Es fehlt die Basis für Verhandlungen – auf beiden Seiten. Denn beide Seiten haben zu viel zu verlieren
Wenn die syrische Regierung wirklich einen Waffenstillstand zulässt, kann sie nicht mehr behaupten, sie bekämpfe „Banden“. Sie gibt dann zu, dass es „zwei Syrien“ gibt, das ihrige und jenes der Opposition. Sie so auf den Anspruch der vollen Souveränität über Syrien verzichten. Dies wäre der Anfang vom Ende.
Der schöngeredete „Waffenstillstand“ in Syrienleidet darunter, dass sich beide „Kriegsparteien“ einander nicht als solche anerkennen. Die Regierung sieht sich als die legitime Vertreterin ganz Syriens an, welche im Kampf gegen „Banden“ steht. Die Aufständischen sehen die Regierung als illegitime Gewaltherrschaft an, die es zu beseitigen gilt. Beide Seiten können ihre Glaubwürdigkeit nur aufrecht erhalten, wenn sie den Kampf gegeneinander fortsetzen.
Die Aufständischen sind insofern im Vorteil, als sie ihre kriegerische Aktion einstellen und ihre Ziele mit politischen Mitteln weiterführen könnten – falls die Regierung dies zuließe. Das wäre eigentlich im Annan-Plan festgeschrieben. Falls die Regierung diese Schritte zuließe, würde ihre Version der Lage, die durch den Begriff „der Banden“ bestimmt ist, in sich zusammenfallen. Sie würde sowohl in ihren eigenen Augen wie auch in jenen der ihr verbleibenden Anhänger, sogar in jenen der alawitischen Sicherheitskräfte, die heute für sie Blutarbeit leisten, jede Legitimität verlieren. Die Regierung muss daher vermeiden die „Banden“ als „Partner“ zu behandeln. Täte sie dies, würde sie stürzen.
Die Aufständischen ihrerseits wissen, dass wenn sie gefasst werden, im besten Fall mit Erschießung zu rechnen haben, im schlechtesten damit, zu Tode gefoltert zu werden. Die Regierung hat dies bestätigt, indem sie die „Banden“ aufforderte, angesichts des Waffenstillstands ihre Waffen der Regierung auszuliefern. Sie könnten mit Strafffreiheit rechnen, fügte die Regierung hinzu, außer jene, die „Blut an den Händen“ hätten.
Die Uno Beobachter in Syrien stehen auf schlechtem Posten. Die Beschränkung der Zahl kann nur einen Zweck haben; nämlich sicher zu stellen, dass Damaskus die Kontrolle über die Beobachter nicht verliert. Syrien hat nach Eintreffen der ersten Vorhut von sechs Beobachtern auch erklärt: Syrien sei für ihre Sicherheit verantwortlich, und könne diese nur gewährleisten, wenn die syrischen Sicherheitstruppen sie überallhin begleiteten.
Was die syrische Armee betrifft, so sind für sie die offiziell als „Banden“ angesprochenen Kämpfer des bewaffneten Widerstandes nicht nur Angehörige von „Banden“ sondern überwiegend Deserteure aus der regulären Armee. Eine Armee hat das Recht, ja die Pflicht, Deserteuren nachzuspüren, sie zu verfolgen und zu „eliminieren“. Ihren Offizieren ist bewusst, wenn sie dies unterlassen, laufen sie Gefahr, dass bald all ihre Soldaten davonlaufen.
Wenn die Aufständischen Gebiete, Ortschaften oder Stadtteile dominieren und ein Waffenstillstand mit ihnen abgeschlossen wird, bedeutet dies, dass zunächst einmal „zwei Syrien“ entstehen, jenes der Regierung und das der Aufständischen. Die Armee verliert ihr Waffenmonopol und die Regierung ihre volle Souveränität über Syrien.
Aus all diesen Gründen ist zu erwarten, dass die syrische Regierung alles daran setzen wird, den „Waffenstillstand“ so zu handhaben, dass sie der bewaffneten und der politischen Opposition Herr wird, so dass ihr keine eigenen bewaffnete Kräfte oder eigene Territorien bleiben. Da, wo ihr dies mit diplomatischen Mitteln misslingt, wird sie erneut zu den Waffen greifen.
Umgekehrt ist deutlich, dass die Kämpfer der Opposition, weder die Bewaffneten noch die politischen Aktivsten, sehr wohl wissen, was ihnen bevorsteht, wenn sie sich in die Hände der Regierung begeben. Kapitulation ist für sie schlimmer als der Tod. Sie werden daher nicht kapitulieren. Ein Waffenstillstand kommt für sie nur in Frage, wenn sie ihre Bewaffnung und ihre territorialen Eigenbereiche bewahren können. Wenn nötig werden sie kämpfen, um sie nicht zu verlieren.