Jerusalem ist eine besondere Stadt. Juden, Christen und Muslime verbinden Teile ihres Glaubens mit diesem Ort. In Sacharja 12,3 steht: „Zur selben Zeit will ich Jerusalem zum Laststein für alle Völker machen. Alle, die ihn wegheben wollen, sollen sich daran wund reißen; denn es werden sich alle Völker auf Erden gegen Jerusalem versammeln. Siehe, ich will Jerusalem zum Taumelbecher zurichten für alle Völker.“
Jerusalem ist nach jahrhundertelanger völliger Bedeutungslosigkeit in den Fokus der gesamten Weltöffentlichkeit gerückt. Alle scheinen ihren Auftrag darin zu sehen, für Jerusalem eine Lösung zu finden. Moshe Amirav, der im Jahr 2000 bei der Begegnung zwischen Clinton, Arafat und Barak in Camp David zugegen war, sagte einmal zu Hanspeter: „Über alles hätte man sich einigen können – nur nicht über den Tempelplatz. Was diesen besonderen Ort angeht, brauchen wir neue, kreative Ideen.“
Muslime richten ihr Augenmerk erst seit 1967 vermehrt auf Jerusalem, nachdem Israel die Kontrolle über die Stadt übernommen hat. Der Felsendom mit seiner goldenen Kuppel wurde zum Symbol des Widerstandes gegen Israel, obwohl die Verwaltung des Tempelberges stets bei den Muslimen blieb. Aus religiöser Sicht spielt der Felsendom kaum eine Rolle. Er ist ein Gebetshaus für Frauen. Wenn Muslime auf dem Tempelplatz beten, wenden sie dem sagenumwobenen Felsen den Rücken zu, da sie am Südrand in und um die Al-Aqsa-Moschee Richtung Mekka beten.
Interessant ist, dass Jerusalem, auf Arabisch Al Kuds (Die Heilige), im Koran nicht erwähnt ist. Als Mohammed 622 n. Chr. aus seiner Heimatstadt Mekka nach Medina floh, betete er nach jüdischer Sitte Richtung Jerusalem, so wie es auch die Gewohnheit des Propheten Daniel in der Bibel war (Daniel 6,11). Die Juden lehnten jedoch den neuen Glauben Mohammeds ab. So entstand ab 624 n. Chr. nach Sure 2,142–152 die neue Gebetsrichtung nach Mekka.
Immer wieder wird behauptet, Mohammed sei in Jerusalem in den Himmel gefahren. In Sure 17,1 steht: „Preis Ihm, der bei Nacht seinen Diener hinweg führte von der Heiligen Moschee zu der Fernen Moschee“ (nach der Übersetzung von Ahmadeyya). Die „Heilige Moschee“ wird allgemein in Mekka angesiedelt. Mohammed kann nach seiner Flucht nach Medina frühestens ab 628 wieder an diesem Ort gewesen sein, da erst der Friedensvertrag mit Mekka den Besuch dieser Stadt ermöglichte. Was jedoch mit der „Fernen Moschee“ gemeint ist, wirft Fragen auf. Ab 628 befand sich Jerusalem wieder unter christlich-byzantinischer Herrschaft. Auf dem Tempelplatz stand die Ruine der Marienkirche, die vom oströmischen Kaiser Justinian um 530 n. Chr. am südlichen Rand des riesigen Areals erbaut worden war. Das Gebiet der Byzantiner wird im Koran (Sure 30,3) als das „Land nahebei“ bezeichnet. Deshalb ist der Begriff „fern“ unpassend.
Nach dem Tod Mohammeds (632 n. Chr.) wurde Jerusalem 638 n. Chr. vom zweiten Kalifen Umar erobert und fiel so in den islamischen Machtbereich. Als im islamischen Bürgerkrieg die Wallfahrt nach Mekka unmöglich wurde, errichtete Abd al-Malik den Felsendom als alternative Kultstätte (687–691 n. Chr.), da hier der Felsen verehrt wurde, auf dem Abraham seinen Sohn hätte opfern sollen. Nachdem der Felsendom fertig gestellt war, ließ Abed al-Malik die steinerne Al-Aqsa-Moschee („el-Masgid al-Aqsa“, d.h. „Fernste Moschee“) auf den Grundmauern der Marienkirche errichten. Die Moschee wurde 707 n. Chr. unter Abd al-Maliks Sohn Kalif al-Walid I. fertig gestellt.
Juden haben einen tiefen religiösen Bezug zu Jerusalem. Ihr traditioneller gegenseitiger Gruß am Ende des Eröffnungsabends am Pessach-Fest lautet: „Nächstes Jahr in Jerusalem.“ Dennoch bestand unter den Juden bis 1880 kein allgemeines Interesse, sich in Jerusalem wieder anzusiedeln. Viele wundern sich heute darüber, denn Juden erwarten kein jenseitiges Leben in einem himmlischen Jerusalem, sondern eine Auferstehung in ein sichtbares Friedensreich auf dieser Erde, das von Jerusalem ausgehen und durch den Messias errichtet werden wird. In der Bibel finden wir die Beschreibung des kommenden Königreichs unter anderem in Jesaja 11. In Jesaja 2,4 steht dazu Folgendes: „Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“
Als König David Jerusalem vor rund 3000 Jahren eroberte, machte er die Stadt zum Regierungssitz. Indem er die Bundeslade in die „Davidsstadt“ holte und durch seinen Sohn Salomo den Tempel errichten ließ, wurde Jerusalem zum religiösen Zentrum des Judentums. In 2. Chronik 6,6 steht, dass Gott sich mit diesem Ort verband: „Aber Jerusalem habe ich erwählt, dass mein Name dort sei, und David habe ich erwählt, dass er über mein Volk Israel König sei.“ Bei der Einweihung des ersten Tempels erfüllte Gottes Gegenwart als sichtbares Zeichen den Tempel (2. Chronika 5,14; 7,1). In Joel 4,17 steht: „Ihr sollt’s erfahren, dass ich, der HERR, euer Gott, zu Zion auf meinem heiligen Berge wohne. Dann wird Jerusalem heilig sein, und kein Fremder wird mehr hindurchziehen.“
Christen sehen in Jerusalem ein Symbol für das himmlische Jerusalem. Durch Jesus offenbarte sich der unsichtbare Gott. Jesus lehrte, wirkte, starb und erstand vom Tod in Jerusalem. Jesus war der erste, der von einem transzendenten Jerusalem sprach, in dem alle Menschen, die mit ihm leben, eine Wohnung erhalten werden (Johannes 14,2). Diese übersinnliche Welt durchdringt schon jetzt unsere Dimension, ist aber nicht an Raum und Zeit gebunden. In Jesus wurde diese Realität in Jerusalem sichtbar und wird, nach den Aussagen der Engel bei seiner Himmelfahrt, nochmals bei seiner Wiederkunft auf dem Ölberg wahrnehmbar werden (Apostelgeschichte 1,11).
Das irdische Jerusalem rückt daher bei Christen in den Hintergrund. Jerusalem ist Schauplatz der Offenbarung Gottes, aber nicht Ziel des Glaubens wie im Judentum. Deshalb ist nicht das irdische Jerusalem das Hauptthema im christlichen Glauben, sondern das himmlische Jerusalem. Dieses wird im letzten Buch der Bibel, in Offenbarung 21 und 22, beschrieben.
In Offenbarung 21,3 und 4 steht: „Hier wird Gott mitten unter den Menschen sein! Er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein. Ja, von nun an wird Gott selbst in ihrer Mitte leben. Er wird alle ihre Tränen trocknen, und der Tod wird keine Macht mehr haben. Leid, Klage und Schmerzen wird es nie wieder geben; denn was einmal war, ist für immer vorbei.“
Jerusalem steht für Gottes Gegenwart und die Gemeinschaft mit ihm. Paulus sagt in Römer 8,32.34–35: „Gott hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle dem Tod ausgeliefert. Sollte er uns da noch etwas vorenthalten?“ „Denn ich bin ganz sicher: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Dämonen, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch irgendwelche Gewalten, weder Hohes noch Tiefes oder sonst irgendetwas können uns von der Liebe Gottes trennen, die er uns in Jesus Christus, unserem Herrn, schenkt.“