Bei der Geschichte vom barmherzigen Samariter geht es nicht um Krankenpflege, sondern darum, meine Geschäftigkeit für einen Menschen zu unterbrechen, der mir begegnet und der meine Hilfe braucht.
Jesus wird gefragt, was der Schlüssel zum ewigen Leben ist. Die Antwort lautet: die Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen. Dieser einfache Satz ist auch die Zusammenfassung des Alten Testamentes. Doch der Fragesteller will sich gleich herausreden und fragt, wer denn überhaupt sein Nächster sei. Jesus antwortet ihm mit einer Geschichte (Lukas 10,25-37). Nicht mit einer Tat (an einem Menschen) ist meine Pflicht erfüllt und ich erhalte ewiges Leben – es geht vielmehr darum, dass ich meine Haltung ändere. Mein Nächster ist nicht eine Person meiner Wahl. Ich muss nicht einen bestimmten Auftrag suchen und ihn erfüllen. Nein, ein Nächster werde ich durch mein verändertes Verhalten den Menschen gegenüber, die mir begegnen.
Der Priester (Vollzeiter) und der Tempeldiener (Levit/Mitarbeiter) hatten Angst, nicht mehr kultisch rein zu sein. Das hätte einen langwierigen Reinigungsprozess erfordert. So gingen sie lieber schnell weiter und ignorierten den Mann, der ihre Hilfe gebraucht hätte. Die eigentliche Frage ist also: Bin ich bereit, für eine bestimmte Zeit meine Geschäftigkeit zu unterbrechen, weil mir ein Mensch vor die Füße gelegt wurde, der jetzt meine Hilfe braucht? Bin ich bereit, jemandem meine Zeit oder mein Ohr zu leihen? Dabei geht es nicht darum, dass ich gleich meinen Beruf aufgebe, sondern um ein kurzer Unterbruch meiner Betriebsamkeit. Hilfe ist wie ein Puzzle: Der Samariter hilft, bezahlt dem Gastwirt zwei Tagesgehälter für die Pflege des Verwundeten und geht weiter.
Spannend ist, dass er sogar einem Menschen hilft, der ihm gegenüber feindlich gesinnt ist. Denn die Juden mochten die Traditionen der Denomination der Samariter nicht leiden. Gewöhnlich hatten die Samariter keinen Umgang mit Juden (Johannes 4,9) und umgekehrt (wie auch heute in so manchen christlichen Denominationen). Wie feindlich man sich gesinnt war, sieht man in der rabbinischen Literatur. Da heißt es: „Wer das Brot der Samariter isst, ist wie einer, der das Fleisch des Schweins isst“ (Mischna Shebiith 8,10). Indem sich der Samariter um den Mann kümmerte, riskierte er die gleiche Verunreinigung wie die Juden, da er an die gleichen Gesetze gebunden war wie sie.
Jesus stellt mit seiner Aussage alles auf den Kopf. Der Schlüssel für das ewige Leben ist nicht eine bestimmte Handlung oder ein Gebet, sondern die Liebe zu Gott und dem Mitmenschen – auch wenn diese uns feindlich gesinnt sind.
Die letzte Frage, die Jesus Petrus stellte, war: „Liebst du mich?“ (Johannes 21). Und in Matthäus 7,23 geht es um die Frage, ob Jesus uns kennt. Wer Jesus liebt, der spricht mit ihm. Jesus kennt uns und hilft uns, über unseren eigenen Schatten zu springen und Menschen zu lieben, die uns feindlich gesinnt sind, und sich Zeit für sie zu nehmen, indem wir unser Leben für einen Augenblick für sie unterbrechen. Damit erleben wir ein Stück Himmel auf Erden, weil Jesus sich genau in dieser Haltung um uns kümmert.
Text: Hanspeter Obrist
Das ist ein kleines Resümee aus unseren Entdeckungen in einer ergebnisoffenen Bibelstudiengruppe. Wir sind auch offen für neue Teilnehmer im Linthgebiet (siehe Inspirierendes Bibelstudium). Gern gestalte ich auch Bibeltage an anderen Orten.