Auszüge aus dem Neujahrsgespräch der Krone Zeitung mit Kardinal Christoph Schönborn.
Herr Kardinal, ein schwieriges Jahr ist zu Ende gegangen. Worum beten Sie für 2017?
Dass wir unseren Alltag nicht besinnungslos abspulen. Sondern uns wieder mehr besinnen. Auf mehr Ruhe, mehr Stille, mehr Nachdenklichkeit. Weniger Schlagworte! Weniger reden und mehr zuhören.
Wo endet Toleranz, Barmherzigkeit, Nächstenliebe?
Da, wo sie auch für österreichische Staatsbürger endet. Kriminalität ist Kriminalität. Und wie bei den Menschen in Österreich gibt es auch unter den Flüchtlingen Menschen, die Missbrauch üben mit den Sozialleistungen. Aber es wäre nicht richtig, von ihnen aus auf alle Flüchtlinge zu schließen.
Wird der Islam Europa erobern?
Ich würde so sagen: Die Türkei war einmal zur Gänze christlich, bevor sie von den Türken erobert worden ist. Kleinasien war ein durch und durch christianisiertes Land. Natürlich würde ich mir als Christ wünschen, dass der Nahe Osten wieder christlich wird, wie er es einmal war, oder Nordafrika. Nordafrika war zur Gänze christianisiert. Natürlich wünsche ich mir das, weil ich glaube, dass das Christentum nicht nur meine persönliche Religion ist, sondern eine Religion, die trotz aller Fehler, die geschehen sind, eine gute Religion ist. So kann ich den Muslimen auch nicht verargen, wenn sie sich wünschen, dass Europa islamisch wird.
Haben Sie keine Angst, dass der Stephansdom einmal zur Stephansmoschee werden könnte?
Natürlich wünsche ich mir, dass der Stephansdom ein lebendiges christliches Gotteshaus, ein Ort des Gebetes bleibt und nicht nur eine Touristenattraktion für fünf Millionen Touristen im Jahr. Aber wir haben in Wien schon jetzt 200 islamische Gebetsstätten. Wir haben in Spanien Moscheen, die Kathedralen geworden sind, und wir haben, etwa in Damaskus, die Kathedrale, in der Johannes der Täufer begraben ist, die jetzt eine Moschee ist, und wir haben in Indien Hindutempel, die früher Moscheen waren, und umgekehrt. Dass Religionen miteinander in Konkurrenz stehen, das ist so alt wie die Welt. Ich freue mich, dass Muslime bei uns ihre Religion frei ausüben können, ich wünsche mir aber auch, dass Christen in Saudi- Arabien oder auch in anderen mehrheitlich islamischen Ländern ihre Religion frei ausüben können.
Verstehen Sie, dass viele Menschen Sorge vor einer Islamisierung haben?
Wir müssen zurückfragen: Was tut ihr für die Christianisierung Europas? Angst haben vor der Islamisierung Europas ist unsinnig, wenn man nicht selber etwas dazu beiträgt, dass Europa christlich bleibt. Aber natürlich, wenn in Holland eine Kirche nach der anderen verkauft wird und zu einem Supermarkt umgewandelt wird, wenn uns die Supermärkte wichtiger sind als die christlichen Wurzeln Europas, dürfen wir uns nicht wundern, dass Europa sich entchristlicht. Aber es ist nicht die Schuld der Muslime.
Wie können wir es verhindern?
Die Frage wird sein, ob wir Österreicher und Europäer wirklich zu den christlichen Werten stehen, die Europa groß gemacht haben, oder ob es uns letztlich wurscht ist. Das beginnt damit: Ist es uns wichtig, dass es einen Religionsunterricht in den Schulen gibt? Ist es uns wichtig, dass die Kirchen nicht nur Museen, sondern Orte des Gebetes sind? Wenn wir sehen, dass die Moscheen gut besucht sind und die Kirchen schlecht besucht sind, dann dürfen wir nicht den Muslimen den Vorwurf machen, dass sie Europa islamisieren wollen. Sondern wir müssen uns den Vorwurf machen, dass wir nicht genug tun, um ein christliches Europa zu erhalten.
„Momentan hat der Terror ein islamisches Gesicht“ – würden Sie den Satz noch einmal sagen?
Die meisten Terroranschläge der letzten Zeit sind verbunden gewesen mit dem Ruf: „Allah ist groß.“ Das ist ein Problem. Aber ich sage auch: Religionen sind immer gefährdet, dass in ihrem Namen Terror ausgeübt wird. Denken wir nur an die Protestanten und die Katholiken in Nordirland, die sich gegenseitig umgebracht haben – und das im Namen ihrer Religion.
Was würden Sie am Anfang des Jahres 2017 als größte Herausforderung für die katholische Kirche bezeichnen?
Hoffnung. Es gibt ein wunderschönes Bild von dem französischen Schriftsteller Charles Péguy, der sagt: „Die drei großen Tugenden sind Glaube, Hoffnung, Liebe.“ Glaube und Liebe, das sind die beiden großen Schwestern, und die Hoffnung ist die kleine Schwester, aber die kleine Schwester zieht die beiden großen Schwestern voran. Die Hoffnung zieht voran. Ich wehre mich gegen das Wort „Die Hoffnung stirbt zuletzt“. Ich sage immer: Nein, die Hoffnung stirbt überhaupt nicht. Wir sind durch schwere Krisen gegangen, aber ich glaube, es war eine Reinigung, aber auch eine Stärkung und ein Ansporn.