Jesus predigt vom Reich Gottes (Matthäus 4,23). Aber was genau meint er damit? Was ist seine Vision? Was sind seine Schwerpunkte?
Die Bergpredigt ist das Manifest oder Programm von Jesus. Sie steht in Matthäus 5-7.
Matthäus war als Levit aufgewachsen und als Zöllner auch schreibkundig (Matthäus 10,3). Als gebildeter Mann hatte er sich während der Predigt von Jesus wahrscheinlich Notizen gemacht. So kann er als einziger die Schwerpunkte der Bergpredigt wiedergeben. Die Bergpredigt ist damit auch ein Hinweis darauf, dass die vier Evangelien Augenzeugenberichte wiedergeben.
Die Evangelisten Matthäus und Johannes waren Jünger Jesu. Markus war der Schreiber des Petrus. Lukas war der Schreiber des Paulus und recherchierte bei den Augenzeugen (Lukas 1,2-3).
Die Bergpredigt ist also die erste schriftliche Überlieferung von Jesus. Sie findet auf einem Berg statt. Auch die Gesetzestafeln wurden auf einem Berg überreicht (2.Mose 19-32).
Jesus eröffnet seine Predigt mit der Seligpreisung. Sie ist ein Paradox. Nicht die Not hört auf, aber man ist in ihr gesegnet. Es geht nicht um gesellschaftliche Stellungen, sondern um Einstellungen. Jesus fordert seine Zuhörer auf, den Blick nicht auf die Starken, sondern auf die Schwachen zu richten.
Jesus beginnt: „Selig sind“ … Das Wort „Selig“ hat heute eine neue Bedeutung. Wenn jemand verstorben ist, wird er in amtlichen Dokumenten als „selig“ bezeichnet. Manchmal wird das Wort auch mit „von allen irdischen Übeln erlöst“ gedeutet. In den englischen Bibeln wird selig mit „blessed“ übersetzt. Also „gesegnet sind“. Das trifft den Kern der Aussage sehr gut.
Das griechische Wort ist makarios (μακάριος). Damit wird eine Bedingung für eine Heilszusage eröffnet. 60 Prozent aller biblischen Makarismen finden sich in den Psalmen. Zum Beispiel in Psalm 1. Luther übersetzt: „Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen …“ Hier wird in der Septuaginta, der griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel, das Wort ascheri (אַשְׁרֵי־הָאִישׁ) (glückselig; glücklich) mit makarios übersetzt.
Im Judentum werden Feiern mit einem Segen eröffnet. So beginnt Jesus nach jüdischem Brauch seine Rede mit einem Segensspruch: „Gesegnet sind die Armen im Geist, die Trauernden, die Sanftmütigen, die nach Gerechtigkeit hungern, die Barmherzigen, die reinen Herzens sind, die Friedensstifter und Verfolgten.“
Jesus will das Reich Gottes aufbauen und das mit eigenartigen Menschen, die er gewinnen will.
Denn erfolgreich scheinen in dieser Welt eher die Gelehrten, die Glückspilze, die Dominanten, die Individualisten, die am Prinzip orientierten Menschen, die Schlaumeier, die Kämpfer und die Mächtigen zu sein, die das Gegenteil von denjenigen sind, welche Jesus erwähnt.
Jesus setzt in der Bergpredigt einen besonderen Akzent. Er will sein Reich nicht mit den Starken aufbauen, sondern das Augenmerk auf die Schwachen legen. Er hebt die Not nicht auf, sondern gibt darin Hoffnung. Er unterwirft nicht mit Macht, sondern wirbt mit Liebe.
Das irdische Leben ist nicht das Ziel, sondern die Vorbereitung auf die Ewigkeit. Das Reich Jesu gibt jedem Menschen wieder Hoffnung und eine Zukunft, auch wenn die unmittelbare Veränderung noch ausbleibt.
Jesus zog durch ganz Galiläa, lehrte in den Synagogen und predigte vom Reich Gottes. Seine Wahlheimat Kapernaum lag am Flaschenhals der damaligen Handelsstraßen. So verbreitete sich seine Botschaft über die Via Maris nach Syrien, Galiläa, in die freien Städte, nach Jerusalem, Judäa und sogar jenseits des Jordans (Matthäus 4,23-25). Jesus hat seine Botschaft im damaligen Facebook und Internet platziert.
Die Bergpredigt beschreibt eine Leitlinie, ein Ideal. Sie ist wie die Mittellinie einer Straße. Andere Gebote in der Bibel beschreiben den Straßenrand. Wer ihn überschreitet, kommt zu Schaden. Unser Leben pendelt zwischen dem Ideal, der Wirklichkeit und dem Scheitern. Jesus gibt auf unserem Weg neue Hoffnung.
Schauen wir uns nun die einzelnen Aussagen in Matthäus 5,3-12 an:
3 Glückselig die Armen im Geist, denn ihrer ist das Reich der Himmel.
Das Gegenteil von arm ist reich. Jesus verspricht nicht wohlhabende Ministerposten. Auch nicht, dass es uns hier auf Erden gut geht. Die Formulierung ist speziell. Die „Armen im Geist“. Die Einheitsübersetzung schreibt: „Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.“ Das trifft es sehr gut. Wer seine Bedürftigkeit vor Gott einsieht, den beschenkt Gott mit seiner Gegenwart. Erst wenn ich einsehe, dass ich Gott brauche, kann er mir helfen, indem ich sein Reich wahrnehme.
4 Glückselig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.
Worüber trauern diese Menschen? Bemitleiden sie sich selbst? Erleiden sie Schicksalsschläge? Oder trauern sie wie Jesus um eine Menschheit, die sich nicht auf Gott einlassen will (Lukas 19,41-42)? In Offenbarung 21,4 heißt es, dass Gott alle unsere Tränen abwischen wird. Vielleicht will Jesus uns sagen, dass menschlicher Trost versagt. Nur Gott kann uns trösten. Niemand kann unser Defizit füllen, als Gott allein.
5 Glückselig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben.
Oft sind es nicht die Sanftmütigen, die etwas bekommen, sondern die dominanten Menschen, die sich bedienen. Spannend ist das Verb „erben“. Bei Gott verdient man sich seinen Lohn nicht, sondern man bekommt ein Erbe. Wir erhalten als freies Geschenk, was der Vater im Himmel uns zuteilt. Paulus beschreibt in 1.Korinther 15,50, dass „Fleisch und Blut das Reich Gottes nicht erben können“. Und in Vers 53: „Denn dieses Vergängliche muss Unvergänglichkeit anziehen.“ Das bedeutet, der Sanftmütige erhält eine Aufgabe (Land) im unvergänglichen Reich Gottes.
6 Glückselig, die nach der Gerechtigkeit hungern und dürsten, denn sie werden gesättigt werden.
Wer ein Aufmerksamkeitsdefizit hat und dieses durch Hyperaktivität auszugleichen versucht, darf erfahren, dass Gott alle Bedürfnisse stillt. In Johannes 4,14 sagt Jesus zur Frau am Jakobsbrunnen: „Wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm geben werde, den wird nicht dürsten in Ewigkeit“. Jesus füllt unser Defizit aus. Jeder von uns ist irgendwo ungerecht behandelt worden. Wir können uns das gegenseitig nicht beseitigen, aber bei Gott wird meine Seele still (Psalm 62,2).
7 Glückselig die Barmherzigen, denn ihnen wird Barmherzigkeit widerfahren.
Wer sich für andere einsetzt, für den wird sich auch der Vater im Himmel einsetzen (Matthäus 19,29). Barmherzigkeit bedeutet: Ich helfe jemandem aus freien Stücken heraus. Jesus sagt in Lukas 6,36: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“
8 Glückselig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.
Bei Gott zählen die Motive. Es geht um die Gemeinschaft mit Gott. Johannes schreibt in seinem ersten Brief, Kapitel 3,2-3: „Wir werden ihn sehen, wie er ist. Und jeder, der diese Hoffnung auf ihn hat, reinigt sich selbst, wie ⟨auch⟩ jener rein ist.“ Im Reich Gottes geht es um die Nähe Gottes. Das Leben dreht sich nicht um uns, sondern wird inspiriert von der Gemeinschaft mit dem Vater im Himmel.
9 Glückselig die Friedensstifter, denn sie werden Söhne Gottes heißen.
Wer mit Gott unterwegs ist, hat einen Wunsch: Versöhnung mit Gott. Paulus schreibt in 2.Korinther 5,20: „Wir bitten für Christus: Lasst euch versöhnen mit Gott!“ Und in Römer 8,14: „Denn so viele durch den Geist Gottes geleitet werden, die sind Söhne Gottes.“ Johannes schreibt in Johannes 1,12: „So viele ihn aber aufnahmen, denen gab er das Recht, Kinder Gottes zu werden, denen, die an seinen Namen glauben“.
10 Glückselig die um Gerechtigkeit willen Verfolgten, denn ihrer ist das Reich der Himmel. 11 Glückselig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und alles Böse lügnerisch gegen euch reden werden um meinetwillen.12 Freut euch und jubelt, denn euer Lohn ist groß in den Himmeln; denn ebenso haben sie die Propheten verfolgt, die vor euch waren.
Hier zeigt sich wieder das Paradox. Man kann sich freuen, wenn man verfolgt wird. Denn die Verfolgung richtet sich nicht gegen uns als Person, sondern gegen unsere Verbundenheit mit Gott, wie bei den großen Propheten. Die Menschen nehmen Gott in uns wahr und daran nehmen sie Anstoß. Für uns gilt die Verheißung Jesus aus Offenbarung 22,12: „Siehe, ich komme bald und mein Lohn mit mir, um einem jeden zu vergelten, wie sein Werk ist.“
Jesus fordert in seiner Predigt zu einem umgekehrten Denken auf. Reich Gottes dreht sich nicht nur um das Hier und Jetzt, sondern hat eine Ewigkeitsperspektive.
Gottes Reich wird mit Menschen gebaut, die von Gott abhängig sind und seine Kraft in sich wirken lassen. Gott baut sein Reich mit den Menschen, die sich ihm anvertrauen und mit seiner Hilfe rechnen.
Das bedeutet, wir können nichts ohne ihn tun. Aber wir wollen offen sein, wo er durch uns Menschen das Reich Gottes erfahrbar machen will.
Am Anfang der Bergpredigt stehen nicht Forderungen, sondern göttliche Zusagen.
Nicht wir dienen Gott, sondern Gott dient durch uns den Menschen.
Das führt zu einem befreiten Christsein, das ansteckend ist.