Nina-Hagen: „Ja, Glaube versetzt Berge“, sagt sie, während sie eine Parkbank im Schatten ansteuert. „Wenn man sich mit Gott einlässt, gibt man ihm die Chance, dass er an einem arbeitet. Da wird gehobelt und geschliffen. Dann wird man wieder demütiger und stärker und besser“, philosophiert sie mit ihrer unverwechselbaren kehligen, tiefen, rauchigen Stimme, während sie die Gitarre auspackt.
Am liebsten würde sie jede Frage musikalisch beantworten. „Alle wollen in den Himmel, aber keiner hat Bock auf Tod“, singt sie. Um die gebürtige Ost-Berlinerin scharen sich Spaziergänger, filmen mit und fotografieren. Nina genießt das spontane Konzert vor Publikum, rollt die Augen und schneidet Grimassen.
„Ich habe keine Angst vor dem Tod“, sagt die Tochter einer Schauspielerin und eines Drehbuchautors. „Ich bin in der Welt, aber nicht von der Welt. Verstehste?“, antwortet sie auf die Frage, wo ihre Heimat sei. „Well, im Heimatland der Seelen, im Gottesreich voll Sonnenschein ist mein Zuhause.“ Mit „Well“ beginnt sie gerne Sätze. Ein Überbleibsel der vielen Jahre, in denen sie in Kalifornien lebte.
Schon als Kind war sie auf der Suche nach Gott. „Well, meine Eltern waren Atheisten, aber ich hatte ja die katholische Tante, Muschel genannt, in der DDR. Mit ihr hab’ ich das erste Mal gebetet.“ Eines Tages wollte sie testen, ob es Gott wirklich gibt. Ninchen begann, wild auf Gott zu schimpfen: „`Der geht mir so was von am A…. vorbei, dem pups ich den Radetzkymarsch!`, schrie ich und wartete auf Gottes Zeichen.“ Am nächsten Morgen stürzte die Stieftochter des Lyrikers und Liedermachers Wolf Biermann in der Schule vom Stufenbarren, war bewusstlos und wachte mit einem gebrochenem Bein im Krankenhaus wieder auf. „Da wusste ich, Gott gibt’s! Und ich hab’ entschlossen zu Muschels Bibel gegriffen.“
Erstmals sei ihr Jesus „erschienen“, als sie mit 19 Jahren, schmerzgekrümmt auf einem LSD-Trip, ein Nahtoderlebnis hatte. „An seiner unbeschreiblichen, riesigen Liebe hab’ ich ihn erkannt. Und ich hörte die Musik des Himmels. Mit dem Wissen um seine niemals endende göttliche Liebe kehrte ich auf diese durchgeknallte Erde zurück.“
Vor zwei Jahren ließ sie sich evangelisch reformiert taufen. Warum erst so spät? „Weil ich zur Gemeinschaft gehören wollte. Durch die Taufe kapieren meine Landsleute, dass ich kein Feind bin, kein durchgedrehter Mensch.“ Sie ist der Meinung, „dass alle Fasern meines Seins sich der Wahrheit ausstrecken, und die Wahrheit will doch immer wieder reformiert werden.“ Deshalb wählte sie die Reformierte Kirche. „Es gibt in der katholischen zu viel Kummer. Und mich irritiert, dass man die Mutter von Jesus Christus anbetet.“
Sie respektiere alle Religionen. Respekt, Liebe und Toleranz – das ist ihr Motto. „Durch die Taufe wollte ich auch zeigen, dass ich mich von dem Lügen-Guru, dem ich in einem indischen Ashram auf den Leim gegangen bin, absentieren will.“
Auf der Suche nach der irdischen Liebe ist Nina Hagen immer gescheitert. Ihre große Liebe, sie war damals 13, hat sie erst betrogen. „Als er 23 war, ist er an einer Überdosis gestorben.“ Wie auch später der Vater ihrer Tochter Cosma Shiva. „Well, wo die Liebe verloren war, war’s immer ein großer Schmerz.“ Zwei Ehen scheiterten genauso wie die vier Beziehungen mit um 15 bis 28 Jahre jüngeren Männern. „Ohne die Liebe Gottes wäre ich nicht die starke Nina Hagen geworden.“
Jetzt ist sie Single, Witwe, Mutter und hoffentlich bald Großmutter. „Ich lebe, in meinem hohen Alter, seit acht Jahren freiwillig zölibatär. Hört mal auf, in meinen Jugendsünden zu bohren. Ich hab’ doch nur die Liebe gesucht. Ich hab’ sie bei den Menschen nicht gefunden. Nur bei Gott“, krächzt die Sängerin. „Ich bin immer nur weggetreten worden. Ich hab’ so viel über die menschliche Natur lernen dürfen“, sagt die Punk-Lady.
Heute brauche sie keine Sexualität mehr. „Ich bin eine Nonne. Gott wird mir auch nicht übel nehmen, dass ich nach der großen Liebe gesucht habe.“ Zigaretten sind ihre einzigen Laster. Alkohol trinke sie schon lange kaum mehr. „Und wenn du mit Jesus unterwegs bist, brauchst du keine Drogen.“
Wie oft sie betet, will sie nicht an die große Glocke hängen. „Das ist eine Sache zwischen mir und meinem Schöpfer. Vielleicht ist mein ganzes Leben ein Zwiegespräch mit ihm“, sagt sie, packt ihre Gitarre ein und winkt den Zaungästen im Stadtpark zu. Ein freundlicher Blick, ein Lächeln. „Wir werden als Kinder Gottes erkannt, wenn wir einander lieb haben, wenn wir uns lieber auf die Zunge beißen, bevor wir sie als Schwert benützen.“