Dennis Prager, ein jüdischer Autor aus Los Angeles, zeigte einen völlig neuen Ansatz auf, über den Holocaust nachzudenken, als er anlässlich der Holocaust-Konferenz 1991 in Berlin schrieb: „Im Judentum aber kann man nicht im Namen eines anderen vergeben. Nur derjenige, der verletzt wurde, kann vergeben. Wenn jemand meinem Freund etwas Böses zufügt, darf nicht etwa ich an seiner Stelle dem Übeltäter verzeihen. Deshalb kann kein Jude den Deutschen im Namen der von den Nazis Ermordeten vergeben. … Das Thema der Vergebung ist kein Thema für uns. Es ist nicht unsere Aufgabe, dafür zu sorgen. Weder Deutsche noch Juden sollten auch nur einen Gedanken daran verschwenden. Das wirkliche Thema lautet: Was haben wir aus dem Holocaust gelernt?“ (vergleiche Artikel: Was wir aus dem Holocaust lernen sollten)
Auch die Vergebung von Gott ist ein Thema, das Juden kontrovers betrachten.
Zum Stichwort Sündenvergebung meint Dennis Prager: „Welche Sünden der Menschheit sollte Jesu Tod sühnen? Da die Bibel nur Juden verpflichtet, die Gesetze zwischen Gott und Menschen einzuhalten, konnte die nichtjüdische Welt solche Sünden gar nicht begangen haben. Die einzigen Sünden, die Nichtjuden begangen haben könnten, wären die Sünden gegen andere Menschen“ (Judentum heute, S. 76). Juden verstehen es so, dass nur sie auserwählt sind, die Gebote gegenüber Gott einzuhalten. Wer nicht jüdisch ist, braucht lediglich die zwischenmenschlichen Gebote einzuhalten. Daher können Nichtjuden gegenüber Gott nicht sündigen und benötigen von ihm auch keine Vergebung. Deshalb ist für Juden das Christentum unverständlich.
Prager schreibt hierzu: „Laut jüdischer Lehre kann uns Gott selbst die Sünden gegen einen anderen Menschen nicht vergeben. Nur der Mensch oder die Menschen, die wir verletzt haben, können uns diese vergeben“ (Jh, S. 76). Nach jüdischer Auffassung mischt sich Gott nicht in die zwischenmenschlichen Beziehungen ein. Nur wer geschädigt wurde, kann vergeben. Das ist auch der Grund, weshalb nach jüdischem Verständnis für den Holocaust keine Vergebung zugesprochen werden kann, sondern man dessen nur gedenken kann. Rabbiner Chajim HaLevy Donin schreibt im Buch „Jüdisches Leben“ (S. 256): „Gott vergibt nur, wenn die gekränkte Person bereits verziehen hat.“ Das bedeutet, dass Vergebung nur geschehen kann, wenn das Opfer dazu bereit ist. Die Vergebung liegt also in der Hand des Opfers.
Im christlichen Glauben ist das umgekehrt. Jede Sünde ist auch ein Vergehen gegen Gott, weil man gegen Gottes Anweisung verstößt (vgl. Psalm 51,6; Römer 2,11-16). Durch die Vergebung in Jesus wird der Weg frei zur Versöhnung mit dem Nächsten. Es ist eine Besonderheit des christlichen Glaubens, dass Gott uns vergibt und uns hilft, auf den anderen zuzugehen.
In der Beziehung zu Juden können wir das Gedenken pflegen. Mit stellvertretender Vergebung stoßen wir auf Unverständnis. Als Christen empfangen wir Vergebung von Gott und werden dadurch frei auf andere zuzugehen und auch das Gedenken auszuhalten ohne den menschlichen Zuspruch von Vergebung zu erhalten. Die Wiedergutmachung übergeben wir Gott, da er zerbrochene Herzen heilen kann. Das ist ein dünne Linie, zwischen loslassen, nicht verharmlosen, sich jedoch nicht verbittern lassen.
Text: Hanspeter Obrist
Veröffentlicht am: 6. Mrz 2015 @ 18:10
Danke dir obrist-impulse!