Der Papst macht einen Schritt Richtung schiitische Welt

Im März will Franziskus als erster Papst den Irak besuchen. Er weiß: Die Muslime müssen gewonnen werden, sollen religiöse Minderheiten eine Zukunft haben.

Vor allem die junge Generation im Irak ist zunehmend Korruption, konfessionelle und tribale Klientelwirtschaft und Inkompetenz der Funktionseliten leid. Ende 2019 sah das Land deshalb Konfessionsgrenzen überschreitende Proteste.

Wenn Papst Franziskus Anfang März 2021 also als erstes katholische Kirchenoberhaupt überhaupt das Land zwischen den beiden Strömen Euphrat und Tigris besuchen wird, wird er in ein alles andere als stabiles Land kommen, aber doch in eines, in dem jeder weiß, was dschihadistischer Terror und konfessioneller Hass anrichten können. Vielleicht keine schlechte Grundlage für seine Botschaft des interreligiösen Dialogs und der Orientierung am Gemeinwohl.

Nach Ägypten, den Emiraten und Marrokko besucht er erstmals ein mehrheitlich schiitisches Land. Das katholische Kirchenoberhaupt geht mit anerkennenden Worten in Richtung des Islams. Er weiß natürlich um die Bedrängnisse und die Verfolgung, denen Christen unter dem Halbmond, nicht zuletzt im Irak, ausgesetzt sind. Er will aber gleichzeitig jenes zarte Pflänzchen islamischer Selbstbesinnung stärken helfen, das derzeit sprießt.

Das islamische Zeitalter der sich immer weiter steigernden Radikalisierung, das 1979 mit der Islamischen Revolution im Iran und dem Sturm sunnitischer Fanatiker auf die Große Moschee von Mekka begonnen hat, ist im Nahen Osten nach den Erfahrungen mit dem IS in seiner Dynamik gebremst. Immer mehr muslimische Führer und einfache Gläubige dort wollen eine neue Ausrichtung.

Papst Franziskus weiß, dass die Lage der christlichen Minderheiten in jedem Land der Region ganz wesentlich von der Toleranz der islamischen Mehrheitsgesellschaft abhängt. Papst Franziskus‘ Besuch wird die Lage der Christen und anderer religiöser Minderheiten für alle Iraker sichtbar machen. Sie bleibt eine bedrohte. Der IS ist geschwächt, verschwunden ist er nicht. Christen stehen auf der Liste potenzieller Ziele weit oben.

Die wirtschaftliche Lage ist prekär. Viele junge Menschen sehen deshalb trotz großer Wiederaufbaubemühungen etwa in der Niniveh-Ebene, der christlichen Herzkammer des Landes, keine Zukunft. Im Lande Abrahams droht sich das Christentum zu verflüchtigen. Der Besuch soll eine Stärkung für die kleine Herde Christi sein. mehr Informationen

Der Irak und der Vatikan haben seit 1966 diplomatische Beziehungen. Papst Franziskus hatte wiederholt den Wunsch geäußert, das Land zu besuchen; laut Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin und dem chaldäischen Patriarchen Louis Raphael I. Sako ließ bisher die Sicherheitslage – und nun auch die Corona-Pandemie – dies nicht zu.

Dem Vernehmen nach wäre bei einem Besuch im Irak auch eine Begegnung mit hohen schiitischen Vertretern vorgesehen. Dabei könnte gegebenenfalls ein ähnliches Dokument wie jenes von Abu Dhabi unterzeichnet werden, das Franziskus im Frühjahr 2019 mit dem Großimam Ahmad al-Tayyeb veröffentlicht hatte. Dieses Dokument hatte in der muslimischen Welt positive Auswirkungen für die christichen Minderheiten.

Seit Februar 2019 steht der Vorwurf im Raum: Hat sich Papst Franziskus mit dem „Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen“ der Häresie schuldig gemacht? Zumindest konservativ-katholische Kreise sind davon überzeugt. Die Erklärung, hieß es, mache aus Gott einen „Relativisten“, der nicht weiß, dass es nur eine Wahrheit gibt und der sich „nicht darum kümmert“, ob Menschen an Wahres oder Falsches glauben. Das Fazit: Der Pontifex habe mit seiner Unterschrift das Christentum verworfen.

Tatsächlich beinhaltet das Papier, das Franziskus bei seiner Reise auf die Arabische Halbinsel vom 3. bis 5. Februar vergangenes Jahr gemeinsam mit Ahmad Al-Tayyeb, dem Großimam der Kairoer Al-Azhar-Universität und einer der wichtigsten Stimmen des sunnitischen Islam, unterzeichnet hat, theologisch wie politisch einiges an Sprengstoff. Nie zuvor in der Geschichte haben zwei bedeutende Vertreter zweier großer Weltreligionen eine gemeinsame programmatische Schrift wie diese verfasst. Auf katholischer Seite ist es die höchste Repräsentanz; auf muslimischer Seite die zentrale Figur eines internationalen Ausbildungsnetzwerks, ausgestattet mit hoher Lehrautorität.

„Der Glaube lässt den Gläubigen im anderen einen Bruder sehen, den man unterstützt und liebt.“ Auf dieser Basis betonen die beiden den Wunsch ihrer Religionen, gemeinsam den weltweiten Frieden zu fördern, Glaubens- und Meinungsfreiheit zu respektieren und die Bürgerrechte im Sinne einer Gleichberechtigung aller Menschen zu verteidigen. Dazu treten sie deutlich für Religionsfreiheit, Frauenrechte und Nachhaltigkeit ein. Somit werden die zentralen politischen Anliegen von Papst Franziskus in die Erklärung eingebettet – und als gemeinsame Anliegen beider Religionsgemeinschaften formuliert.

Gewalt und Terror im Namen der Religion verurteilt das Dokument scharf – und begründet das theologisch: „Denn Gott, der Allmächtige, hat es nicht nötig, von jemandem verteidigt zu werden; und er will auch nicht, dass sein Name benutzt wird, um die Menschen zu terrorisieren.“ Stattdessen soll es einen interreligiösen Dialog geben, der die gemeinsamen Werte in den Mittelpunkt stellt und das Gute in der Welt verbreitet. mehr Informationen

Bild: Rahman Farhan Abdullah Al-Ameri, Botschafter des Iraks, beim Papst. Zuletzt war der Diplomat im Außenministerium in Bagdad für die Beziehungen zu internationalen Organisationen zuständig.

Pluralismus ist nach dem Dokument von Abu Dhabi von Gott gegeben

Ein Dokument, das auch Nicht-Muslimen volle staatsbürgerliche Gleichberechtigung verspricht.

Signalwirkung aus Abu Dhabi

Ruinen der Klosteranlage Sir Bani Yas rund 200 Kilometer von Abu Dhabi entfernt, sind nun öffentlich zugänglich und offiziell wurden 16 Kirchen zugelassen.

Haus der Abrahamitischen Familie in Abu Dhabi

Es wird auch ein Studien- und Forschungszentrum über die Brüderlichkeit aller Menschen entstehen, mit dem Zweck die drei Religionen zusammen zu führen.

 

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