Die Erzählung von Hiob wirft viele Fragen auf. Der Begriff „Hiobsbotschaft“ hat sich für eine tragische Nachricht eingebürgert.
Deshalb steht der Titel im Gegensatz zu dem, was wir erwarten. Ich habe viel profitiert von einem umfangreichen Kurs zu Hiob am Israel College of the Bible.
Erstens fällt auf, dass das Buch Hiob keine anderen biblischen Bücher zitiert. Aber Aussagen aus dem Buch Hiob werden in anderen biblischen Büchern angeführt. Das heißt, es ist ein sehr altes Buch.
Die Rabbiner sagen im Talmud Bava Batra 14b, dass Moses das Buch geschrieben hat. Das ist spannend, weil es eine neue Perspektive ins theologische Denken der Torah, der fünf Bücher Mose, bringt.
In der Torah des Mose ist die Logik: Wer mit Gott lebt, ist gesegnet. In 1.Mose 2,15-17 sagt Gott, wer ihm nicht gehorcht, wird sterben. Und in 5.Mose 11,26-28 heißt es: „Siehe, ich lege euch heute Segen und Fluch vor: 27 den Segen, wenn ihr den Geboten des HERRN, eures Gottes, gehorcht, die ich euch heute gebiete, 28 und den Fluch, wenn ihr den Geboten des HERRN, eures Gottes, nicht gehorcht und von dem Weg, den ich euch heute gebiete, abweicht, um andern Göttern nachzulaufen, die ihr nicht kennt.“
Nun kommt das Buch Hiob und sagt uns, dass Leid auch den Gerechten treffen kann. Das Buch Hiob stellt uns den leidenden Gottesknecht vor.
Paulus schreibt in Kolosser 1,24: „Jetzt freue ich mich in den Leiden für euch und ergänze in meinem Fleisch, was noch aussteht von den Bedrängnissen des Christus für seinen Leib, das ist die Gemeinde.“
Das Leiden ist nicht die Folge des fehlenden Glaubens, sondern der Mensch kann, gerade weil er glaubt, Schwierigkeiten erfahren.
Zweitens sehen wir, dass man Richtiges zur falschen Zeit sagen kann. Dann ist es eine Zielverfehlung (Sünde). Hiob musste deshalb für seine Freunde ein Sühnopfer bringen (Hiob 42,8). Wahres im falschen Zusammenhang ist kontraproduktiv. Hiobs Freunde bestehen darauf, dass Hiobs Leiden eine Ursache in seinem Leben haben muss. Irgendwo muss er sich nach ihrer Logik schuldig gemacht haben.
Hiob ist sich jedoch keiner Schuld bewusst und findet auch keine. Sein einziges Problem ist, dass er von Gott Rechenschaft verlangt. Doch wer sind wir Menschen, dass Gott uns Rechenschaft geben müsste? Wir sind IHM Rechenschaft schuldig und nicht er uns.
Drittens beobachten wir, wie Hiob aus diesem Dilemma herauskommt. Am Ende sagt er in Kapitel 42,5: „Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört, jetzt aber hat mein Auge dich gesehen.“
Aber Hiob sieht nicht Gott, sondern Gott zeigt ihm durch die Schöpfung auf, dass er alles in der Hand hat. Das ist auch für uns ein Hinweis. In der Schöpfung können wir erkennen, dass Gott existiert.
Paulus schreibt in Römer 1,20: „Sein unsichtbares Wesen, sowohl seine ewige Kraft als auch seine Göttlichkeit, wird seit Erschaffung der Welt in dem Gemachten wahrgenommen und geschaut, damit sie ohne Entschuldigung sind.“
Leiden kann als Katalysator zu tieferen Einsichten führen. In der Schwachheit ist Gott uns nah.
Paulus beschreibt das in 2.Korinther 12,7-10 so: „7 Damit ich mich nicht überhebe, wurde mir ein Dorn für das Fleisch gegeben, … 8 Um dessentwillen habe ich dreimal den Herrn angerufen… 9 Und er hat zu mir gesagt: Meine Gnade genügt dir, denn meine Kraft kommt in Schwachheit zur Vollendung. …10 Deshalb habe ich Wohlgefallen an Schwachheiten, … denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.
Gottes Kraft zeigt sich gerade in unserer Ohnmacht. Dann wird deutlich, dass nicht mehr wir etwas bewirken, sondern unser Vertrauen in einen großen Gott. Deshalb wird das Buch Hiob auch das Evangelium des Mose genannt.
Viertens ist dieses Buch sehr theologisch und philosophisch. Die Geschichte ist einfach. Der Teufel stellt Hiobs Glaube infrage und Gott erlaubt ihm, Hiob auf die Probe zu stellen. Hiob hält an Gott fest und erfährt Gottes Segen. Die Dialoge mit seinen Freunden sind von hoher Qualität. Deshalb meinen manche, die Geschichte sei geschehen, aber die Dialoge seien ausgeschmückt. Der Talmud, Bava Batra 15a, sagt, es sei ein Gleichnis. So wie Jesus die Geschichte von Lazarus und dem reichen Mann erzählte, um auf eine verborgene Wirklichkeit aufmerksam zu machen. Das Buch Hiob ist eine Auseinandersetzung mit der Auslegung der Torah.
Es zeigt uns, dass wir mit unseren Fragen und Zweifeln mit Gott ins Gespräch kommen sollen. Es wird aber auch deutlich, dass der Mensch Gott nicht immer verstehen kann. Es gibt also Bereiche, in denen es keine schlüssigen Antworten gibt.
In Jesaja 55,8-9 sagt Gott: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR. 9 Denn so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.“
Bei Gott stoßen wir an unsere Grenzen. Wir können menschlich nicht immer nachvollziehen, wie Gott handelt.
Paulus schreibt in 1.Korinther 1,18.21: „18 Denn das Wort vom Kreuz ist denen, die verloren gehen, Torheit; uns aber, die wir gerettet werden, ist es Gottes Kraft. … 20 Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? 21 Gott hat es wohlgefallen, durch die Torheit der Predigt die Glaubenden zu retten.“
Fünftens beobachten wir, dass es nur in der Bibel einen Dialog zwischen den Menschen und Gott gibt. Kein antiker Text kennt das. Im Dialog zeigt uns Gott seine Wertschätzung. Gott nimmt den Menschen ernst. Er will mit uns reden.
Hiob kann aber Gott nicht antworten, als er ihn in Hiob 38,4 fragt: „Wo warst du, als ich die Erde gründete? Teile es mit, wenn du Einsicht kennst!“ Zugleich antwortet Gott auch nicht direkt, sondern verweist auf die Schöpfung.
Die Dialoge mit seinen Freunden und seiner Frau fordern Hiob heraus. Seine Frau rät Hiob in Kapitel 2,9-10: „Hältst du noch fest an deiner Vollkommenheit? Segne Gott und stirb! 10 Er aber sagte zu ihr: Wie eine der Törinnen redet, so redest auch du. Das Gute nehmen wir von Gott an, da sollten wir das Böse nicht auch annehmen? Bei alldem sündigte Hiob nicht mit seinen Lippen.“
Hiob will nicht sterben. Er will eine Antwort. Am Ende ist er zufrieden, weil er Gottes Gegenwart wahrnimmt. Er realisiert: Gott sieht mich. Gott weiß um mich. Und in seiner Gegenwart sind unsere Fragen nicht mehr relevant. Gottes Gedanken sind höher als unsere. Ihm kann ich vertrauen.
Gott gewinnt Hiobs Aufmerksamkeit durch Leiden. Warum sind wir Menschen oft erst dann bereit uns intensiver auf Gott einzulassen, wenn wir an unsere Grenzen kommen? In 2.Chronik 16,9 heißt es: „Des HERRN Augen durchlaufen die ganze Erde, um denen treu beizustehen, deren Herz ungeteilt auf ihn gerichtet ist.“
Sechstens fragen wir uns, was der eigentliche Kern der Anklage ist. In Hiob 1,9 sagt Satan zu Gott: „Ist Hiob etwa umsonst so gottesfürchtig?“ Der Vorwurf lautet also: Hiob fürchtet Gott nur, weil er etwas von ihm bekommt. Hiob dient Gott nur, weil er ihn segnet. Wenn der Glaube nur auf Segen aufbaut, dann steht er auf wackeligen Füßen. Das Ziel ist, Gott zu lieben, weil er ist, und nicht weil man dafür etwas erhält. Gott verdient es, angebetet und geliebt zu werden, weil er Gott ist. Gottesfurcht kostet uns selbst. Lieben wir Gott nur, solange er uns segnet? Oder lieben wir ihn auch dann, wenn das Leben nicht aufgeht?
Aber ist Gott gerecht, wenn der Gerechte leidet? Wie gehen wir damit um, dass Gott Verheißungen gibt, wir aber in unserem Leben das Gegenteil erfahren? Wie kann der beste Mensch am meisten leiden? Nach der Theorie der Torah sollte er nicht leiden. In der Josefsgeschichte gibt es einen Schlüsselsatz: „Ihr hattet Böses gegen mich beabsichtigt; Gott aber hatte beabsichtigt, es zum Guten zu wenden, um zu tun, wie es an diesem Tag ist, ein großes Volk am Leben zu erhalten.“ (1.Mose 50,20). Paulus sagt es so: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken“ (Römer 8,28). Gott verwandelt Negatives ins Positive. Es gibt uns Hoffnung, dass Gott auch aus unserem Minus ein Plus machen kann. Das Kreuz ist kein Zeichen der Niederlage, sondern des Sieges.
Die Freunde hatten keine Ahnung, was zwischen Gott und Satan vor sich ging. Ihnen fehlte ein Teil der Realität. Sie hatten keinen Blick für Gottes Möglichkeiten.
Hiob bringt ans Licht, was schon in der Torah steht. Es kann sein, dass der Gerechte wegen seines Glaubens leidet. Abel sollte eigentlich nicht sterben, sondern Kain. Der leidende Josef wurde zum Retter. Es sind Hinweise auf Jesus, der durch das Leiden den Weg zu Gott öffnete. Indem wir in Schwierigkeiten am Glauben festhalten, zeigen wir, dass es uns um Gott geht und nicht um uns.
Paulus schreibt in Philipper 1,29: „Euch ist es im Blick auf Christus geschenkt worden, nicht allein an ihn zu glauben, sondern auch für ihn zu leiden.“
Hiob bekennt: „Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört, jetzt aber hat mein Auge dich gesehen.“ (Hiob 42,5). Gott sieht mich. Er ist da. Ich vertraue ihm, weil er ist.