Eine Geschichte in der Bibel sorgt immer wieder für Verwunderung. Jesus und seine Leute werden von Marta in ihr Haus eingeladen. Doch bald ärgert sie sich, dass ihre Schwester Maria ihr nicht bei der Bewirtung der Gäste hilft und stattdessen Jesus zu Füßen sitzt. Deshalb fordert Marta Jesus auf, Maria zurechtzuweisen. Da kommt die große Überraschung: Jesus tadelt nicht Maria, sondern Marta. Das wirft offene Fragen auf (Lukas 10,38-42).
Leben mit der Bibel, Donnerstag, 16. Dezember, Radio Maria Schweiz
Die Sendung kann auch auf dem Podcast von Radio Maria Schweiz gehört werden: Link zu den Sendungen im Radio Maria https://www.radiomaria.ch/de/podcasts?combine=Hanspeter+Obrist
Bild von Nathan Greene
In Lukas 10,38-42 steht: 38 Als sie weiterzogen, kam er in ein Dorf. Eine Frau namens Marta nahm ihn gastlich auf. 39 Sie hatte eine Schwester, die Maria hieß. Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seinen Worten zu. 40 Marta aber war ganz davon in Anspruch genommen zu dienen. Sie kam zu ihm und sagte: Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester die Arbeit mir allein überlässt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen! 41 Der Herr antwortete: Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. 42 Aber nur eines ist notwendig. Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht genommen werden.
Was ist das Besondere an dieser Geschichte?
Marta macht genau das, was alle von einer Gastgeberin erwarten, und doch liegt sie daneben. So stellt sich die Frage: Ist Hausarbeit in den Augen von Jesus weniger wichtig als zu philosophieren? So schnell lässt sich die Frage nicht beantworten. Wir müssen genau hinhören, was da geschieht.
Was als erstes auffällt: Marta versucht Jesus zu instrumentalisieren. Sie meint zu wissen, was Jesus und ihre Schwester tun sollten. Vor den Gästen stellt sie ihre Schwester in einem schlechten Licht dar, anstatt direkt auf sie zuzugehen oder allgemein um Hilfe zu bitten. Es könnten ja auch andere Leute helfen.
Sind wir da manchmal nicht ähnlich? In so manchen Gebeten versuchen wir immer wieder, Jesus unsere Lösung zu unterbreiten. Dabei heißt Beten, Gott unsere Anliegen zu bringen und gespannt darauf zu warten, welche Lösung er dafür hat. Hier hätte Marta fragen können: „Jesus, wie sollen wir das mit dem Essen machen?“
Auch stellt sich die Frage, was sich Jesus als Gast gewünscht hat – ein super Menü oder offene Zuhörer?
Beim Jakobsbrunnen in Samaria lehnte Jesus das Essen der Jünger ab und sagte: „Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, und sein Werk zu vollenden“ (Johannes 4,34).
Salomo sagt in Prediger 3,1: „Alles hat seine Stunde.“
Einen anderen Ausgang hat die Speisung der Fünf- und Siebentausend genommen. Da hat man über all dem Zuhören das leibliche Wohl ganz vergessen und Jesus hat dann durch ein Wunder eingegriffen und die Menge versorgt.
Jesus hat also nicht grundsätzlich etwas gegen das Essen; er rückt bei Marta nur die verschobene Priorität zurecht.
Hier stellt sich uns auch die Frage, wie wichtig wir etwas nehmen. Ist wirklich das Essen am Weihnachtsfest das Wichtigste? Manche Leute können andere kaum einladen, weil sie wissen, dass sie den Ansprüchen der anderen oder ihren eigenen nicht genügen können.
Die jüdische Tradition, dass es zu den Schabbaten nur einen Eintopf gibt, hat etwas Gutes. Nicht das Essen soll im Zentrum stehen, sondern die Gemeinschaft.
Vielleicht kann uns das gerade für die kommenden Festtage einen Impuls geben. Anstatt dass die Köchin in der Küche Stress hat, ist auch ein Essen, an dem jeder einfach etwas mitbringt, eine gute Sache. Wir haben es einmal so gemacht, dass wir gesagt haben, wir machen Teigwaren und Reis und jeder bringt einfach eine Sauce zum Teilen mit.
Also was wollen die Gäste? Vielleicht wollen sie einfach Zeit mit uns verbringen.
Essen hin oder her, doch warum tadelt Jesus die fleißige Marta?
Marta ist mit ihrem Dienst nicht eins. Würde sie aus Freude dienen und ihre Erwartungen nicht auf Maria projizieren, wäre alles in Ordnung.
Beide Frauen bringen ihre Liebe zu Jesus in ihrer Liebessprache zum Ausdruck: Marta durch Dienen, Maria durch Zeit haben. Doch Marta meint, Maria sollte so sein wie sie.
Gary Chapman hat festgestellt, dass es bei Menschen fünf Sprachen der Liebe gibt.
Eine dieser Sprachen besteht darin, wie Marta etwas für jemanden zu machen, also Hilfsbereitschaft zu zeigen.
Eine andere Sprache ist die von Maria. Sie wollte einfach Zeit mit Jesus verbringen. Die ungeteilte Aufmerksamkeit ist ihr wichtig.
Andere bringen ihre Liebe durch Worte zum Ausdruck.
Anderen bedeuten Geschenke etwas, was ja gerade zu Weihnachten sehr aktuell ist.
Und andere wollen den anderen spüren. Ihnen ist körperliche Nähe besonders wichtig.
Nicht jedem bedeutet jedes gleich viel. Wenn wir das nicht verstehen, dann können wir aneinander vorbeikommunizieren. Wenn jemand ein Geschenk einfach zur Seite stellt, kann es sein, dass ihm etwas anderes wichtiger ist. Ich glaube, darauf achten wir viel zu wenig. Manchmal nehmen wir gar nicht wahr, dass der andere seine Zuwendung gesendet hat, die aber bei mir gar nicht angekommen ist. Oder ich sende meine Signale, doch der andere spricht einfach eine andere Liebessprache und versteht sie darum nicht.
Als ich das entdeckt habe, hat sich vieles bei mir verändert. Auf einmal habe ich gemerkt, dass ich anders empfange und deshalb gewisse Signale nicht richtig einordnen konnte.
Natürlich sollen wir auf alle möglichen Arten unsere Wertschätzung ausdrücken, doch nicht alles löst beim Empfänger die erwartete Reaktion aus. Wir kennen das. Man verschenkt ein Geschenk, das einen selbst fasziniert – doch der Beschenke schaut es kaum an und sagt ein trockenes höfliches Danke.
Hier bei Marta und Maria sehen wir, dass Marta mit ihrem Dienst nicht eins ist. Das ist der Knackpunkt. Sie will, dass Maria auch so ist wie sie.
Doch Maria ist anders. Sie ist ganz bei sich. Sie macht das, was für sie die höchste Wertschätzung ist. Und das soll ihr nicht genommen werden.
Wir müssen lernen, dass wir einander ergänzen und andere nicht instrumentalisieren. Vielleicht ist auch dran, unsere Ansprüche herunterzuschrauben und nur das zu tun, was wir gut, gern und mit Freude beitragen können.
Also nochmals ganz kurz zusammengefasst: Die fünf Sprachen der Liebe sind Worte, Geschenke, körperliche Nähe, Hilfsbereitschaft und Zeit haben. Die Bücher von Gary Chapman finden Sie unter den Stichworten „Fünf Sprachen der Liebe“.
War es nicht außergewöhnlich, dass eine Frau an den Lehrgesprächen teilnahm?
Spannend ist, dass bei Jesus nicht nur wie damals üblich Männer an den Lehrgesprächen teilnehmen, sondern auch Frauen. Sie sitzen sogar in der ersten Reihe, wie wir bei Maria sehen. Maria hat nur einen Wunsch: zu den Füßen von Jesus zu sitzen und fasziniert zuzuhören.
Doch Jesus zu Füßen sitzen meint sogar noch mehr.
Paulus sagt in Apostelgeschichte 22,3: „Ich bin ein Jude, geboren in Tarsus in Kilikien, hier in dieser Stadt erzogen, zu Füßen Gamaliëls genau nach dem Gesetz der Väter ausgebildet, …“
Zu Füßen Jesu sitzen bedeutet, nicht nur andächtig zuzuhören, sondern aktiv an den Lehrgesprächen teilzunehmen.
Das machen nicht nur Männer, sondern auch Frauen.
In Lukas 8,1-3 lesen wir: Die Zwölf begleiteten ihn 2 und auch einige Frauen, die von bösen Geistern und von Krankheiten geheilt worden waren: Maria, genannt Magdalena, aus der sieben Dämonen ausgefahren waren, 3 Johanna, die Frau des Chuzas, eines Beamten des Herodes, Susanna und viele andere. Sie unterstützten Jesus und die Jünger mit ihrem Vermögen.
Spannend ist hier auch noch, dass die Frauen aus allen Schichten kamen.
Die ersten Verkündiger der Auferstehung waren Frauen. Und in Apostelgeschichte 18,26 steht: „Er (Apollos) begann, mit Freimut in der Synagoge zu sprechen. Priscilla und Aquila hörten ihn, nahmen ihn zu sich und legten ihm den Weg Gottes noch genauer dar.“
Die Bibel hat einen unverkrampften Umgang mit Frauen und Männern. Der Akzent liegt auf der Ergänzung und nicht auf der Abgrenzung. Gott sieht die Person an und nicht das Geschlecht.
Nutzen wir doch einfach die Möglichkeiten, die wir haben und sei es, dass wir wie Priscilla zu Hause einander zu Füßen sitzen. Jesus kämpfte nicht um einen Platz im Tempel oder den Synagogen, er lehrte, wo immer sich eine Gelegenheit bot.
Doch kommen wir auf uns zurück. Die Frage ist: Wem oder was sitze ich zu Füßen? Wo hole ich mir Inspiration? Was tut mir gut? Mit was belaste ich meine Seele?
Vielleicht müssen wir einige Dinge abschalten und in der stillen weihnachtlichen Zeit uns bewusst Zeit nehmen fürs bewusste Hören, damit unser Alltag die rechten Prioritäten erhält.
Was ist der Unterschied zur vorangehenden Erzählung vom barmherzigen Samariter?
In der Geschichte vom barmherzigen Samariter fordert Jesus dazu auf, dass vergeistigte Menschen Handelnde werden. In dieser Geschichte von Maria und Marta zeigt er, dass die Überaktiven zur Ruhe kommen und nicht über die innere Balance hinaus agieren sollen.
Es geht in beiden Geschichten um das passende Verhalten im jeweiligen Moment.
Bei Maria und Marta ist es wichtig, dass sie im inneren Einklang mit sich leben und sich auch um ihr inneres Wohl kümmern.
Jesus möchte, dass Marta die Worte vom Reich Gottes umsetzt: Sei ganz eins mit dir. Sei nicht besorgt und beunruhigt (Vers 41). Richte nicht (Matthäus 7,1). Nimm dir auch mal die Zeit zu sein und dich inspirieren zu lassen.
Hausarbeit ist nicht minderwertig; doch was nützt ein Besuch, wenn der Gastgeber keine Zeit für seine Gäste hat?
Was ist der Maßstab meiner Bewirtung? Meine Ansprüche an mich oder der Wunsch meines Besuches? Unser Gegenüber hat manchmal ganz andere Prioritäten.
Weil Marta zu hohe Ansprüche an sich selbst hat, ärgert sie sich, als nicht alles so läuft, wie sie es sich vorstellt.
Vielleicht ist das eine passende Inspiration gerade für die Weihnachtszeit, nicht alles so perfekt gestalten zu wollen, sondern mehr Zeit füreinander, für sich und für Gott zu haben.
Aus dieser Perspektive heraus wünsche ich allen inspirierende Festtage.
Text: Hanspeter Obrist, Dezember 2021
In dieser Geschichte geht es nicht darum, Marta in ein negatives Licht zu stellen. In Johannes 11 geht Marta Jesus entgegen und offenbart, dass sie die Botschaft von Jesus verstanden hat. Jesus sagt nur, bleib bei dir und urteile nicht über andere Menschen, wenn sie sich nicht so verhalten, wie du es dir vorgestellt hast.