Das Thema Israel ist wie ein Minenfeld. Es gibt viele Punkte, an denen die Emotionen hochgehen. Hier schauen wir auf einige Grundsätze.
Als Christen berufen wir uns immer wieder auf die jüdische Bibel. Aus jüdischer Sicht ist das eine Zumutung. So schrieb mir jemand im Internet: „Jesus kommt im Judentum definitiv nicht vor, weder explizit noch als Andeutung. … Wo steht in der Torah etwas von Jesus?“ Aus jüdischer Sicht interpretieren wir etwas in die Schriften hinein, was dort nicht steht, obwohl in 5. Mose 18,18-19 vom „Propheten wie Mose“ gesprochen wird und Petrus (Apostelgeschichte 3,22-23) und Stephanus (Apostelgeschichte 7,37) sich in ihren Erklärungen auf diese Stelle beziehen.
Hinzu kommt, dass wir unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was nach dem Tod geschieht. Die Juden glauben an eine Auferstehung auf diese Erde. Das bedeutet, dass für sie das Land und Jerusalem einen ganz anderen Stellenwert haben.
Juden haben auch ein komplett anderes Glaubensverständnis. Wir verstehen das Judentum oft so, wie wir es aus der Bibel kennen. Aber das Judentum hat sich verändert. Dennis Prager und Joseph Telushkin schreiben in ihrem Buch „Judentum heute“ (S. 76): „Welche Sünden der Menschheit sollte Jesu Tod sühnen? Da die Bibel nur Juden verpflichtet, die Gesetze zwischen Gott und Menschen einzuhalten, konnte die nichtjüdische Welt solche Sünden gar nicht begangen haben. Die einzigen Sünden, die Nichtjuden begangen haben könnten, wären die Sünden gegen andere Menschen“. Diese Sünden haben aber nach heutigem Verständnis nichts mit Gott zu tun und können nur durch Menschen aber nicht stellvertretend vergeben werden. Deshalb laufen geschichtliche Sühnebemühungen ins Leere.
Wenn wir Juden von Jesus erzählen, nennt das der Rabbiner Joel Berger „die Fortsetzung des Holocaust mit anderen Mitteln“,. Wie kommt er darauf?
Eliyah Havemann schreibt in seinem Buch „Wie werde ich Jude?“: „Nach orthodoxer Lesart ist jeder Mensch ein Jude, der eine jüdische Mutter hat.“ (Seite 17). „Nach chassidischer Leseart hat ein Jude im Gegensatz zu allen anderen Menschen eine zweite Seele neben der irdischen, die jeder Mensch und auch jedes Tier hat. Die zweite, himmlische oder g’ttliche Seele macht den Juden zum Juden“ (Seite 232).
Wenn ein Jude Jesus als Messias annimmt, dann geht die jüdische Seele verloren. Das ist schlimmer, als wenn ein Jude getötet wird und seine Seele in eine neue, irdische Existenz zurückkehrt.
Wir brauchen oft ähnliche Begriffe, meinen aber etwas ganz anderes damit. Wir sind uns im Glauben nicht einig und doch leben wir von den gleichen Verheißungen.
Paulus beschreibt das so in Römer 11,25-28 (Hfa): 25 Damit ihr nicht überheblich werdet, liebe Brüder, möchte ich euch anvertrauen, was mir Gott offenbart hat. Ein Teil des jüdischen Volkes ist zwar blind für die Botschaft von Jesus Christus. Aber das wird nur so lange dauern, bis alle Heiden, die Gott dafür ausersehen hat, den Weg zu Christus gefunden haben. 26 Danach wird ganz Israel gerettet, so wie es bei den Propheten heißt: «Aus Jerusalem wird der Retter kommen. Er wird Israel von seiner Gottlosigkeit bekehren. 27 Und das ist der Bund, den ich mit ihnen schließe: Ich werde sie von ihren Sünden befreien.» [Jesaja 59,20-21 /Jeremia 31,34 ] 28 Indem sie das Evangelium ablehnen, sind viele Juden zu Feinden Gottes geworden. Aber gerade dadurch wurde für euch der Weg zu Christus frei. Doch Gott hält seine Zusagen, und weil er ihre Vorväter erwählt hat, bleiben sie sein geliebtes Volk.“
Wir halten fest: Gott hat sich den Menschen durch das jüdische Volk offenbart. Er ist der Gott Israels, aber nicht nur der Gott für Israel.
Es hat immer auch Nichtjuden gegeben, die an den Gott Israels geglaubt haben, wie z.B. Rahab (Josua 2,9-12), Rut (Rut 1,16) und Naaman (2.Könige 5,18).
Der jüdische Messias soll auch ein Licht für die Völker werden. In Jesaja 49,6 heißt es: „Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, um die Stämme Jakobs aufzurichten und die Bewahrten Israels zurückzubringen. So mache ich dich auch zum Licht der Nationen, dass meine Rettung reicht bis an die Enden der Erde.“
Gott wird sich der Menschheit noch einmal durch Israel offenbaren.
In Hesekiel 38,16 heißt es: „Am Ende der Tage wird es geschehen, dass ich dich über mein Land kommen lasse, damit die Nationen mich erkennen, wenn ich mich an dir, Gog, vor ihren Augen als heilig erweise.“
Gog aus dem Norden ist bei Hesekiel der Anführer der grauen Länder.
Gott offenbart sich an Israel. Das heißt, es gibt eine irdische Verheißung für das jüdische Volk.
Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass Jesus von einer Neugeburt und einem ewigen Leben spricht. Es gibt also auch eine geistliche Verheißungslinie.
Das Bild, das Paulus verwendet, ist das eines Ölbaumes, bei dem Zweige abgeschnitten und unedle eingepfropft werden, aber auch die ursprünglichen Zweige werden wieder eingepfropft.
So heißt es in Römer 11,17: „Einige Zweige dieses Baums sind herausgebrochen worden. An ihrer Stelle wurdet ihr als Zweige eines wilden Ölbaums aufgepfropft. So lebt ihr von den Wurzeln und Säften des edlen Ölbaums.“ „20 sie wurden herausgebrochen, weil sie nicht glaubten. Und ihr seid an ihrer Stelle, weil ihr glaubt. Seid deshalb aber nicht hochmütig, sondern passt auf, dass es euch nicht genauso ergeht.“ „23 Alle aus dem Volk Israel werden wieder eingepfropft, wenn sie den Glauben nicht länger ablehnen.“ Damit Zweige wieder eingepfropft werden können, muss das Volk Israel weiter existieren und sich nicht assimilieren.
Wir haben zwei Ebenen. Eine geistliche Ebene und eine irdische Ebene. Das gibt es auch in den Kirchen. Es gibt Menschen, für die geht es um ihre Beziehung zu Gott. Und andere bleiben auf der gesellschaftlichen Ebene.
König Friedrich der Große von Preußen (1712 – 1786) fragte einmal seinen General Ziethen: „Nennen Sie mir einen Beweis dafür, dass es Gott gibt!“ Ziethen antwortete: „Majestät, die Juden.“
Gott hält Wort: gegenüber dem jüdischen Volk und gegenüber den Menschen, die Jesus nachfolgen.
Wenn Gott seine Zusagen ändern würde, wüssten wir auch nicht, ob das, was Jesus gesagt hat, eintreffen wird.
Deshalb erfüllt Gott seine Zusagen, auch wenn das jüdische Volk sich nicht immer so verhält, wie Gott es sich vorgestellt hat. Er erfüllt seine Verheißungen aber manchmal ganz anders, als wir uns das vorstellen, weil wir mit unserem begrenzten Blick vieles gar nicht wahrnehmen können.
Gott liegt das jüdische Volk am Herzen. Deshalb weinte Jesus, als er sich Jerusalem näherte (Lukas 19,41). In Matthäus 23,37 heißt es: „Jerusalem, Jerusalem, die da tötet die Propheten und steinigt, die zu ihr gesandt sind! Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küken versammelt unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt!“
Als Christen wollen wir den Herzschlag Gottes spüren. Das bedeutet, wir projizieren keine heile Welt auf Israel und schwelgen nicht in einen Philosemitismus. Auf der anderen Seite ist uns Antisemitismus fremd. Ebenso ein Hass auf eine Gruppe von Menschen.
Unsere Freundlichkeit kann auch schwer enttäuscht werden, weil man uns Negatives unterstellt oder uns ausnützt.
Es ist auch nicht so, dass unsere Haltung zu Israel allein über Segen und Fluch entscheidet. Vielmehr sollen wir alle Menschen segnen und dabei das jüdische Volk nicht ausschließen.
Derzeit gibt es eine Welle antisemitischer Verschwörungen. Antisemitische Propaganda wird übernommen, ohne darüber nachzudenken, was das eigentlich bedeutet. Wenn Juden keinen Platz mehr bei uns haben, dann sind die Christen die nächsten, die ausgegrenzt werden.
Immer wieder wird die Frage gestellt, warum die Juden so anecken. Eine logische Antwort lautet: Weil sie an Gott erinnern. Und weil man mit diesem Gott nichts zu tun haben will, möchte man sie aus der Welt schaffen. Das Gleiche gilt auch für die Christen.
Es gibt oft keine logischen Gründe, warum man gegen Glaubende vorgeht. Denn gerade die christlichen Länder sind heute tolerant gegenüber Andersdenkenden.
Wenn quere Menschen heute zur Vernichtung der Juden aufrufen, ist das ein großes Paradox, denn in Gaza werden diese Menschen auf das Schärfste verfolgt und gleichzeitig ist Tel Aviv ein sicherer Hafen für alle queren Menschen im Nahen Osten. Kein Land der Welt toleriert, dass auf Zivilisten geschossen wird und man sieht einfach tatenlos zu. Kein vernünftiges Land wird sich einer kleinen Terrorgruppe beugen. Das bringt weder Friede noch Freiheit, sondern Unterdrückung. Das sehen wir in Afghanistan. In einem freien Land spricht man mit Andersdenkenden und macht sie nicht mundtot.
Je besser man die Verhältnisse in Israel kennt, desto komplizierter werden die Lösungsvorschläge. In Hebron und Jerusalem haben schon immer Juden gelebt. Ein Gebiet judenrein zu machen und von den Juden zu verlangen, alle radikalen Araber aufzunehmen, ist ein Paradox in sich.
Als Christen leben wir mit dem jüdischen Messias und Gott Israels. Seine Liebe zum jüdischen Volk prägt uns, ebenso seine Liebe zu allen Menschen und damit auch zu den Arabern.
Unser Ansatz ist: Wir alle brauchen Veränderung. Durch Jesus versöhnen wir uns mit Gott, mit unseren Mitmenschen und mit unserem Leben.
Text: Hanspeter Obrist