Stell dir vor, es ist Katholikentag – und keinen interessiert’s. So ungefähr lässt sich das Ergebnis einer aktuellen INSA-Umfrage im Auftrag der „Tagespost“ zusammenfassen. Demnach stimmt die absolute Mehrheit der Deutschen (59 Prozent) der Aussage zu, sich nicht für den nächsten Deutschen Katholikentag (25. bis 29. Mai) in Stuttgart zu interessieren.
27.000 Teilnehmende zählt der Deutsche Katholikentag, deutlich weniger als bei früheren Treffen. Diese Zahl gaben die Veranstalter am Samstag vor Journalisten in Stuttgart bekannt. Nach Stuttgart seien 20.000 Dauer- und 7.000 Tagesgäste gekommen. Unter ihnen waren 7000 Mitwirkende: Podiumsgäste, Musiker oder Standbetreuer. Auf jeden Mitwirkenden gab es nur knapp drei weitere Teilnehmer. Zum Vergleich: Beim letzten Katholikentag vor der Pandemie, 2018 in Münster, kamen die Veranstalter am Ende noch auf 90.000 Teilnehmer, davon 50.000 Dauerteilnehmer.
Stuttgart könnte der letzte traditionelle Katholikentag gewesen sein. Aufwand und Ergebnis der großteils steuerfinanzierten Veranstaltung standen in keinem Verhältnis zueinander.
Mit einem Aufruf zum Ende des Ukraine-Krieges von Bundespräsident Steinmeier ist am Mittwochabend der 102. Deutsche Katholikentag in Stuttgart eröffnet worden.
Der Hauptredner des Abend, Frank-Walter Steinmeier, stellte seinen Beitrag ganz ins Zeichen des Krieges. Er forderte den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf, die Souveränität der Ukraine zu respektieren und seine Truppen zurückzuziehen: „Herr Putin, beenden Sie das Leid und die Zerstörung der Ukraine“, sagte Steinmeier. Der russische Präsident solle nicht das „direkte und ernsthafte Gespräch“ mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj verweigern, so seine Mahnung: „Das Sterben in der Ukraine muss ein Ende haben.“
Am Ende verteilte der Bundespräsident der katholischen Kirche eine Rüge. Der Missbrauchsskandal und dessen „schleppende Aufklärung haben viel Vertrauen beschädigt und zerstört“. Gleichwohl wolle er „all jene ermutigen, die sich tatkräftig für die Erneuerung der katholischen Kirche in Deutschland einsetzen“. Nicht nur er schaue mit „Neugier und Erwartung auf die Arbeit des Synodalen Wegs“.
Wem die katholische Kirche so gefällt, wie sie nun einmal ist, den trifft man auch nicht bei einem Katholikentag. Wer das Programm des Stuttgarter Katholikentags durchblättert, wird feststellen, dass viele konservative Vertreter der katholischen Kirche in Stuttgart schlicht fehlen. Es wird auf mehr als 1500 Veranstaltungen über Krieg und Frieden in der Ukraine, den Missbrauchsskandal oder die Lage der Entwicklungsländer debattiert.
Irme Stetter-Karp, Präsidentin des Zentralrat der Deutschen Katholiken (ZdK), hat sich zum Beginn des Katholikentages in Stuttgart zu Wort gemeldet. Nicht dazu, wie die Kirchenbänke sonntags wieder besser gefüllt werden können. Und schon gar nicht mit Jesus Christus. Frau Stetter-Karp hat gefordert, die Bundesregierung müsse die Entwicklung der Verteidigungsausgaben mit denen der Entwicklungshilfe koppeln.
Zur Diskussionsrunde „Wer braucht noch die Kirche?“: Ein Ausdruck von dem, wenn immer von „meiner Kirche“ gesprochen wird und nicht von der Kirche Jesu.
Spannend wurde es bei der Eucharistiefeier. Denn noch immer sind nur Mitglieder der römisch-katholischen Kirche dazu eingeladen. Daher blickte bei der Kommunion jeder mit großen Erwartungen auf Personen, die nicht der katholischen Kirche angehören. Werden sie das Brot und Wein teilen? Landtagspräsidentin Muhterem Aras, eine Muslima, nahm die Hostie entgegen. Auch der Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages 2023 in Nürnberg, Thomas de Maizière, empfing beim Katholikentag-Abschlussgottesdienst von Bischof Bätzing die Kommunion. Sabine Foth, Präsidentin der evangelischen Landessynode, hielt „aus Respekt vor dem Bischof“ Abstand. Die Gäste auf dem Schlossplatz nahmen es nicht so genau. Bei vielen galt die Überzeugung: Hauptsache christlich getauft. Als ein Teilnehmer bei der Hostienausgabe fragte, ob er als Protestant die Kommunion empfangen dürfe, erklärte die Dame an der Ausgabe: „Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass es der Leib Christi ist.“
Stadtdekan Christian Hermes, der auch am Gottesdienst teilnahm, legte vor wenigen Wochen zusammen mit seinem evangelischen Kollegen Sören Schwesig eine Erklärung zur Eucharistie vor: Darin forderten beide von ihren Kirchenleitungen, allen Christen eine dauerhafte Gastzulassung zu diesem Sakrament zu ermöglichen. Zudem baten sie ihre Kirchenleitungen darum, sie bei dieser Forderung zu unterstützen. Während der evangelische Bischof Frank Otfried July sofort sein Plazet gab, verweigerte Bischof Fürst die Unterstützung.
Der Katholik Lammert, seit 2018 Chef der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, sagte mit Blick auf Kirchenaustritte: Zunächst seien die Menschen ohne Bindung gegangen, jetzt gingen die, „die eine kirchliche Bindung hatten und sagen: Ich ertrag’s nicht mehr!“ Auch sein eigenes Frustrationsniveau sei „stetig gestiegen“.
Bettina Limperg, die Präsidentin des Bundesgerichtshofs (BGH), riet der katholischen Kirche, den Umgang mit Frauen zu ändern. Theologisch könne darüber nicht mehr gestritten werden. Das Schlimmste, was den Kirchen passieren könne, sei „die Abstimmung mit den Füßen„.
Der Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann zeigte sich offen, über die Weihe von Frauen zu sprechen. Es gebe „kein absolutes Argument dagegen“. Er forderte auch eine bessere Einbindung der kirchlichen Ämter in das ganze Volk Gottes. Dafür müsse aber das theologische Erbe des 19. Jahrhunderts überwunden werden. Wörtlich sagte Wiesemann: „Ich hänge nicht an meiner Macht.“
Der Leiter der Stabsstelle Kommunikation im Bistum Essen, Jens Albers, hob hervor: „Wenn es heißt: Zielgruppe sind doch alle Menschen guten Willens, muss man auch mal klar sagen: Aber nicht für dieses Produkt.“ Weiter führte er aus: „Die Kirche nimmt das Internet noch nicht als eigenen pastoralen Raum ernst, den man auch professionell bespielen muss.“ Es müsse sich noch durchsetzen, das Internet etwas Eigenständiges sei, wo Kirche präsent sein müsse. Im Social-Media-Bereich zeige sich deutlich: Menschen folgen eher Personen als Institutionen. Kirche sollte seiner Ansicht nach dennoch auf beide Formen bei ihrer digitalen Präsenz setzen. Zugleich räumte er ein, dass es schwierig sei, passende Personen zu finden, die den pastoralen Raum Internet als ihr Arbeitsfeld sehen und als kirchliche Influencer wirken.
Der Münchner Kardinal und katholische Medienbischof Reinhard Marx wirbt für eine lebendigere Sprache in der Kirche. Diese müsse zudem deutlich und bildhaft sein, ohne banal oder anbiedernd zu werden, sagte er am Samstag beim Katholikentag in Stuttgart. Zugleich kritisierte er eine oft „verschwurbelte“ und leblose Kirchensprache, auch in Dokumenten des Vatikan.
Bei dem Podium „Von der Sprachlosigkeit zu neuer Sprachfähigkeit – Wie kann die Kirche ihre Botschaft (mit)teilen?“ bezeichnete es SWR-Intendant Kai Gniffke als ein Problem der katholischen Kirche, dass nur die Hälfte der Mitglieder, also nur die Männer, das Sagen hätten. Das habe auch Auswirkungen auf die Sprache.
Die Juristin und Publizistin Beatrice von Weizsäcker kritisierte die „Verteufelung“ der modernen Medien in gewissen Kirchenkreisen. Damit gebe man die Kommunikation mit jüngeren Menschen in weiten Teilen auf.
Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, kündigte an, dass mit Blick auf das nächste Katholikentreffen 2024 in Erfurt über neue Formate nachgedacht werde. Möglich sei „ein größerer Umbau auf allen Ebenen“.
Der Katholikentag in Stuttgart hat offensichtlich ein massives Defizit. Wie das Bistum Rottenburg-Stuttgart dieser Zeitung am Donnerstag mitteilte, habe die Diözese nach ausführlichen Beratungen im Diözesanrat und auf Bitten der Katholikentagsleitung eine Ausfallbürgschaft in Höhe von 470.000 Euro beschlossen, um Einnahmeausfälle aus dem Verkauf von Dauerkarten aufzufangen und damit tiefe Eingriffe in die Programmstruktur des Katholikentags zu vermeiden. Es sei davon auszugehen, dass diese Ausfallbürgschaft gezogen werde. Der Katholikentag endet am Sonntag in Stuttgart und zählte nach offiziellen Angaben etwa 25.000 Teilnehmer, worin alle hauptamtlichen Mitarbeiter eingeschlossen sind. Das ist weniger als ein Drittel der Teilnehmerzahl des Münsteraner Katholikentags, zu dem 90.000 Personen gekommen waren.
Ein nüchternes Fazit zieht der Autor Frédéric Schilden der „Welt„, wenn er seinen Bericht über den Katholikentag mit der Überschrift „Hier schafft sich der Katholizismus ab“ einleitet. „Auf dem 102. Katholikentag ist vom katholischen Glauben wenig bis nichts zu spüren. Irgendwann weiß keiner mehr, ob man in der SPD-Zukunftswerkstatt, beim Diversity-Event von Google oder im Sommercamp der Grünen Jugend ist.“
Martin Brüske, promovierter Theologe und Philosoph: Nach meinem Eindruck war die geistliche und intellektuelle Substanz dieses Katholikentages sehr gering. Das Christentum verliert so jede Kontur. Wieso sollte es Interesse finden? Nur ein christlicher Glaube, der sich auf seinen innersten Kern besinnt – dass Gott, der Vater durch Jesus Christus im Heiligen Geist uns Menschen Vergebung, Gemeinschaft und erlöste Freiheit schenken will – verdient Aufmerksamkeit. Er wird in vielen Punkten sperrig und kantig sein – und zugleich, gerade auch heute, die tiefste Sehnsucht vieler Menschen ansprechen. Christinnen und Christen, die das in Formen gelingenden Lebens deutlich machen, sind interessant.
Die Dialogpredigt von von Bischof Dr. Georg Bätzing mit der Direktorin des Katholischen Bibelwerkes, Dr. Katrin Brockmöller bot nicht einmal den Ansatz einer ernsthaften Auslegung der Heiligen Schrift. Die Direktorin ordnete unwidersprochen die drei Texte aus dem Neuen Testament ein als „mehrdeutige Literatur“, die „manchmal widersprüchlich“ sei und unser Gespräch benötige. Klar ist damit: Die Schrift ist hier nicht mehr das durch Menschen vermittelte Zeugnis der Selbstoffenbarung Gottes, das mich als Hörenden zugleich richtet und rettet, wenn ich im Glauben darauf antworte, sondern ein irgendwie religiöser Text, der mir zum Anlass relativ beliebiger Assoziationen wird.
Zum Kommunionempfang durch die Landtagspräsidentin Muhterem Aras, eine Muslima: Als Andersgläubige dürfen wir kein Eucharistieverständnis von ihr erwarten. Ein angemessenes Bewusstsein für die Bedeutung der Gegenwart des Herrn in der eucharistischen Gestalt ist offenbar verschwunden; gleichzeitig ist die Kirche nicht mehr in der Lage, unsere katholischen Kernvollzüge öffentlich zu kommunizieren.
Die Weigerung, wie bisher während des Katholikentages für den Lebensschutz eintreten zu können, ist also von hoher Symbolkraft: Die Programmkommission befand, dass der Bundesverband nicht eindeutig christlich sei. Damit sagt sie wenig über den Bundesverband, aber sehr viel über sich selbst. Drei Punkte:
1. Für die Organisatoren des Katholikentags ist das Engagement für den Lebensschutz nicht mehr eindeutig und klar dem christlichen Glauben zuzuordnen. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen.
2. Die Nicht-Zulassung gerade zur „Kirchenmeile“ mit ihrem vielfältigen Spektrum sagt: Lebenschutz-Engagement ist nicht einmal mehr in der Toleranzbreite des Bunten.
3. Das zeigt wohin ethisch und kirchlich die Reise geht.