IS-Zellen in der Türkei aktiv

Der Anschlag auf eine kurdische Hochzeitsgesellschaft in Gaziantep hatte etwas besonders Erschütterndes. Das liegt nicht nur am Tatort, den sich die Hintermänner für ihr Verbrechen ausgesucht hatten – was kann es Unpolitischeres und Friedlicheres geben als eine Hochzeit? Es liegt auch nicht allein an dem Umstand, dass etwa die Hälfte der Opfer Minderjährige waren, viele von ihnen im Vorschulalter. Es hat vor allem damit zu tun, dass die Tat auch von einem Kind verübt wurde – oder zumindest durch ein Kind.

Unklar blieb freilich weiterhin, ob das Kind im eigentlichen Sinne Täter war, also den Sprengstoff selbst zündete, oder als Tatwaffe benutzt wurde. Auf die zweite Möglichkeit deuten Berichte hin, das Kind sei von den eigentlichen Tätern in die Mitte der Feiernden vorgeschickt worden, bevor die Explosion per Fernzündung ausgelöst wurde.

„Bekannt“ hatte sich unterdessen noch niemand zu dem Blutbad.

Die türkische Führung bezeichnete den Anschlag bereits wenige Stunden nach der Tat als wahrscheinliches Werk des IS. Erdogan ging sogar bemerkenswert weit in seiner Deutung des Vorfalls: Er sagte, in der Vergangenheit sei die Polizei schon gegen IS-Zellen in Gaziantep vorgegangen, und kündigte an: „Natürlich werden unsere dortigen Sicherheitskräfte diese Einsätze noch intensiver fortsetzen.“

Allein das Eingeständnis, dass die Türkei auch im Innern ein Problem mit dem IS hat, dass es überhaupt maßgebliche Kräfte dieser Terrororganisation innerhalb ihrer Grenzen gibt, ist bemerkenswert.

Noch vor einem Jahr hätte man eine solche Aussage schwerlich aus dem Munde eines führenden Ankaraner Regierungspolitikers gehört. Freilich nährt die türkische Regierungspartei AKP auch weiterhin die abstruse Theorie, der IS sei eine Erfindung des Westens zur Spaltung der Muslime. Nach dem Anschlag von Gaziantep war es Justizminister Bekir Bozdag, der als Verschwörungstheoretiker vom Dienst in Erscheinung trat. Er sprach von den „dunklen internationalen Kräften“ die den IS geschaffen hätten. Dessen Ziel sei es, die Menschen dazu zu bringen, den Islam und die Muslime zu hassen, wusste der Justizminister.

So sieht sich die türkische Regierung nun in ihrer eigenen Sichtweise gleich im Kampf mit drei Terrororganisationen stehend, die kurdische Terrororganisation PKK, den IS und die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen.

Dass die Gülen-Bewegung eine Terrorbande sei, nimmt man Ankara im Westen nicht ab, denn belastbare Beweise dafür hat die von der AKP kontrollierte türkische Justiz bisher nicht vorlegen können.

Gegen den IS kann der Kampf jedoch nur erfolgreich sein, wenn der Krieg in Syrien endet. In diesem Zusammenhang ließ der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim am Wochenende aufhorchen, als er leichte Kurskorrekturen in der Syrien-Politik seines Landes andeutete.

Bisher war die türkische Politik einseitig auf einen Sturz des syrischen Diktators Baschar al Assad fixiert. Um dieses Ziel zu erreichen, unterstützte Ankara in den ersten Jahren des syrischen Zerfallskrieges bedenkenlos auch islamistische Kräfte. Assad sei das Erzübel, der IS nur dessen Ausgeburt, so die türkische Haltung. Ein Kampf gegen den IS könne nur Erfolg haben, wenn zuvor Assad gestürzt sei.

Von dieser Linie ist die Türkei nun offenbar abgerückt. Man schließt in Ankara nicht mehr aus, dass Assad zumindest übergangsweise noch eine Rolle spielen könne. Entscheidend sei ein Ende des Blutvergießens in Syrien, sagte Yildirim am Samstag, wenige Stunden vor dem Anschlag von Gaziantep. Er deutete an, wenn es dazu nötig sei, übergangsweise auch eine Rolle Assads in einem Friedensprozess zu akzeptieren, dann sei die Türkei bereit dazu. Yildirim kündigte an, dass die Türkei in den kommenden sechs Monaten wieder eine aktivere Rolle spielen werde in Syrien.

Bewirkt haben den Sinneswandel möglicherweise auch die Gespräche Erdogans mit Wladimir Putin unlängst in St. Petersburg. mehr Informationen

Siehe auch den Beitrag über die Kindersoldaten

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