Auszug vom Beitrag von Ahmad Mansour in DER SPIEGEL 37 / 2014
Videos der Terrorgruppe des „Islamischen Staats“ (IS) zeigen aller Welt was Terror ist, was ja nichts anderes bedeutet als Angst. Neben dem Opfer posiert auf dem Video ein junger Mann mit schwarzem Bart, stolz grinsend, als wäre er ein Jäger neben einer Jagdtrophäe. Ein Täter ohne jede Reue, ohne jedes Unrechtsbewusstsein.
Die Muslime, die ihre Distanz beteuern, haben tatsächlich nichts zu tun mit dem Grauen des „Islamischen Staats“. Aber ohne dass es ihnen bewusst ist, haben viele von ihnen selber jahrelang den Nährboden für Ideologien wie die der IS-Truppe geschaffen. Denn die Islamisten haben ja im Prinzip nichts Neues erfunden. Sie haben schlicht die Inhalte des gängigen Islamverständnisses überspitzt und radikalisiert. Ihre Haltung zum Umgang mit „Ungläubigen“, ihre Haltung zur Umma, zur religiösen Gemeinschaft der Muslime, oder zur Rolle von Mann und Frau unterscheidet sich nur graduell, nicht prinzipiell. Die Basis ist die gleiche.
Es geht darum zu begreifen, weshalb das radikal-islamische Gedankengut auf manche junge Männer und Frauen Anziehungskraft ausübt. Das liegt nicht allein an der Erfahrung von Diskriminierung oder gescheiterter Integration, wie gern behauptet wird. Mit dem Argument will man Verantwortung abgeben, ernsthafte Debatten meiden.
Auch moderate Imame zelebrieren die Opferrolle von Muslimen, pflegen drastisch und erbarmungslos Feindbilder – böse sind der Westen, die Demokratie, die Schiiten, die nicht praktizierenden Muslime, die Islamkritiker und so fort.
Bei Salafisten und ähnlichen Radikalen in Europa erhalten junge Männer und auch Frauen die Illusion totaler Sicherheit und totalen Rechthabens durch ein vermeintlich glasklares System der Unterscheidung zwischen Richtig und Falsch, Gut und Böse.
Da liegt das Problem: bei unhaltbaren Einstellungen vieler Muslime. Damit sich etwas ändert, damit der Islam wirklich geschützt wird, muss er sich reformieren und sollte sich den notwendigen Debatten öffnen.
Statt einer innerislamischen Debatte um die Radikalen werden unter einigen Muslimen lieber Verschwörungstheorien verbreitet. Alles Böse kommt vom Westen, von Juden, von Amerika. Dadurch gibt man die Verantwortung ab, man behauptet einfach, es gebe eine weltweit unterdrückte muslimische Gemeinschaft, und bestätigt damit die Ideologie des IS. Auch jetzt, auch angesichts des IS-Terrors. Das ist überall im Netz in Blogs, Chatrooms, religiösen Portalen zu lesen. Der Terror des IS sei ein Produkt amerikanischer und israelischer Geheimdienste, sie hätten diese
Leute ausgebildet und unterstützt, um den Islam in schlechtes Licht zu setzen und die Region zu destabilisieren. Wilde Theorien zirkulieren, die uns von der Selbsterkenntnis abschirmen sollen, dass wir es sind, wir Muslime, die etwas an uns und unserem Verständnis des Islam ändern müssen.
Geht es aber um Glaubensbrüder als Täter, fällt solche Leidenschaft häufig aus. So kommt es vor, dass sich eine Gemeinde in Deutschland öffentlich vom IS-Terror distanziert, aber trotzdem die Bücher eines radikalen Islamisten wie Jussuf al-Karadawi verkauft und ihn den Jugendlichen als Vorbild präsentiert. Dieser Mann legitimiert das Töten israelischer Kinder durch Selbstmordattentate, verharmlost die Schoah und wünscht sich, Muslime sollten die „Arbeit“ von Hitler vollenden.
Wir brauchen einen neuen Diskurs jenseits von Opferrolle und Diskriminierungsfurcht.
Ahmad Mansour, 38, ist Palästinenser, wuchs in Israel auf und lebt seit 2004 in Berlin.
Stimmt seine Theorie?