Die Welt war schockiert, als Russland den Tod seines bekanntesten Oppositionspolitikers bekannt gab: Alexej Nawalny. Weniger bekannt ist, dass der «Dissident» ein bekennender Christ war und Kraft aus der Bibel zog.
In seinem Berufungsprozess vor dem Moskauer Bezirksgericht Babuschkino zitierte er aus der Bergpredigt des Matthäus-Evangeliums und bekannte sich zu seinem christlichen Glauben, wie der «Spiegel» 2021 berichtete. «Selig sind, die hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden», zitierte Nawalny aus der Bergpredigt.
«Eigentlich ist der russische Oppositionspolitiker bekannt für seinen trockenen Humor, seine Respektlosigkeit gegenüber Autoritäten. Dass derselbe Nawalny sich auf Gott berufen, die Bergpredigt zitieren und seinen Glauben hervorkehren würde, hatte kaum jemand erwartet in jenem Moskauer Gerichtssaal, in dem Nawalny auftrat», kommentierte der Spiegel.
Obwohl einige seiner Mitstreiter sich darüber lustig gemacht hätten, sei der Glaube an die Gerechtigkeit Gottes Kern seiner Hoffnung gewesen, so Nawalny damals.
Die Moscow Times interpretierte seine religiösen Äusserungen eher politisch-soziologisch und wies darauf hin, dass Nawalny sich der Tradition der russischen Intelligenz anschloss, indem er zu seiner Verteidigung die Bibel zitierte.
Einen Nawalny als bibelgläubigen Christen und Verteidiger der traditionellen biblischen Werte, die Russland zu verteidigen vorgibt, kann man schlecht als unmoralischen Kritiker und Querulanten abtun.
Auch in den Monaten nach dem Gerichtsprozess erwähnte Nawalny seinen Glauben auf seinen Social-Media-Konten, etwa auf Instagram. Im Mai 2021 bezog er sich zum Beispiel auf Ostern: «Ich gratuliere allen zu dem besten Fest gemäss der Tradition: Gläubigen (was ich jetzt bin), Ungläubigen (was ich war) und militanten Atheisten (was ich auch war).»
Es ist nicht klar, was Nawalny von seiner atheistische Haltung zum Glauben geführt hat. Sergej Rachuba von der Mission Eurasia, die Kirchen in den ehemaligen Sowjetrepubliken unterstützt, glaubt, dass Nawalny zum Glauben kam, als er «um sein Leben kämpfte», wahrscheinlich nach dem Giftanschlag Mitte 2020. In einem Interview mit Missions Box sagte Rachuba: «Als er um sein Leben kämpfte, sagte er, er habe Gott gefunden. Wir wissen, dass er mit einigen christlichen Gemeinschaften in Kontakt war und nach ewigen Werten suchte.»
Kommentator Uwe Birnstein sagte am 22. Februar 24 im Bayrischen Rundfunk unter dem Titel «Nawalny und die Sprengkraft des Glaubens»: «Ein Christ bietet den Unrechtsherrschern die Stirn – weil er keine Angst hat und überzeugt ist von der Botschaft Jesu. Nein, das Christentum hat nicht abgewirtschaftet. Seit Anbeginn verleiht der Glaube Menschen eine Kraft, die ausreicht, um Mauern und Bastionen der Ungerechtigkeit zum Einsturz zu bringen. Es ist nur eine Frage der Zeit. Auch in Russland.» mehr Informationen
Journalist John Sweeney, Autor vom Buch „Der Fall Nawalny – Mord im Gulag“ im Interview mit Marc von Lüpke
Nawalny war ein Held, allerdings ein Held mit Fehlern. Nawalny hatte keine noble Universität besucht, Englisch musste er sich selbst beibringen, wie so viele andere Dinge. Nawalny mangelte es aufgrund seiner Herkunft an einer gewissen Kultiviertheit und Raffinesse, er betrachtete die Dinge auf eine überaus originelle Art und Weise. Das war Fluch und Segen zugleich. Nawalny hatte mit seiner Rückkehr nach Russland eine Wette abgeschlossen – und zwar, dass er mittlerweile zu berühmt geworden war, um ermordet zu werden. Allerdings ging sein Kalkül nicht auf. In Russland ist es sehr schwierig, Fakten zu überprüfen, denn macht man das gründlich, ist man am Ende tot. Diesen Satz habe ich in meinem Buch geschrieben – und er ist wahr. Den einen Tag war er wohlauf im Straflager und machte Witze, den nächsten war er plötzlich tot. Das ist doch merkwürdig. Die Familie von Nawalnys Vater stammte aus der Gegend von Tschernobyl, wo 1986 ein Reaktorunfall bereits Menschenleben kostete und sowjetische Inkompetenz und Geheimniskrämerei dann noch mehr. Damals erkannte Nawalny, dass den Menschen die Wahrheit gesagt werden muss. Die Ironie besteht darin, dass Nawalny als Politiker gescheitert ist, aber als Journalist mit seinen beiden Videos ungeheuer erfolgreich war.