In der rabbinischen Literatur entwickelten sich zwei Messias-Modelle: der Messias Ben Josef und der Messias Ben David.
„Messias Ben Josef“ meint im rabbinischen Sinn nicht den Sohn von Josef, den Mann der Maria, sondern einen Messias wie Josef, den Sohn des Jakob, oder – mit dem neuen Namen – Israel (siehe: „Die Sehnsucht nach einem Messias“ ).
Eine andere Verheißung spricht von einem Propheten wie Mose (5. Mose 18,18-19) und dem Messias Ben David, einem königlichen und mächtigen Messias.
Nach dem jüdischen Lexikon wird der Messias Ben Josef nach der heutigen jüdischen Tradition zuerst die Verstreuten sammeln und den Tempeldienst in Jerusalem wieder einrichten. Beim Angriff der widergöttlichen Mächte wird er Gog und Magog erschlagen, und sein Körper wird unbeerdigt in den Straßen Jerusalems liegenbleiben. Nach einer anderen Überlieferung wird er in himmlische Sphären entrückt werden. Dies könnte fast eine Beschreibung der zwei Zeugen aus dem Buch der Offenbarung sein (Offenbarung 11,3-12).
Interessant ist, dass die Bibel zwei Messias-Erscheinungen beschreibt. Das rabbinische Judentum versteht dies als zwei Personen. Jesus lehrte jedoch, dass er als jüdischer Messias zweimal kommt: zuerst als ein leidender Knecht und dann ein zweites Mal in Herrlichkeit, um seine Herrschaft sichtbar aufzurichten.
Die Geschichte von Josef ist tatsächlich ein Wegweiser, der auf den Messias hindeutet, oder ein Modell des Christusweges. Der Textabschnitt in 1. Mose 37,2-11 beginnt bereits etwas eigentümlich: „Das ist die Geschichte Jakobs: Josef, siebzehn Jahre alt, war als Jungknecht mit seinen Brüdern bei den Schafen.“ Hier würde man doch eher erwarten: „Das ist die Geschichte von Josef. Josef war siebzehn Jahre alt …“ Nein: Die Geschichte Jakobs wird durch seinen elften Sohn Josef geschrieben. Das weist uns auf die erste Eigenart Gottes hin: Gott schreibt seine Geschichte immer durch Personen. Hier wird durch Josef eine Familiengeschichte geschrieben. Gott schreibt Weltgeschichte durch den Messias Jesus. Jesus sagt von sich selbst (Johannes 14,6): „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“
Mit Jesus wird die Geschichte Gottes und der Menschen geschrieben. Gott handelt immer durch Personen. Und wenn Gott Geschichte schreibt, dann schreibt er sie nicht mit Personen, die in unseren Augen dafür besonders gut geeignet wären. Bei Jakob wäre die logische Folge gewesen, dass die Familiengeschichte durch Ruben, den ältesten Sohn, geschrieben wird. Aber hier wird die Geschichte Jakobs durch Josef geschrieben, den zweitjüngsten Sohn.
Gott schaut nicht auf unsere Herkunft oder Stellung. Er wählt sich Personen aus, die ihm entsprechen. Das hat er getan, als er Jakob vor dem erstgeborenen Esau erwählte. Das hat er getan, als er Isaak, den verheißenen Sohn, dem in Ungeduld gezeugten Ismael vorzog. Das tut Gott auch heute noch. Er hat seine eigenen Wege, wie er Menschen auswählt. Ganz eindrücklich kommt das in der Geschichte von David zum Ausdruck. Als Samuel einen der Söhnen Isais zum König salben sollte, wurde der kleinste und jüngste von ihnen von Gott erwählt. Denn so sagte Gott: „Der Mensch sieht auf das Äußere, der Herr aber sieht das Herz an“ (1.Samuel 16,7). Das sehen wir auch in der Geschichte von Josef. Auch Jesus wurde in eine Familie und Situation hineingeboren, die ungeeignet erschien und bis heute zu vielen Diskussionen führt. Gott schaut nicht auf Diplome, Titel und Auszeichnungen. Gott schaut auf das Herz.
Jakob schickte seinen Sohn Josef mit seinen Brüdern auf das Feld. Josef war kein Stubenhocker. Er verrichtete schon in jungen Jahren die harte Hirtenarbeit. Er wurde nicht herausgenommen und vor allem Schwierigen bewahrt. Vielmehr wurde er ins Leben hineingestellt.
Aber er war anders als seine Halbbrüder. Er nahm nicht am üblen Geschwätz seiner Brüder teil. Denn Josef liebte seinen Vater. Er konnte und wollte nicht hinter dem Rücken seines Vaters reden. Das tat ihm weh. Und so sagte er seinem Vater, was hinter seinem Rücken geschah. Das musste ja zu einem Konflikt führen. Doch wir sollten beachten, dass der Konflikt seinen Ursprung nicht bei Josef nahm, sondern bei seinen Brüdern, die schlecht über andere Menschen redeten. Wären die Brüder ehrenhafte Männer gewesen, hätte Josef bei seinem Vater auch nur Gutes über sie erzählen können.
Eines spüren wir aus den wenigen Zeilen heraus: Josef hatte eine tiefe, kindliche Beziehung zu seinem Vater. Auch Jesus hat eine solch innige Beziehung zum himmlischen Vater. Er spricht ihn mit ABBA an (Markus 14,36). Das ist eine aramäische Anrede, die ein Kind gebraucht, um seinen „Papi“ anzusprechen. Durch diese Anrede sehen wir, dass Jesus eine tiefe, kindliche Beziehung zum himmlischen Vater hat, in der man keinerlei Geheimnisse voreinander hat und sich vertrauensvoll alles sagt. Auch Christen haben durch Jesus eine solche vertrauensvolle Beziehung zu Gott. In Galater 4,6 heißt es: „Weil ihr nun seine Kinder seid, schenkte Gott seinen Heiligen Geist, den auch der Sohn hat. Deshalb dürft ihr jetzt im Gebet zu Gott sagen: ABBA, lieber Vater!“
Josef bekam von seinem Vater ein besonderes Gewand geschenkt. Menschlich gesehen war es ein problematischer Zug des Vaters, einen Sohn den anderen gegenüber zu bevorzugen. Vielleicht kann man sein Handeln nur vor dem Hintergrund dessen verstehen, was alles schon passiert ist. Jakob hatte eine solch große Freude an der tiefen Beziehung zu Josef, dass er ihm eine ganz besondere Freude machen wollte. Doch statt ihre Haltung gegenüber ihrem Vater zu überdenken, wurde Josef für die Brüder zum Stein des Anstoßes und sie hassten ihn.
Auch Jesus hat eine besondere Stellung bei Gott. Jesus betet in Johannes 17,24: „Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast; denn du hast mich geliebt, ehe der Grund der Welt gelegt war.“ Jesus hatte in der unsichtbaren Welt schon immer eine Vorrangstellung. Deshalb nahm der Engel Luzifer Anstoß an den Ordnungen Gottes (vgl. Jesaja 14,12-14 / Lucifer ist der lateinische Name des Morgensterns – Venus). Er wollte Gottes Ordnungen von sich abschütteln. Als gefallener Engel versucht er als Teufel unter den Menschen Feindschaft mit Gott zu säen (Matthäus 13,39) und die geraden Wege Gottes umzukehren (Apostelgeschichte 13,10).
Aus Matthäus 20,25-28 wissen wir, dass im Reich Gottes niemand erhöht wird, damit ihm alle dienen, sondern damit er in dieser Stellung anderen dient. In Gottes Reich „steigt man nicht auf“ sondern man „steigt ab“, um zu dienen. Man kann das mit einem Baum vergleichen. Je näher man den Wurzeln kommt, desto mächtiger und stärker wird ein Ast, damit er die neuen Äste tragen kann. So ist es auch bei den Nachfolgern von Jesus. Wer eine verantwortungsvolle Aufgabe übernimmt, soll darin nicht herrschen, sondern anderen dienen. Gott verleiht Einfluss und Stärke, um anderen zu dienen.
Das werden wir auch in der Geschichte von Josef noch miterleben können. Josef bekommt die Aufgabe, seinem Vater und seinen Brüdern zu dienen und für sie zu sorgen. Diese Stellung und Aufgabe entstand aus der kindlichen Beziehung zu seinem Vater heraus. Gott handelt immer durch Personen, die eine ganz besondere Beziehung zu ihm haben, welche geprägt ist von gegenseitiger Liebe. Das ist Gottes Ordnung. Doch daraus entsteht auch der Widerstand des Teufels. Er lehnt sich gegen Gottes Ordnungen auf. Auch wir Menschen stoßen uns wie Adam und Eva immer wieder an den Ordnungen Gottes. Opposition gegen Gott entsteht dadurch, dass wir uns über die Ordnungen Gottes und die Einzigartigkeit von Jesus ärgern.
Josef hatte einen Traum. Er hatte also nicht nur eine besondere Beziehung zum Vater und eine besondere Stellung, er bekam auch besondere Verheißungen. Aus seinen Träumen wurde klar, dass er eines Tages die führende Persönlichkeit im Haus Jakob sein wird und alle sich ihm unterordnen werden. Über Jesus gibt es eine ähnliche Voraussage. Sie steht in Philipper 2,9-11: „Darum hat ihn Gott erhöht und hat im den Namen gegeben, der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen alle Knie, die im Himmel, auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.“
Auch jeder Nachfolger von Jesus bekommt Verheißungen: „Ich gebe ihnen ewiges Leben, und sie gehen nicht verloren in Ewigkeit, und niemand wird sie aus meiner Hand rauben“ (Johannes 10,28). Und in Philipper 1,6: „Ich bin ebenso in guter Zuversicht, dass der, welcher ein gutes Werk in euch angefangen hat, es vollenden wird bis auf den Tag Christi Jesu.“
Von den Brüdern heißt es, dass sie Josef hassten. Sie konnten nicht mehr in Frieden mit ihm reden. Da war kein „Schalom“ mehr. Aus Eifersucht wurde Josef abgelehnt. Auch das ist wieder ein Bild, das auf Christus hindeutet. Als Jesus als der verheißene Prophet (5.Mose 18,15-18 / Siehe: „Ein Prophet wie Mose“) auf die Erde kam, ließen die führenden Juden Jesus durch die Römer als Aufständischen ans Kreuz schlagen. Im Hebräerbrief steht, dass er jetzt als Hohepriester im Himmel ist (Hebräer 4,14-16). Im Philipperbrief lesen wir, dass Jesus eines Tages als König über den ganzen Kosmos herrschen wird (Philipper 2,9-11) – eben als Messias Ben David.
Ärgern wir uns manchmal wie die Brüder von Josef über Gottes Ordnung? Oder lassen wir uns hineinnehmen in diese kindliche vertrauensvolle Beziehung zu Gott, in der man Gott alles sagt und wartet, bis Jesus als König des Universums offenbart wird? Wir selber können diese Entscheidung treffen: Nehmen wir an Jesus Anstoß oder erkennen wir Gottes Art und seine Ordnungen an? Denken wir daran: Gott schaut nicht auf das Äußere, sondern auf das Herz.
Text: Hanspeter Obrist April 2017
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