In der Schweiz müssen katholische Kirchensteuerzahler „in Zukunft damit rechnen, dass ihre Finanzmittel im Einklang mit staatlichem Recht für kirchenferne oder kirchenfeindliche Aktivitäten eingesetzt werden“, heißt es in einer Erklärung des Bistums Chur. Sie nimmt Bezug auf eine Entscheidung des Schweizer Bundesgerichts. Dort haben die obersten Richter jetzt entschieden, dass es zulässig ist, wenn eine vom Staat geschaffene „Landeskirche“ Organisationen unterstützt, deren Handeln nicht mit den Grundsätzen der Glaubenslehre der katholischen Kirche vereinbar ist.
Neben der üblichen Struktur von Pfarrei und Bistum gibt es eine zweite Struktur. In jedem einzelnen der 26 Kantone können sowohl die Organisationsstruktur als auch der Name der Institution unterschiedlich sein. Als Rechtsperson im zivilen Recht anerkannt ist dabei meist nur die staatliche Organisationsform und nicht die eigentliche, nach Kirchenrecht verfasste Kirche.
In dem jetzt entschiedenen Verfahren hatte das Bistum Chur beim Bundesgericht Beschwerde gegen eine Entscheidung des Bündner Verwaltungsgerichts eingelegt. Der Grund dafür: Die staatliche „Katholische Landeskirche Graubünden“ unterstützt die Organisation „Adebar“. So nennt sich eine „Beratungsstelle für Familienplanung, Sexualität, Schwangerschaft und Partnerschaft für den Kanton Graubünden“. In Chur berät sie seit über 40 Jahren Menschen bei Fragen im Bereich der sexuellen Gesundheit. Finanziert wird sie von der „Landeskirche“, die auch Mitglied der Organisation ist, mit 15 000 Franken im Jahr. „Adebar identifiziert sich mit den Leitlinien von ,Planned Parenthood‘“, erklärt Giuseppe Gracia, Beauftragter für Medien und Kommunikation im Erzbistum Chur. „Die Organisation betrachtet Abtreibungen als legitim und begleitet deren Durchführung.“ Darüber hinaus stelle man dort Beratungsbestätigungen für straflose Abtreibungen bei Minderjährigen aus und befürworte In-vitro-Fertilisation samt Samenspende. „Die von ,Adebar‘ vertretenen Positionen betreffend Verhütung, künstliche Befruchtung und sexuelle Aufklärung sowie die dort propagierte Sexualpädagogik stehen im Widerspruch zum katholischen Glauben“, stellt Gracia fest.
Das Bistum Chur erhoffte sich mit der Anrufung des Bundesgerichts in Lausanne eine Klärung der Frage nach der Religionsfreiheit der katholischen Kirche in der Schweiz und der sich daraus ergebenden Folgen. „Es kann nicht richtig sein, wenn eine ,Landeskirche‘ unter der Marke ,katholisch‘ agiert, ihr Handeln aber nicht zu den Grundsätzen und zur Lehre der katholischen Kirche passt“, wandte das Bistum damals ein. Dies umso mehr, als dieses Handeln gegen die Prinzipien der Kirche auch noch mit Kirchensteuermitteln der Gläubigen unterstützt werde. „Das entwertet auch das kirchliche Zeugnis für den Schutz des menschlichen Lebens, das dadurch unglaubwürdig wird“, erklärt Gracia.
Das Bundesgericht musste nun zwischen zwei Alternativen entscheiden. Die eine wäre eine grundsätzliche Feststellung gewesen, dass die „Landeskirchen“ den Charakter haben, „im Dienst der eigentlichen katholischen Kirche zu stehen“.
Die andere Alternative war die Bestätigung, dass es nach dem Recht der Schweiz zulässig ist, dass die staatliche „Landeskirche“ berechtigt ist, gegen die ausdrücklichen Interessen und die Lehrmeinung der katholischen Kirche zu handeln.
In seiner am 17. Dezember 2018 ergangenen Entscheidung hat das Bundesgericht nun entschieden, dass die katholische Kirche einen solchen Eingriff in ihre Religionsfreiheit hinnehmen muss. Von katholischen Christen erhobene Steuern dürfen gegen die Interessen der katholischen Kirche einzusetzen.
Die Gelder, die die „Landeskirche“ von den katholischen Kirchensteuerzahlern erhebt, sind nach der Auffassung der Richter somit keine Gelder der katholischen Kirche. Das Bundesgericht bewertet sie vielmehr als staatliche Finanzmittel, die mittels einer Kultussteuer erhoben werden. Dies bedeutet, dass diese Mittel unabhängig von der katholischen Kirche und daher auch gegen ihre Glaubensvorgaben eingesetzt werden können. Da es insoweit um staatliches Handeln geht, haben einzelne Gläubigen keinen Anspruch darauf, „dass der Staat bestimmte Handlungen nicht vornimmt, fördert oder unterstützt, die mit seiner eigenen religiösen oder weltanschaulichen Auffassung nicht vereinbar sind“.
Das Urteil macht damit deutlich, dass das staatskirchenrechtliche System in der Schweiz in dieser Form für die katholische Kirche kaum noch länger für die Zukunft tragbar sein wird. mehr Informationen