie Gott sein und scheitern schon an ihrem Menschsein. Gott beendet das, indem er selbst Mensch wird. Wer an Christus glaubt, setzt ganz auf Gott und ist nicht mehr willens, auf schlechte Weise zu wollen.
Luther, der radikale Augustiner, geht noch einen entscheidenden Schritt weiter. Menschen sind unfähig und unwillig, das für sie Gute zu erkennen und zu wollen, weil sie den Schöpfer ignorieren und ihr Geschöpfsein leugnen. Und selbst wenn sie wollten, was für sie gut ist, wären sie nicht in der Lage, das Gewollte auch zu verwirklichen. Kommt uns kein Gott zu Hilfe, sind wir verloren.
Das wird überdeutlich in Luthers Auseinandersetzung mit Erasmus. Luther spitzt alles auf einen Freiheitsbegriff zu, der ganz an Gottes Freiheit orientiert ist. Nicht der ist wahrhaft frei, der zwischen Gut und Böse wählen kann. Auch nicht der, der nur auf gute und nicht auf schlechte Weise will. Sondern allein der, der das Gute, das er will, auch vollbringen kann.
Menschen scheitern an jedem Punkt. Sie wissen nicht, was für sie gut ist, und sie können das für sie Gute nicht selbst verwirklichen. Frei werden sie nur durch die Teilhabe an Gottes Freiheit und Macht, alles zum Guten zu führen.
Glaube ist das Gott zu verdankende vertrauensvolle Sichverlassen auf Gottes Zusage, alles gut zu machen. Im Glauben, nicht im Nein zum Glauben, sind Menschen frei. Im Glauben nehmen sie teil an Gottes Ja zum Menschen und seiner Freiheitsmacht, selbst aus Üblem Gutes zu schaffen.
Wer sich im Glauben ganz auf Gottes Freiheitsmacht zum Guten verlässt, wird frei wie Gott und für andere zum Ort, an dem Gott Gutes wirkt.
Wahrhaft frei sind Menschen daher nur im Glauben. Im Glauben setzen sie ganz auf Gottes Güte, Freiheit und Macht, das für sie und alle Geschöpfe Gute auch tatsächlich herbeizuführen.
Wer glaubt, ist frei, weil er darauf setzt, dass die Verwirklichung des Guten in Gottes Händen liegt, so dass er sich um die Nöte der Nächsten kümmern kann. mehr Informationen