Gott spricht uns durch den Heiligen Geist an. Er gibt uns einen neuen Lebensinhalt und verändert unseren Charakter. Zuerst jedoch schenkt uns der Heilige Geist eine neue Sicht auf uns selbst und auf Gott. In Johannes 16,8 steht über den Heiligen Geist: „Er wird den Menschen die Augen für ihre Sünde öffnen, aber auch für Gottes Gerechtigkeit und sein Gericht.“
Wenn wir Gottes Wirken durch den Heiligen Geist in unserem Leben zulassen, beginnen wir langsam zu realisieren, dass es wirklich einen Gott gibt, der sich für uns Menschen interessiert und uns liebt. Uns gehen die Augen auf, wer und wie Gott ist. Und auf einmal erkennen wir auch, was es bedeutet, dass Gott heilig ist und wie sündhaft wir selbst sind.
Folgende Darstellung hat mir geholfen:
Die obere Linie stellt unsere Gotteserkenntnis dar. Je länger wir leben, desto mehr erkennen wir, wer und wie Gott ist. Er ist heilig. In seiner Gegenwart gibt es keine Lüge, kein Missbrauch, keine Manipulation, kein Vergleichen, kein Abwerten, kein Denunzieren. Er ist die reine Liebe und bei ihm ist Licht – man kann nichts verbergen.
Die andere Linie, die von der Geburt her kommt und langsam abfällt, ist die Linie, die meine Sündenerkenntnis darstellt. Je länger ich lebe, desto mehr erkenne ich, zu was ich als Mensch eigentlich fähig bin. Am Anfang meines Lebens habe ich oft gedacht, ich sei ein echt guter Typ, aber je länger ich lebe, desto mehr stelle ich fest, wie ich auch noch sein kann. Ich muss mir eingestehen, dass ich zu genau den gleichen schlechten Dingen fähig bin wie andere Menschen.
Ich möchte das am Beispiel des Gebotes „Du sollst nicht töten“ verdeutlichen. Nein, ich habe noch nie jemanden umgebracht, ist mein erster Gedanke. Doch je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr wird mir klar, dass man auch Rufmord begehen kann, indem man schlecht über andere redet. Durch solche Verleumdungen sind schon ganze Leben zerstört worden. Und wie ist es, wenn ich Menschen um mich herum meide und ihnen aus dem Weg gehe? Bricht das unter Umständen nicht auch das Herz eines Menschen, wenn ihm alle ausweichen und niemand mit ihm zu tun haben möchte? Eigentlich ist schon das Urteilen über einen anderen und das Bewerten von Menschen problematisch. Habe ich tatsächlich das Recht, zu denken: Dieser Mensch ist ein A und jener ein B? In der Bibel lesen wir, dass wir uns schon schuldig machen, indem wir das Gute unterlassen, von dem wir wissen, dass wir es tun könnten (Jakobus 4,17). Da merken wir plötzlich, dass auch wir anderen Menschen einen Teil ihres Lebens nehmen, indem wir uns ihnen verweigern, statt sie so anzunehmen wie sie sind, sie positiv zu ermutigen oder sie zu fördern.
Wenn ich diese zwei Linien anschaue, fällt mir auf, dass zwischen mir und Gott eine große Differenz besteht. Zwischen dem, wie Gott ist und dem, wie ich bin, befindet sich ein Keil. Diese Erkenntnis bewirkt der Heilige Geist. Wo er am Wirken ist, erkennen Menschen auf einmal, wer sie selbst sind und wer Gott ist. Genau das meint Jesus, wenn er sagt: „Er wird den Menschen die Augen für ihre Sünde öffnen, aber auch für Gottes Gerechtigkeit und sein Gericht.“ Durch den Heiligen Geist können Menschen erkennen, dass sie ohne Jesus vor Gott nicht bestehen können.
Das Zweite, das der Heilige Geist aufzeigt, ist das Gericht. Wir wissen, dass Jesus stellvertretend für uns gestorben ist. Die ganze Unterschiedlichkeit zwischen mir und Gott ist durch den Tod von Jesus überbrückt. Durch den Heiligen Geist können wir in Jesus Christus Kontakt mit dem himmlischen Vater haben. Diese Erkenntnis und die bewusste Entscheidung, dies für sich anzunehmen und zu glauben, wird in gewissen Kreisen als Bekehrung bezeichnet.
Während mein Leben fortschreitet, wird die Differenz immer grösser zwischen der Erkenntnis, wie heilig Gott ist und der Erkenntnis, wozu ich als Mensch fähig bin. Wenn ich aber das Kreuz nehme und in der gleichen Größe wieder einsetze, muss ich feststellen, dass zwischen dem Kreuz und meiner Differenz zu Gott eine Lücke entsteht. Ich habe die Vergebung durch Jesus angenommen, doch wie lebe ich weiter? In mir kam immer mehr das Gefühl auf, dass ich Gott trotz erfahrener Vergebung nicht genügen kann. Kennst du dieses Gefühl auch?
Was soll ich mit diesem Gefühl tun? Wie kann ich es zum Verschwinden bringen? Dafür gibt es verschiedene Methoden. Eine Art, dieses Gefühl zu beruhigen, ist der Vergleich mit anderen. Meist stelle ich dann fest: Im Verhältnis mit anderen stehe ich dann noch recht gut da. Ja, wenn ich die Fehler der anderen nochmals so richtig vor meinen Augen Revue passieren lasse, dann werde ich im Verhältnis sogar immer besser.
Wir stellen fest, wie gut wir uns fühlen, wenn wir andere klein machen. Wir reden dann gern über die schlechten Gewohnheiten und Neuigkeiten der anderen. „Hast du schon gehört, dass …“. Ja, das beruhigt uns ungemein. Im Verhältnis mit anderen stehen wir doch gar nicht so schlecht da. Das gibt ein gutes Gefühl.
Doch ich habe auch erlebt, dass man genau das Umgekehrte tut: Man macht sich so klein wie möglich. Dazu gehören Redensarten wie: „Ich kann nichts, ich bin nichts, …“. Die erwartete Wirkung blieb meistens nicht aus: Sofort beginnen die anderen, einen zu ermutigen und zu trösten. Und das gibt uns doch ein echt gutes Gefühl – nicht wahr?
Eine andere Möglichkeit ist, dass wir uns zurückziehen, um möglichst keine Fehler zu machen. Um nicht in Berührung mit der „Welt“ zu kommen, wird man weltfremd.
Und dennoch stand da immer noch die Frage: „Genüge ich Gott?“ Diese Frage stellte ich mir lange, bis mir anhand dieser Darstellung plötzlich aufging: Jesus ist für die ganze Differenz gestorben.
Seine Vergebung gilt immer und ich darf sie für mich in Anspruch nehmen. Das Ziel von uns Christen ist, die Vergebung immer dankbarer in Anspruch zu nehmen und nicht, sie immer weniger zu brauchen.
Früher meinte ich, dass ich zwar zunächst die Vergebung von Gott brauche, aber dann im Lauf meines Lebens als Christ mit der Zeit ein immer besserer Mensch werde und so die Vergebung immer weniger in Anspruch nehmen muss. Bildlich gesprochen würde dann das Kreuz immer kleiner werden. Doch das ist ein Trugschluss.
Je länger ich mit Gott lebe, desto mehr stelle ich fest, dass ich die Vergebung von Jesus immer wieder brauche, denn ich merke immer mehr meinen Mangel und wie heilig Gott ist. So darf mir die Erlösung durch Jesus immer lieber werden. Mit immer mehr Freude darf ich sie in Anspruch nehmen und Gott dafür danken, weil ich erkenne, dass Jesus mir alles vergibt. Am Ende meines Lebens kann ich einmal vor Jesus stehen und ihm von ganzem Herzen für seine Erlösung danken. Es ist nicht das Ziel, „heilig“ zu werden, sondern als „Geheiligte“ zu leben.
Adolf Schlatter formulierte das so: „Glauben an Jesus Christus heißt, bei ihm allein Hilfe suchen gegen die Sünde, Not und Tod.“
Und Benjamin Berger aus Israel drückte es so aus: „Die Gemeinde ist ein Kreis von Menschen, die wissen, dass sie vor Gott nur durch die Gnade in Jesus bestehen können. Wenn das gelebt wird und spürbar ist, werden andere dazu kommen, weil sie auch frei werden wollen von ihren Sünden, Lasten und Bindungen.“
Wenn Jesus uns alles vergibt, sollen wir nun munter drauflos sündigen?
Dazu möchte ich eine Gegenfrage stellen: Was machst du, wenn du geduscht hast? Schmierst du dich dann auch gleich wieder mit Dreck ein? Ziehen wir nicht viel lieber frisch gewaschene Kleider an? In unserem Alltag werden wir zwar wieder schmutzig, doch sobald es uns möglich ist, reinigen wir uns zum Beispiel wieder die Hände. Nur kleine Kinder springen auf dem Schulweg in die dreckigsten Pfützen. Doch wenn sie heranreifen, werden auch sie den Schmutz meiden.
Genauso ist es mit der Vergebung bei Gott. Wer die Sünde nicht meidet, der hat noch nicht begriffen, was Sünde überhaupt ist. Wir werden in unserem Alltag immer wieder Dinge tun, die nicht in Ordnung sind. Doch das muss uns nicht entmutigen. Das Dritte, das der Heilige Geist uns aufzeigt, ist, dass die Herrschaft des Teufels gebrochen ist. Gott selbst befreit uns von allem, was uns fesselt und verändert unser Leben durch den Heiligen Geist.
Was hat sich damals bei mir geändert, als ich das entdeckt habe?
Mein Verhalten zu Gott und meinen Mitmenschen wurde radikal anders. Ich wurde frei davon, ein kampf- und krampfhaftes Christsein leben zu müssen. Ich erhielt eine gesunde Gelassenheit, weil Jesus mir schon alles vergeben hat. So fällt es mir heute viel leichter, zu Fehlern zu stehen. Ich muss andere nicht mehr ausspielen, denn ich weiß, dass wir alle aus der Vergebung leben und auf dem Weg sind, veränderte Menschen zu werden.
Achtung: In diesem Artikel geht es nicht um die Beichte, sondern um die Erkenntnis über das Wesen der Sünde (Zielverfehlung) und die Heiligkeit Gottes. Anbetracht der Unterschiedlichkeit wird die Barmherzigkeit Gottes (Gnade) immer größer.
Hanspeter Obrist 7.11.2014