In der Bergpredigt bringt Jesus zum Ausdruck, was er unter dem Reich Gottes versteht, welches er in ganz Galiläa predigt (Matthäus 4,18). Er fordert die Zuhörer zu einem umgekehrten Denken auf.
Nach jüdischem Brauch eröffnet Jesus seine Rede mit einem Segensspruch: „Gesegnet sind, die arm sind vor Gott, die Trauernden, die Sanftmütigen, die nach Gerechtigkeit hungern, die Barmherzigen, die rein sind im Herzen, die Friedensstifter und Verfolgten.“
Erfolgreich in dieser Welt scheinen aber eher die Besserwisser, die Glückskinder, die Dominanten, die Egoisten, die am Prinzip orientierten Menschen, die Listigen, die Kämpfer und die Tyrannen zu sein – also eher die Menschen, die das Gegenteil von dem sind, was Jesus beschreibt.
Jesus preist die Menschen glücklich, die wissen, dass sie Gott brauchen und es aushalten, Gott zu vertrauen, auch wenn die unmittelbare Erfüllung ihrer Gebete noch aussteht. Die Menschen, die auf Hilfe warten, sollen im Reich Gottes im Fokus stehen.
Wer vor Gott arm ist, braucht seine Hilfe wie von einem Arzt (Matthäus 9,12-13). Wer um den Zustand der Welt trauert (Hesekiel 9,4), soll getröstet werden. Wer den Mut hat, sanft zu sein, wird gewinnen (Psalm 37,11). Gerechtigkeit heißt, für die Sache Gottes einzustehen und den Rechtlosen zu ihrem Recht zu verhelfen (Jeremia 22,3). Barmherzigkeit bedeutet, nicht Almosen zu geben, sondern sich wie eine Mutter um jemanden zu kümmern (Jesaja 66,13). Jesus richtet dabei den Blick auf ein reines Herz und nicht auf die Reinheitsgebote (Matthäus 15,11-19).
Es geht um den Frieden Gottes (Philipper 4,7), der uns zu Gottes Kindern macht. „Gottes Söhne“ oder „Gottes Kinder“ wurden damals alle Menschen genannt, die ihr Leben von Gott bestimmen ließen. Seit Daniel 7,13 steht der Titel „Menschensohn“ dagegen für den Weltrichter. Jesus wurde der Gotteslästerung bezichtigt, weil er den Titel „Menschensohn“ für sich benutzte (Matthäus 26,64-65).
Selig sind die, die wegen ihrer Gottesbeziehung verfolgt werden. Sie wissen, dass ihr Leben weitergeht. Ihre Kraft kommt von oben.
Statt übereinander zu herrschen, sollen die Menschen einander dienen. Die menschliche Gemeinschaft soll keine Herrschafts-Pyramide sein, sondern eher wie das Bild eines Baumes aussehen, in dem der Stamm dem Ast und der Ast den Zweigen, Früchten und Blättern dient. Einmal sagte es Jesus so: „Wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein“ (Matthäus 20,26).
Wer den Bedürftigen dient und diesen Dienst für Gott verrichtet, erwartet den Lohn und Dank nicht von Menschen, sondern von Gott. Das macht frei vom Gesellschaftsdruck. Es ist egal, was die anderen Menschen denken.
Den Menschen, die mit diesem göttlichen Blick leben, verspricht Jesus eine Welt nach den Ordnungen Gottes, Trost, ein Erbe, die Stillung der Bedürfnisse, Barmherzigkeit durch den himmlischen Vater, Gemeinschaft mit Gott, die Aufnahme als Kinder Gottes und eine himmlische Ernte.
Die Seligpreisungen von Jesus scheinen ein Paradox zu sein. Lebt man nach den Vorstellungen Gottes, hat die Not zwar noch kein Ende, doch man ist in ihr gesegnet.
In Gottes Reich geht es nicht um gesellschaftliche Stellungen, sondern um Einstellungen. Jesus will uns von Erwartungshaltungen befreien: Ich mache, was Jesus mir aufträgt, egal, was die anderen denken.
Jesus fordert alle, die von ihm lernen wollen, auf, den Blick nicht auf die Starken, sondern auf die Schwachen zu richten. So gibt das Reich von Jesus jedem wieder Hoffnung und eine Zukunft, auch wenn eine unmittelbare Veränderung der Situation noch ausbleibt.
Ihr seid das Salz der Erde
Salz bringt den Geschmack zur Entfaltung. Salz konserviert und galt zur Zeit der Bibel als reinigend (vgl. 2. Mose 30,35; 2. Könige 2,19-23; Hesekiel 16,4). Es wurde Opfern beigegeben (3. Mose 2,13; Hesekiel 43,24). Salz ist ein Symbol für den Bund mit Gott. Mit Salz wird Fleisch koscher (jüdisch rein) gemacht. Jesus will hier sagen: Nachfolger von Jesus bewirken etwas, den Salz verändert sein Umfeld.
Wer jedoch den Glauben verliert, ist kraftlos. Mit dem Adjektiv bzw. dem griechischen Wort „moros“ (μωρός), das „töricht“ bzw. „Tor“ bedeutet und hier als „Geschmack verlieren“ übersetzt wird, bezeichnet Matthäus stets Menschen, die nicht glauben.
Ihr seid das Licht der Welt
Durch Jesus wird es hell – es wird Licht.
Die ganze Finsternis der Welt kann das Licht einer einzigen Kerze nicht auslöschen.
Eine Stadt, die auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben, so wie die Stadt Safed, die über dem See Genezareth thronte und ganz in der Nähe des Ortes lag, an dem Jesus predigte. Im Jerusalemer Talmud (RH 2:1,58a) wird Safed als einer der Berggipfel erwähnt, von denen zur Zeit des herodianischen Tempels Feuersignale übermittelt wurden.
Licht weist den Weg und bringt hervor, was verborgen war. Wer nichts zu verbergen hat, muss sich nicht vor dem Licht fürchten, sondern kann sich darüber freuen.
Salz und Licht bewirken etwas in ihrem Umfeld.
Das Ziel ist, dass wir nicht Menschen ehren, sondern den Vater im Himmel mit unserem Lebensstil verherrlichen (Matthäus 5,16). Paulus bezeichnet das als den Sinn des Lebens: „Jetzt sollen wir mit unserem Leben Gottes Herrlichkeit für alle sichtbar machen“ (Epheser 1,12 sowie auch Epheser 1,6; Epheser 1,14).
Text: Hanspeter Obrist