(1.Mose 42,1- 44,34)
Not treibt zum Erlöser
Die Hungersnot im Nahen Osten im 17. Jahrhundert vor Christus erreichte auch Jakob und seine Familie. Jakob sagte deshalb zu seinen Söhnen: „Was seht ihr einander an? Geht nach Ägypten und kauft uns Getreide, damit wir am Leben bleiben und nicht sterben“ (1.Mose 42,1-2). Es scheint, als ob die Söhne Jakobs ahnten, dass in Ägypten nichts Gutes auf sie wartete. Sie sahen einander nur fragend an. Hatten sie doch ihren Bruder dorthin verkauft, weil sie ihn nicht leiden mochten. Doch ihnen gingen die Lebensmittel aus und so mussten sie sich auf den Weg von Josef machen. Ich weiß nicht, was sie dachten. Doch auf ihrem Weg wurden sie sicher daran erinnert, was sie Josef angetan hatten. Das war zwar schon vor mehr als 20 Jahren geschehen. 20 lange Jahre, in denen sie geschwiegen hatten. Keiner von ihnen hatte je den Versuch unternommen, die Sache zu ordnen und zu bekennen. Und jetzt kam diese Hungersnot, die sie dazu trieb, sich mit ihrer Vergangenheit nochmals auseinanderzusetzen. Nein, freiwillig hätten sie sich nie auf den Weg gemacht.
Ist das nicht auch bei uns so? Wie oft muss Gott ganze Welten in Bewegung setzen, damit wir Dinge in unserem Leben nochmals angehen. Wie mancher ist nur zum Glauben gekommen, weil Gott sein Leben richtig auf den Kopf gestellt hat. Leider muss Gott oft zum Äußersten greifen, um uns zu erreichen. Darum möchte ich Gott lieber aus freien Stücken entgegen gehen.
Das Mitleiden
Nun trafen die zehn kaltblütigen Brüder in Ägypten ein. Da Josef selber den Verkauf des Getreides regelte, mussten sie zu ihm gehen und beugten sich vor Josef nieder. Es geschah genau so wie es Josef damals geträumt hatte, als sich alle Garben vor seiner verneigten. Und jetzt neigten sie sich und wollten von „seiner Garbe“ Getreide. Josef hatte seine Brüder sofort erkannt. Die Brüder erkannten Josef jedoch nicht, denn er hatte sich zu sehr verändert. Josef „verdächtigte“ sie als Spione. In ihrer Antwort beteuerten sie, dass sie redliche Männer und alles Brüder seien. 12 Söhne seien sie gewesen, einer sei Zuhause und einer sei nicht mehr (1.Mose 42,13). Josef möchte sie prüfen, indem er sie auffordert ihren jüngsten Bruder nach Ägypten zu bringen (1.Mose 42,15). Doch zuerst ließ Josef sie drei Tage im Gefängnis schmoren. Hatten sie ihn damals auch drei Tage im Brunnen gelassen? Ich weiß es nicht, doch auch Jesus war drei Tage in der Erde bevor er auferstand. Als sie endlich ihr Getreide bekamen, behielt Josef Simeon in Ägypten zurück. Den Brüdern kam nun auf jeden Fall die Sache mit Josef in den Sinn. Sie sagten zueinander: „Wir sind schuldbeladen wegen unseres Bruders, den wir nicht anhörten, als er uns um Gnade anflehte. Darum ist diese Not über uns gekommen. Sein Blut wird nun von uns gefordert“ (1.Mose 42,21-22). Josef verstand jedes Wort von ihnen, sie jedoch meinten, er verstehe sie nicht, denn ein Dolmetscher war zwischen ihnen. Josef wurde es zu viel und er wandte sich von ihnen ab und weinte. Auch Jesus weinte um Jerusalem (Lukas 19,41).
Wie reagieren wir in ähnlichen Situationen? Plötzlich stehen die Menschen da, die uns das Leben schwer gemacht haben. Es wäre nichts als normal, wenn Josef sich an ihnen gerächt hätte. Josef wollte aber nicht seine Brüder durch Vergeltung verlieren, sondern gewinnen. Er wollte ihnen eine Chance geben, ihre Vergangenheit in einem neuen Licht zu sehen. Deshalb musste er außen hart bleiben. Das Motiv von Josef war nicht Vergeltung sondern Liebe. Nicht immer ist Liebe, einen sanften Weg zu gehen. Manchmal muss Liebe sehr bestimmt sein. Denn nicht ein schnelles Schuldbekenntnis ist zielführend, sondern Reue von ganzem Herzen. Genau das wollte Josef bei seinen Brüdern erreichen. Und das hatte ihn beinahe zerrissen.
Auch uns geht es oft nicht anders. Was ist wohl liebevoller: Wenn uns die Wahrheit gesagt wird oder man zu uns friedlich und höflich ist, bis es friedhöflich wird und wir das Angebot zu einem ewigen Leben verpassen?
Auch Eltern und Erzieher sind oft in der Situation des Josefs. Vielleicht hat es euch auch schon innerlich zerrissen und dennoch musstet ihr konsequent sein, um in den Kindern einen Denkprozess auszulösen. Denn Kinder müssen begreifen, was nicht in Ordnung war und in Zukunft geändert werden muss. W.Cecil sagte dazu: „Lobe deine Kinder öffentlich, aber weise sie hinter verschlossenen Türen zurecht.“
Jesus leidet auch heute an der Situation der Kinder Israels. Auch sie müssen viel erleiden, wie die Brüder Josefs.
Die Leiden Israels
Josef beauftragte seine Diener, das Geld wieder in die Getreidesäcke zu legen. Erst unterwegs stellten sie fest, dass das Geld wieder in ihren Säcken war. Zuhause kam keine Freude auf, da beim nächsten Mal auch Benjamin mitgehen sollte. Wäre die Hungersnot nicht weiter bestehen geblieben, so hätte wohl Simeon seine Brüder nie wieder gesehen. Ausgerechnet Juda, der damals beim Verkauf von Josef federführend war, nahm jetzt eine ganz neue Rolle ein. Er übernahm die Bürgschaft für seinen Bruder Benjamin (1.Mose 43,9). So machten sie sich auf und alles schien bestens abzulaufen. Sie bekamen sogar ein Ehrenmahl bei diesem sonderbaren Herrscher in Ägypten. Eigenartig war allerdings schon, dass er sie alle in der richtigen Reihenfolge an den Tisch setzen ließ. Als Josef seinem Bruder Benjamin begegnete, bewegte ihn das so sehr, dass er davoneilte und in einem Zimmer weinte. Nachdem er sich wieder im Griff hatte, aß er mit seinen Brüdern.
Am Morgen machten sich die Brüder auf. Doch als sie eben zur Stadt hinausgegangen waren, kamen Soldaten und sagten: „Warum habt ihr Gutes mit Bösem vergolten? Warum habt ihr den Becher gestohlen, aus dem der Herr trinkt und in dem er die Zukunft sieht?“ Die Brüder stritten es ab, diesen Becher mitgenommen zu haben. So einigte man sich, dass der, bei welchem der Becher gefunden wird, sterben sollte. Ausgerechnet im Sack Benjamins kam der Becher zum Vorschein. Da zerrissen die Brüder aus Trauer die Kleider und alle gingen zurück in die Stadt.
Das soll noch einer verstehen. Die Söhne des Jakobs hatten sich in Bezug auf den Getreidehandel nichts zuschulden kommen lassen und trotzdem wurden ihnen laufend Unterstellungen gemacht. Sie erschienen als Finanzjongleure, die den „Fünfer und das Weggli“ haben wollten und mit dem Becher gerieten sie in den Verdacht, eine Vorliebe für geheimnisvolle Kräfte zu haben. Es ist wie wenn durch diese Geschichte eine Vorandeutung gegeben wurde, was Israel durchleiden muss, wenn sie den auserwählten Gottes ablehnen. Keinem Volk wurde so viel unterschoben und kein Volk musste so viele Leiden ertragen. Gerade als Finanzjongleure, Besitzer von heimlichen Mächten und als Weltverschwörer wurden die Juden in den letzten 2000 Jahre oft verdächtigt und verfolgt. Ein Blick in die Geschichte lässt uns erschauern. Das traurige Fazit: Über 10 Millionen Juden sind schon umgebracht worden. Mich berührt besonders, dass sie den größten Teil aller Verfolgungen, durch die christlichen Völker erlitten. Eigentlich hätten sie nach Paulus die Juden zur Eifersucht reizen sollen (Römer 11,11). Doch das Gegenteil passierte. Die Kirche lebte den Juden nicht vor, wie der Gott Israels ihr Leben verändert und eine neue Liebe ins Herz gegeben hat. Die Christen weinten nicht um die Juden wie Jesus am Ölberg, sondern verurteilten sie und verstanden sich als Volk Gottes an ihrer Stelle.
Aus jüdischer Sicht ist am Christentum nicht viel Rühmliches. Deshalb verstehen sich die heutigen Jesusnachfolger in Israel nicht als „Christen“, sondern als Messianische Juden. Auch sie werden heute von vielen verraten. Leider reizen auch heute die wenigsten Christen das jüdische Volk durch ihr Leben dem jüdischen Messias Jesus nachzufolgen. Eines ist sicher: Ihr Auftrag ist nicht, die leidvolle Geschichte der Juden zu verlängern, sondern Zeichen der Liebe zu setzen und sich zum jüngsten Bruder zu stellen.
Hanspeter Obrist, September 2017
Josef – Modell des Christusweges
Josef – gesandt, unterwegs, verworfen, verleumdet, verkauft
Josef – verworfen von aller Welt
Josef – Wiederherstellung und Anerkennung
Josefs Leiden um Israel
Josef – Die Wiederannahme Israels
Jesus in der jüdischen Bibel
Abel – Der getötete Gottesknecht
Noah – Das Vertrauen in Gott hat ihn gerettet
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Der geheimnisvolle Gast von Abraham
Abrahams eigenartiger Opfergang
Jakobs Himmelsleiter
Jakobs Wende und neue Identität