In vielen orientalischen Ländern lösen sich christliche Gemeinden auf. Die Gläubigen wollen flüchten, aber im Westen sind sie nicht willkommen.
Die Zahl der Christen in der Türkei wird immer kleiner. Lebten vor 90 Jahren, als der Staat gegründet wurde, noch allein in Istanbul rund 120.000 Christen, sind es heute landesweit nicht einmal mehr 100.000. Jetzt ist die Gesamtchristenheit in der Türkei nur noch 0,15 Prozent.
Die christlichen Kirchen in der Türkei werden gleich mehrfach benachteiligt. So dürfen sie weder Grundstücke erwerben noch bei einer Bank ein Konto für die Gemeinde eröffnen. Sie verfügen über keinen Körperschaftsstatus. Und bis heute hat keine der drei einheimischen Kirchen – das sind die griechisch-orthodoxe, die armenisch-apostolische und die syrisch-orthodoxe – die Möglichkeit, im Land theologischen Nachwuchs auszubilden.
Im Orient gibt es eine latente Benachteiligung der Christen
Es gibt aber auch eine unbewusste Diskriminierung. Bei der Arbeit, sie werden nie sagen: ‚wir diskriminieren‘ – sie fragen: ‚ja, wie heißen Sie?‘ – durch meinen Namen erkennen man, wenn jemand Christ ist – und sie sagen ‚Ja, leider momentan haben wir keinen Platz, aber kommen Sie wieder nächsten Monat‘ oder ‚wir werden sehen‘ – diese Diskriminierung existiert immer.
Dass sich diese latente Diskriminierung auch eruptiv entladen kann, zeigte sich vergangenen Sommer in Ägypten. Als nämlich das Militär den gewählten islamistischen Präsidenten Mohammad Mursi aus dem Amt putschte, sahen sich die christlichen Kopten einer Art Rachefeldzug radikaler Muslime ausgesetzt. Binnen weniger Tage wurden in ganz Ägypten über 60 Kirchen zerstört. Hunderte christlicher Geschäfte, Schulen und Wohnungen wurden geplündert oder gingen in Flammen auf. Mittlerweile scheint sich die Lage in Ägypten wieder beruhigt zu haben. Wie viele Christen infolge der jüngsten Repressionen das Land verlassen haben, ist nicht bekannt.
Anders ist es im Irak. Hier gibt es einen seit Jahren anhaltenden Exodus der Christen, der sich nach dem Abzug der amerikanischen Besatzungstruppen noch einmal vergrößerte. Mittlerweile haben so viele Christen das Zweistromland verlassen, dass ein reibungsloses kirchliches Leben vielerorts kaum noch aufrechterhalten werden kann. Beim Einmarsch der US-amerikanischen Truppen im Jahr 2003 lebten noch rund 1,5 Millionen Christen an Euphrat und Tigris. Heute gibt es nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen weniger als 500.000 Christen im Land – mit weiter abnehmender Tendenz. Die meisten von ihnen wohnen im mehrheitlich kurdischen Norden.
Im Irak kämpfen in erster Linie Muslime gegen Muslime. Diejenigen Christen, die noch immer im Irak sind, sind arm und haben kein Geld und keine Möglichkeiten in andere Länder zu gehen und geraten immer wieder zwischen die Fronten. Wenn sie zur Kirche gehen, steht die Polizei draußen. Wie kann man beten, wenn die Polizei draußen steht und jederzeit eine Bombe platzen kann? Deswegen gehen viele Leute nicht mehr in die Kirche. Der Weggang von weit über zwei Drittel der irakischen Christen aus ihrer Heimat hat schwerwiegende Folgen. Durch den Exodus werden der Einfluss und die gesellschaftliche Position derjenigen Christen, die bislang noch geblieben sind, immer weiter geschwächt.
Dass in altem christlichem Siedlungsgebiet heute kaum noch Christen anzutreffen sind, ist im Irak mittlerweile eine bittere Tatsache geworden. Dies könnte bald für Syrien ebenfalls zutreffen. Auch hier ist das Christentum bereits seit seinen frühesten Tagen zu Hause. Bis vor drei Jahren, als der Bürgerkrieg begann, machten die Christen knapp zehn Prozent der 22 Millionen Einwohner zählenden Bevölkerung aus. Jetzt stehen sie in der Gefahr, doch auch Projektionsfläche zu werden für allerlei Abrechnungen. Unklar ist auch, wie viele Christen Syrien bereits insgesamt verlassen haben. Nach Angaben von Selvanos Boutros Alnemeh, dem syrisch-orthodoxen Erzbischof von Homs und Hama, ist es mindestens jeder Vierte. Insgesamt leben etwa zwei Millionen Christen in Syrien. Davon haben annähernd eine halbe Million bereits das Land verlassen. Wenn europäische Länder die Einreisebedingungen erleichtern, könnten es auch noch mehr werden.
Wenn orientalische Christen hierzulande Schutz findet, wird das Christentum im Nahen Osten weiter geschwächt. Glaubt man der katholischen Hilfsorganisation „Kirche in Not“, so lag vor rund einhundert Jahren der Anteil der Christen im Orient bei rund zwanzig Prozent. Heute, so heißt es, seien es vielleicht fünf Prozent oder sogar noch weniger.
Doch christliche Flüchtlinge haben es nicht leicht. Im Nahen Osten sagt man über sie: „Sie sind Ausländer, sie sind Christen!“ Und wenn sie nach Europa kommen, sagt man: „Sie kommen aus dem Nahen Osten. Sie sind Muslime!“ So bezahlen sie doppelt. Hier und auch dort.