Auszug aus dem Interview von Joachim Frank und Avi Primor, dem früheren israelischen Botschafter Deutschlands.
Herr Primor, Israel vermittelt den Eindruck, Luftangriffe gegen iranische Atomanlagen stünden alsbald bevor. Wie realistisch ist dieses Szenario?
Primor: Ich halte es mit dem Sprichwort „Hunde, die bellen, beißen nicht“. Die israelische Führung bellt, weil sie Druck auf die Europäer und noch mehr auf die USA ausüben will, etwas gegen den Iran zu unternehmen. „Wenn ihr nichts tut, tun wir es, auch wenn es uns selbst schadet.“ Das ist die Botschaft. Was mich daran am meisten besorgt, ist die historische Erfahrung, dass schon oft Kriege herbeigeredet wurden, die eigentlich keiner haben wollte.
Der US-Generalstabschef hat die Erfolgsaussichten eines Militärschlags gegen den Iran sehr skeptisch beurteilt. Hat er damit Israel nicht schon die Zähne gezogen?
Primor: Sie sehen an solchen Aussagen, dass die Amerikaner null Interesse an einer militärischen Intervention haben, zumal im Jahr der US-Präsidentschaftswahl. Am Ende könnte die israelische Regierung in die eigene Falle gehen und glauben, handeln zu müssen, um innenpolitisch nicht das Gesicht zu verlieren.
Ist durch die Fortschritte der Iraner bei ihrem Atomprogramm und die harte Haltung gegenüber den Inspektoren der Internationalen Atomaufsichtsbehörde IAEO eine neue Stufe der Auseinandersetzung erreicht?
Primor: Ich persönlich glaube nicht daran, dass letztendlich der Iran am Besitz von Atomwaffen zu hindern sein wird. Da kann der Westen noch so viele Sanktionen verhängen. Ein Land mag bitterarm sein, die Bevölkerung mag hungern, für Waffen ist immer genug Geld da. Und obwohl die Iraner das Regime der Mullahs hassen, stehen sie hinter dessen Atomwaffenprogramm – aus nationalem Stolz.
Daraus folgt?
Primor: Wenn wir, mit einem atomar aufgerüsteten Iran leben, müssen wir uns darum kümmern, in wessen Händen sich die Atomwaffen befinden. Sind das die Ajatollahs, bedeutet das eine unkontrollierbare Gefahr.
Iranische Atombomben auf Israel – nur noch eine Frage der Zeit?
Primor: Die Regierung in Jerusalem glaubt ja, das militärisch verhindern zu können. Ich denke, wir müssen vordringlich an etwas ganz anderem arbeiten: nämlich an einem Regimewechsel im Iran. Opposition und Untergrundgruppen müssen sehr viel mehr diskrete Hilfe aus dem Westen bekommen. Der Aufstand 2009 hat gezeigt, dass die Opposition großen Rückhalt im iranischen Volk hat.
Zwingen Israels militärische Drohgebärden die arabischen Staaten nicht an die Seite des iranischen Regimes?
Primor: Die arabischen Regimes ersehnen geradezu einen israelischen Angriff. Sie hoffen, dass wir Israelis verrückt genug sind, dieses Risiko einzugehen. Denn auch wenn die Araber schlecht über Israel reden, wissen sie doch ganz genau: Die eigentliche Gefahr, auch für sie, geht vom Iran aus. Nicht umsonst hat der saudische König laut Wikileaks gesagt, man müsse „der Schlange den Kopf abschlagen“.
Was will der Iran überhaupt erreichen?
Primor: Jedenfalls nicht an erster Stelle die Vernichtung Israels. Das ist Propaganda, die in der arabischen Öffentlichkeit gut ankommt, weil Israel dort ja tatsächlich sehr verhasst ist: Der Iran inszeniert sich als Feind der Erzfeinde aller Muslime, der Juden. In Wahrheit will der Iran die Herrschaft über seine Nachbarn Irak, Saudi-Arabien, die Golfstaaten – und damit die Kontrolle über 57 Prozent aller Ölreserven. So könnte der Iran die ganze Welt erpressen.