Der neue ägyptische Verfassungsentwurf soll am 15. Dezember 2012 zur Volksabstimmung vorgelegt werden. Der aktuelle Verfassungsentwurf ist islamischer als alle früheren Verfassungen Ägyptens, auch wenn er nicht so weitreichend ist wie zum Beispiel die islamischen Verfassungen des Iran oder von Saudi-Arabien.
Laut Mursi seien sich „alle einig, dass die islamische Scharia die Verfassung ist, die alle Aspekte des Lebens beherrscht. Nur das, was im ehrenwerten Koran übermittelt wurde, wird gelesen und befolgt werden … Der Koran wird die Grundlage für alle Angelegenheiten der allgemeinen Bevölkerung – nicht nur der Muslime – und ihrer Aktivitäten in der Politik, Landwirtschaft, Wirtschaft und allen anderen Bereichen sein.“
Hier eine Zusammenfassung einzelner Atikel in Bezug auf Religion.
Artikel 1 definiert das ägyptische Volk nun als „Teil der islamischen Nation“, eine Definition, die in der vorherigen Verfassung nicht erschien.
Artikel 2, der den Islam als „Staatsreligion“ und „die Grundsätze der islamischen Scharia“ als „die Hauptquelle der Gesetzgebung“ definiert, bleibt unberührt.
Dafür wurde Artikel 219 der Verfassung hinzugefügt, um Artikel 2 zu erklären. „Der Ausdruck „Grundsätze der islamischen Scharia“ bezieht sich auf die allgemeinen Methoden der juristischen Argumentation, auf die fundamentalen juristischen Regeln und Grundsätze und auf die geschriebenen Quellen, die von den sunnitischen juristischen Schulen anerkannt werden.“ Damit will man eine enge Auslegung von Artikel 2 verhindern, wie sie die Liberalen wollen. Artikel 219 gibt dagegen Artikel 2 eine umfassendere Lesung, die die Umsetzung eines grösseren Teils der Scharia ermöglichen und von der Gesetzgebung erfordern würde, den Grundsätzen der sunnitischen Rechtslehre zu entsprechen. Artikel 219 ermöglicht Diskriminierung gegen alle, die keine sunnitischen Muslime sind, einschliesslich der Schiiten.
Artikel 3, neu in die Verfassung aufgenommen, definiert „die kanonischen Grundsätze der ägyptischen Christen und Juden“ als „die Hauptquelle der Gesetzgebung für ihr Personenstandsrecht, ihre religiösen Angelegenheiten und die Auswahl ihrer geistlichen Führer“. Dieser Artikel wurde eingeführt, um einen Anschein von Toleranz zu erwecken und um die Kopten zu beschwichtigen, die behaupteten, dass Artikel 2 als Grundlage für Diskriminierung gegen sie dienen würde.
Artikel 4 wurde in den Verfassungsentwurf aufgenommen, um den Status der Al-Azhar als religiöse Autorität des Staates zu festigen. Er definiert die Al-Azhar als „eine umfassende unabhängige islamische Institution, mit exklusiver Autonomie über ihre eigenen Angelegenheiten“ und den Al-Azhar-Scheich als einen „unabhängigen“ Positionsinhaber, der „nicht entlassen werden kann“. Mit anderen Worten, dieser Artikel erkennt die Al-Azhar als das höchste religiöse Organ Ägyptens an und präsentiert sie als eine apolitische Einrichtung, die Unabhängig von der Regierung ist. Im Artikel 4 heisst es: „Führende Gelehrte der Al-Azhar müssen in Angelegenheiten des islamischen Rechts konsultiert werden“.
Artikel 6 erklärt, „das politische System beruht auf den Prinzipien der Demokratie und der Schura (ein islamischer Grundsatz, der den Herrscher verpflichtet, massgebliche Berater zu konsultieren)“. Damit soll klargestellt werden, dass Ägypten trotz der Einbeziehung von islamischen Grundsätzen kein Gottesstaat ist.
Artikel 10 erklärt: „Die Familie ist die Grundlage der Gesellschaft und begründet auf Religion, Moral und Patriotismus. Der Staat und die Gesellschaft bemühen sich, den wahren Charakter der ägyptischen Familie, ihren Zusammenhalt und ihre Stabilität zu bewahren und ihre moralischen Werte zu schützen, wie es jeweils vom Recht geregelt ist. Der Staat wird kostenlose Gesundheitsdienstleistungen für Mutter und Kind garantieren und die Versöhnung zwischen den Pflichten einer Frau gegenüber ihrer Familie und gegenüber ihrer Arbeit ermöglichen …“ Frauenorganisationen fürchteten, dass die Unterwerfung der Gleichberechtigung der Frauen unter die Richtlinien der Scharia zur Senkung des gesetzlichen Mindestalters für eine Ehe, zur Verordnung des Hidschab, zur Verweigerung des Rechts auf Scheidung für Frauen, usw. führen würde. Die Klausel in der Verfassung von 1971, die die Vertretung von Frauen im Parlament sicherstellte, wurde aus dem Verfassungsentwurf entfernt. Es gibt jedoch einige Versuche, das Problem der Diskriminierung – wenn auch nicht speziell in Bezug auf Frauen – anzugehen.
So im Artikel 33, der besagt: „Vor dem Gesetz sind alle Bürger gleich. Sie haben ohne Diskriminierung die gleichen öffentlichen Rechte und Pflichten.“
Artikel 43 besagt, „die Freiheit des Glaubens ist ein unantastbares Recht“ und „der Staat garantiert für die göttlichen Religionen die Freiheit, religiöse Riten zu praktizieren und Gebetsstätten einzurichten“. Menschenrechtsorganisationen wollten, dass der Artikel die Worte „absolute Freiheit des Glaubens“ beinhalte und behaupteten, dass die schwächere Formulierung „Freiheit des Glaubens“ den Übertritt zu einer anderen Religion verhindere. Darüber hinaus sieht dieser Artikel nur den Kult der monotheistischen Religionen vor, im Gegensatz zur früheren Verfassung, die die Freiheit der Religionsausübung nicht auf bestimmte Religionen irgendeiner Art beschränkte.
Artikel 44 besagt, „Beleidigung oder Missbrauch aller religiöser Gesandten und Propheten ist verboten“.