Im Mittelalter litten deutlich mehr Menschen an Krebs als bisher angenommen. Zu diesem Ergebnis kommen Forscher um den Archäologen Piers Mitchell von der University of Cambridge. Die Wissenschaftler haben Skelette von mittelalterlichen Friedhöfen auf Anzeichen von Tumoren untersucht. Aus der ermittelten Fallzahl leiteten sie ab, wie verbreitet Krebserkrankungen damals waren. Die Forscher berichten darüber in der Fachzeitschrift »Cancer«.
Mitchell und sein Team haben mittelalterliche Skelette nicht bloß äußerlich begutachtet, sondern zusätzlich mit Röntgentechnik durchleuchtet. Zweidimensionale Röntgenaufnahmen und Computertomografie (CT) halfen ihnen, auch solche Knochenschäden zu erkennen, die an der Oberfläche nicht sichtbar sind.
3,5 Prozent der Untersuchten zeigten tumortypische Skelettschäden – etwa Löcher im Gebein, wo einst Metastasen wucherten. Da CT-Verfahren aber nur drei von vier solchen Läsionen aufdecken und überdies nur jede zweite bis dritte tödliche Krebserkrankung in die Knochen streut, muss die wirkliche Zahl der Erkrankten höher gelegen haben. Mitchell und sein Team veranschlagen sie auf 9 bis 14 Prozent der untersuchten Personen. Und das ist noch vorsichtig geschätzt, denn die Forscher berücksichtigten lediglich Knochenschäden, bei denen kein Zweifel an der Krebsdiagnose bestand – und sie untersuchten nicht alle Skelettteile, sondern beschränkten sich jeweils auf Oberschenkelknochen, Becken und Wirbelsäule.
Die Ergebnisse des Teams weichen erheblich von bisherigen Schätzungen ab, laut denen etwa einer von 100 Menschen im Mittelalter Krebs hatte. Wenn der Anteil tatsächlich 10- bis 15-mal so hoch lag, wie die Arbeit vermuten lässt, wäre das bemerkenswert. Denn die Menschen damals konsumierten keinen Tabak (dieser kam erst im 16. Jahrhundert von Amerika nach Europa), sie waren nicht den Produkten und Schadstoffen der Industriegesellschaft ausgesetzt, sie lebten in der Regel nicht so bewegungsarm wie wir und erreichten auch meist nicht das Lebensalter heutiger Personen. »Bisher ging man davon aus, dass die wichtigsten Gesundheitskomplikationen im Mittelalter Infektionskrankheiten wie Ruhr und Beulenpest waren, zusammen mit Unterernährung und Unfallschäden oder Kriegsverletzungen. Jetzt müssen wir Krebs als bedeutendes Leiden hinzufügen, das die Menschen damals heimsuchte«, sagt Jenna Dittmar von der University of Cambridge, eine der beteiligten Autorinnen.
Zum Vergleich: In heutigen entwickelten Ländern wie Deutschland oder Großbritannien erkrankt jeder zweite bis dritte Mensch im Lauf seines Lebens an Krebs. Zu den wichtigsten Risikofaktoren zählen Tabak- und Alkoholkonsum, ungesunde Ernährung, Übergewicht, Bewegungsmangel, Luftverschmutzung und chronische Infektionen. Zudem wächst die Wahrscheinlichkeit, Krebs zu bekommen, umso stärker an, je älter man wird. mehr Informationen