Mit wenigen Worten, stets liebenswürdig vorgetragen, und warmherzigem Gesten versteht es Franziskus, selbst nicht katholische Menschen in seinen Bann zu ziehen. Ohne Worte, doch lächelnd offenbarte er, dass er sich weder von der palästinensischen noch israelischen Sache vereinnahmen lasse. Mit Hilfe einer schlichten Geste an der Sperrmauer zwischen Israelis und Palästinensern rügte er die israelische Besatzung, zeigte den Palästinensern durch sein Gedenken an Theodor Herzl jedoch wenig später, dass er den Zionismus keineswegs als Werk des Teufels betrachtet. Auch sein Besuch am Denkmal für israelische Anschlagsopfer ist ein Zeichen dafür, dass er das Leid der Israelis genauso ernst nimmt wie das der Palästinenser.
Ökumenische Einheit in der Grabeskirche
Die ökumenische Feier von Papst Franziskus und Patriarch Bartholomaios strotzt nur so vor Symbolik. Jeder betritt den Platz vor der Grabes- und Auferstehungskirche durch einen anderen Zugang; dann treffen sie sich in der Mitte des Platzes, umarmen sich, die Glocken läuten. Petrus umarmt seinen Bruder Andreas. Getrennt gingen sie hinein, gemeinsam kommen sie hinaus.
Zum ersten Mal wird der Status Quo, der das komplizierte Miteinander der Christen am Ort von Tod und Auferstehung von Jesus regelt, durchbrochen: Zum ersten Mal beten die Christen hier nicht nur neben- oder gar gegeneinander, sondern miteinander. Dass das auch organisatorisch schon eine Herausforderung ist, darauf deutet vielleicht die etwa einstündige Verspätung, mit der die Feier beginnt, bei Anbruch der Dunkelheit. Außer katholischen Bischöfen sind auch der koptische, der syrisch-orthodoxe und der äthiopische Erzbischof anwesend, dazu der anglikanische sowie der lutherische Bischof von Jerusalem. Im Innern des Komplexes beobachten die Generalkonsuln der fünf Mächte das Geschehen, die den Status Quo garantieren: Frankreich, Belgien, Spanien, Italien, Griechenland. Sowie einige weitere Konsuln des sogenannten „Corpus separatum“ von Jerusalem: aus Schweden, den USA, der Türkei und Großbritannien.
Die drei Verantwortlichen der Kirche begrüßen den Papst und den Patriarchen; es sind ein orthodoxer Grieche, ein Armenier und ein Franziskaner. Gemeinsam verehren die zwei Kirchenführer aus Rom und Istanbul dann den Salbungsstein am Eingang der Grabeskirche, wo nach der Tradition der Leichnam Jesu nach der Abnahme vom Kreuz für die Grablegung vorbereitet wurde, er stellt auch die 13. Kreuzwegstation dar. Ein griechischer Chor singt, als Franziskus und Bartholomaios schließlich den sogenannten Chor der Franziskaner erreichen, der dem Heiligen Grab gleich gegenüberliegt. Das Evangelium von der Auferstehung wird vorgetragen, auf Griechisch und Lateinisch: „Er ist nicht hier, er ist auferstanden, wie er es gesagt hatte“.
Das Grab Christi lädt uns ein, alle Ängste fahren zu lassen und mit Gottes Überraschungen zu rechnen – das sagt Patriarch Bartholomaios in seiner Predigt. Auch Papst Paul VI. und der Ökumenische Patriarch Athenagoras I. hätten vor fünfzig Jahren bei ihrer historischen Begegnung in Jerusalem alle Angst beiseitegeschoben, „die ein Jahrtausend lang beide alte Kirchen, die des Westens und die des Ostens, auf Distanz zueinander gehalten hatte“. Sie, die Nachfolger dieser beiden „großen Kirchenführer“, seien heute hier, um die historische „Umarmung der Liebe“ von damals zu wiederholen und beide Kirchen „auf dem Weg der Liebe, der Versöhnung, des echten Friedens und der Treue zur Wahrheit“ voranzubringen.
„Das ist der Weg, den alle Christen gehen sollten, ganz gleich zu welcher Kirche oder Konfession sie gehören! Dadurch geben sie der ganzen Welt ein Beispiel. Die Straße kann lang und schwierig sein, ja sogar manchmal wie eine Sackgasse erscheinen. Aber sie ist der einzige Weg, um den Willen des Herrn zu erfüllen, dass alle eins seien.“
Gemeinsam beten Papst Franziskus und Patriarch Bartholomaios einen Moment im Heiligen Grab und auf dem Golgotha-Felsen, da wo einst das Kreuz Jesu stand. Sie segnen die Teilnehmer an dieser historischen Stunde, dann fahren sie – im selben Auto – zum Lateinischen Patriarchat. Dort endet dieser denkwürdige Abend mit einem gemeinsamen Abendessen.
Brüderlicher Kontakt und Austausch
Bei einer Begegnung mit dem Jerusalemer Großmufti Mohammed Hussein am Montagmorgen auf dem Tempelberg sagte Franziskus: „In diesem Moment wende ich mich in Gedanken der Gestalt Abrahams zu, der als Pilger in diesem Land lebte. Moslems, Christen und Juden erkennen in Abraham – wenn auch auf unterschiedliche Weise – einen Vater im Glauben und ein großes Vorbild, das man nachahmen soll. Er wurde Pilger, verließ sein Volk und sein Vaterhaus, um jenes geistliche Abenteuer einzugehen, zu dem Gott ihn rief.“
Franziskus hob positiv den „brüderlichen Kontakt und Austausch“ zwischen beiden Glaubensgemeinschaften hervor, der sich in Treffen wie diesem widerspiegele. Solche Begegnungen seien Kraftquellen, die gemeinsame Herausforderungen bewältigen ließen, so der Papst. Gemeinsamer Auftrag von Christen und Muslimen sei hier die Verwirklichung von „Frieden und Gerechtigkeit“, unterstrich Franziskus. Und erneut warnte er vor einem Missbrauch der Religion zu Zwecken der Gewalt und Unterdrückung: „Liebe Brüder, liebe Freunde, von diesem heiligen Ort aus richte ich an alle Menschen und Gemeinschaften, die sich in Abraham erkennen, einen tief besorgten Aufruf: Achten und lieben wir einander als Brüder und Schwestern! Lernen wir, das Leid des anderen zu verstehen! Niemand gebrauche den Namen Gottes als Rechtfertigung für Gewalt! Arbeiten wir gemeinsam für die Gerechtigkeit und den Frieden!“
Der Großmufti von Jerusalem meinte: „Wir sind Verkünder der Wahrheit, und wollen, das unsere Rechte respektiert werden“, so Mohammed Hussein wörtlich. Er beklagte sich über die Einschränkung der Bewegungsfreiheit für Jerusalems Bewohner, denen Israel „aus Sicherheitsgründen und anderen Gründen“ keinen Zugang zu den Heiligen Stätten gewähre: „Das ist ein Angriff auf die Würde des Menschen und sein Recht, den Herrn, Gott, zu verehren.“ Wenn ein solches Verhalten weiter Schule mache, werde ein „Weltkrieg“ ausbrechen, formulierte der Großmufti. Und er wandte sich an Papst Franziskus mit der Bitte, diesen „falschen Verhaltensweisen gegen Jerusalem und seine muslimischen und christlichen Bewohner“ Einhalt zu gebieten. Damit ist sein Statement in der der traditionellen Linie der Drohung geblieben. Der sunnitische Großmufti hatte sich vor gut zwei Jahren harsche Kritik Israels und der Europäischen Union zugezogen, als er einen religiösen Text zitierte, in dem zur Tötung von Juden aufgerufen wird.
Zeichen der Wiedergutmachung
Anschliessend besuchte Franziskus als erster Papst das Grab Herzls. Israelische Medien werteten die Geste von Franziskus als Zeichen der Wiedergutmachung nach der Ablehnung Herzls durch Papst Pius X. (1903-1914). Herzl hatte 1904 Pius X. in Rom aufgesucht und um Unterstützung für seine Idee gebeten. Nach Herzls Tagebucheintragung wies der Papst das Ansinnen mit den Worten zurück: „Die Juden haben unseren Herrn nicht anerkannt, und daher können wir das jüdische Volk nicht anerkennen.“
Nach seiner Visite am Herzl-Grab besuchte der Papst eine Gedenkstätte für Terrorismusopfer, die sich in der Nähe befindet. Der Besuch war nicht geplant und wurde auf Wunsch des Papstes eingeschoben. Es ist ein Zeichen dafür, dass Franziskus das Leid der Israelis genauso ernst nimmt wie das der Palästinenser.
Im Angesicht des Schreckens
In einer kurzen Ansprache in Yad Vashem bezeichnete der Papst den Holocaust als eine „unermessliche Tragödie“. „Wer bist du, o Mensch, Wer bist du geworden? Zu welchem Gräuel bist du fähig gewesen? Was hat dich so tief fallen lassen?“, sagte Franziskus. „Niemals mehr o Herr, niemals mehr!“ Mit diesen Worten hat Papst Franziskus in Jerusalem der von den Nationalsozialisten ermordeten Juden gedacht. Seine Ansprache in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem an diesem Montagmorgen war eine Meditation, die um diese drei Begriffe kreiste: Schmerz, Schuld und Erbarmen. Am Ende ging der Papst dabei ins Gebet über.
Franziskus setzte in seiner Meditation die „Tragödie des Holocaust“ in Bezug zum Sündenfall: „Der Vater kannte das Risiko der Freiheit; er wusste, dass der Sohn verlorengehen könnte… doch vielleicht konnte nicht einmal der Vater sich einen solchen Fall, einen solchen Abgrund vorstellen! Jener Ruf ,Wo bist du?‘ tönt hier, angesichts der unermesslichen Tragödie des Holocaust wie eine Stimme, die sich in einem bodenlosen Abgrund verliert… Mensch, wer bist du? Ich erkenne dich nicht mehr. Wer bist du, o Mensch, Wer bist du geworden? Zu welchem Gräuel bist du fähig gewesen? Was hat dich so tief fallen lassen?“ „Wer hat dich verdorben? Wer hat dich verunstaltet? Wer hat dich angesteckt mit der Anmaßung, dich zum Herrn über Gut und Böse zu machen? Wer hat dich überzeugt, dass du Gott bist? Nicht nur gefoltert und getötet hast du deine Brüder, sondern du hast sie als Opfer dir selber dargebracht, denn du hast dich zum Gott erhoben. Heute hören wir hier wieder die Stimme Gottes: Adam, wo bist du?“
Ausgehend vom alttestamentarischen Buch Baruch verband der Papst das Schuldbekenntnis dann mit der Bitte um Vergebung: „Ein Übel ist über uns gekommen, wie es unter dem ganzen Himmel noch nie geschehen ist. Jetzt aber, o Herr, höre unser Gebet, erhöre unser Flehen, rette uns um deiner Barmherzigkeit willen. Errette uns aus dieser Ungeheuerlichkeit.“
Aus der Meditation ging der Papst dann über ins Gebet: Gegen Gott hat der Mensch gesündigt, Gottes Erbarmen braucht der Mensch. Die Scham über das Begangene sei eine „Gnade“, so der Papst. „Denk an uns in deiner Barmherzigkeit. Gib uns die Gnade, uns zu schämen für das, was zu tun wir als Menschen fähig gewesen sind, uns zu schämen für diesen äußersten Götzendienst, unser Fleisch, das du aus Lehm geformt und das du mit deinem Lebensatem belebt hast, verachtet und zerstört zu haben. Niemals mehr, o Herr, niemals mehr!“
Ins Ehrenbuch der Gedenkstätte schrieb der Papst nach seiner Meditation auf Spanisch: „Mit Scham über das, was der Mensch, der im Bild und der Ähnlichkeit Gottes nach geschaffen wurde, fähig war zu tun; mit der Scham des Menschen, der sich zum Herrn des Bösen gemacht hat; mit der Scham über das, was der Mensch, der sich für Gott hielt, geopfert hat für sich selbst und für seine Brüder. Nie wieder, nie wieder!“
Vor seiner Meditation sprach Franziskus kurz mit sechs Überlebenden des Holocaust, wobei er vorab jedem einzelnen – für alle überraschend – die Hände küsste. Bei seiner Ankunft in Israel hatte Franziskus am Sonntag den Besuch in Yad Vashem als einen „besonderen Moment“ seines Aufenthalts bezeichnet. Er bete zu Gott, dass ein solches Verbrechen nie wieder geschehe. Auch viele Christen und andere seien ihm zum Opfer gefallen.
Weg zu einer engeren Freundschaft
„Gemeinsam können wir einen wichtigen Beitrag für die Sache des Friedens leisten“, sagte Franziskus bei dem Treffen mit dem aschkenasischen Oberrabbiner David Lau und dem sephardischen Oberrabbiner Izchak Josef im jüdischen Kultur Zentrum in Jerusalem. Er zählte auf, was seiner Meinung nach den Weg zu einer engeren Freundschaft ebnen könnte: „Die gegenseitige Kenntnis unseres geistlichen Erbes, die Wertschätzung dessen, was wir gemeinsam haben, und die Achtung dessen, was uns trennt.“
Hier ist die Kirche geboren
Kurz vor seiner Heimreise feierte der Papst dann noch eine Messe im Abendmahlssaal, dem zweitheiligsten Ort der Christenheit. Franziskus sagte: „Liebe Brüder, es ist ein großes Geschenk, das der Herr uns macht, uns hier im Abendmahlssaal zu versammeln, um Eucharistie zu feiern. Hier, wo Jesus mit den Aposteln das Letzte Abendmahl einnahm; wo er, auferstanden, in ihrer Mitte erschien; wo der Heilige Geist mit Macht auf Maria und die Jünger herabkam. Hier ist die Kirche geboren“. „Vom Vater gesandt, übertrug der auferstandene Jesus im Abendmahlssaal den Aposteln seinen eigenen Geist, und mit dieser Kraft sandte er sie aus, das Antlitz der Erde zu erneuern (vgl. Ps 104,30).“
Der Abendmahlssaal liegt aber über einem Raum, in dem seit dem Mittelalter das Grab Davids verehrt wird. Ultraorthodoxe Juden in Jerusalem haben deswegen am Samstag gegen den Besuch von Papst Franziskus protestiert. Sicherheitskräfte und Passanten wurden von etwa 100 Männern bespuckt und mit Essensresten beworfen. Radikale jüdische Gruppen behaupten seit Wochen, der Saal solle der katholischen Kirche übereignet werden, das würde eine Entweihung des Grabes und der Synagoge darin bedeuten.
Der Gebäudekomplex ist ein Wirrwarr von Gebäude-Annexen. Für die Muslime ist es das Grab Davids, es ist ein ursprünglich christliches Narrativ, das dann von den Muslimen übernommen wurde und 1948 haben einige jüdische Gruppen das Gebäude übernommen und auch noch einmal umgebaut. Es ist der einzige Ort auf der Welt, der drei Religionen heilig ist. Das Gebäude hat ein Minarett, eine muslimische Gebetsnische und Predigtkanzel, sowie eine Synagoge. Seit 1948 ist der Gebäudekomplex ein Museum. Eine Anfrage von Seiten des Heiligen Stuhles und von Seiten der Franziskaner, diesen Ort als interreligiösen Ort des Gebetes zu nutzen gab den Anlass zu den Unruhen. „Jetzt kochen die Emotionen hoch, weil einige extremistische Splittergruppen im Judentum sagen ‚Nein, die Christen sind Götzenverehrer und wenn Götzenverehrer dort feiern, dann können wir dort nicht mehr beten. Das bringt im Augenblick sehr viele negative Emotionen.“
Brandanschlag
Kurz vor Ende des Besuchs von Papst Franziskus in Jerusalem hat es am Montag in der katholischen Kirche Dormitio-Abtei auf dem Zionsberg einen Brandanschlag gegeben. Diese ist nur wenige Meter Abendmahlsaal auf dem Zionsberg entfernt. Jemand ist in die Krypta der Kirche hinabgestiegen, hat sich ein von Pilgern benutztes Buch genommen und es nahe der Orgel angezündet. Es wurden Holzkreuze sowie Mobiliar in Brand gesetzt.
Peres drückte die Hoffnung aus, dass der Besuch des Papstes die Chancen auf Frieden in Nahost und die Realisierung der Zweistaatenlösung erhöhen werde. „Einen jüdischen Staat – Israel. Und einen arabischen Staat – Palästina“, nannte der Staatschef als Ziel.
Zitate aus http://de.radiovaticana.va