Die Ermordung eines 21-jährigen US-Amerikaners in Alexandria verhieß für Ausländer nichts Gutes. Viele von ihnen verließen fluchtartig das Land. Angeblich soll es keinen freien Platz mehr für Flüge nach Europa und in die USA gegeben haben. Vorsorglich hatten sich viele Ägypter mit Lebensmitteln eingedeckt und mit Geld aus dem Automaten versorgt.
Nervös gaben sich die jungen Leute auf dem legendären Platz, wo die ägyptische Revolution im Januar 2011 ihren Anfang genommen hatte, was nicht ägyptisch oder irgendwie verdächtig aussah. „Sind Sie Israeli?“ Eine starke Hand packt die Schulter. Schnell bildet sich eine aufgeregt schnatternde Menschentraube. Viele Ägypter sind fest davon überzeugt, dass der verhasste jüdische Nachbar an der Misere Ägypten mit Schuld trägt. Erst ein Blick in den Pass beruhigt die Lage. Kein Israeli. Der feste Griff lockert sich und wird zum Schulterklopfen. „Ahlan, willkommen zu unserer zweiten Revolution“. „Irhal, hau ab“, ist der Slogan der Mursi-Gegner. Nationalisten, Liberale, Linke und Christen bevölkern den Platz.
Das Konterfei Mursis wird auf Plakaten auf jede erdenkliche Weise entstellt: als böser, bluttriefender Wolf, als Jude mit Schläfenlöckchen, als Stiefellecker Amerikas. Daneben ist Anne Patterson die meistgehasste Person auf dem Platz. Die amerikanische Botschafterin in Ägypten gilt als Stütze der Muslimbrüder. Immer wieder geht ihr Bild in Flammen auf. Es finden sich viele verschleierte Frauen unter den Demonstranten, darunter solche mit Niqab, dem Gesichtsschleier. Gehören Sie nicht eher auf die andere Seite? „Nein, wir sind zuerst Ägypter. Es geht um unser Land, nicht um Religion. Die Muslimbrüder glauben, sie hätten ein Monopol auf den Islam und erklären alle, die ihnen nicht folgen, zu Ungläubigen. Wir sind aber gute Muslime, dennoch lehnen wir Mursis Kurs ab“, sagt eine Vollverschleierte mit glühenden Augen. Wer sollte denn Mursi angesichts der Zerstrittenheit der Opposition nachfolgen? „Das ist mir egal“, meint der 28-jährige Hani Garas. „Ich habe letztes Jahr in der ersten Runde für den linken Nasseristen Hamdin Sabbahi gestimmt. Optimal ist keiner der Kandidaten gewesen. Mit Mursi haben wir aber sicher den schlechtesten bekommen. Alles ist besser als er.“
Aktivisten der koptischen Maspero-Jugend sind auch auf dem Platz. So wie der 26-jährige Kamil Michael aus Kairo. „Das ist nicht unser Präsident. Wir Christen werden zu Bürgern zweiter Klasse. Mursi arbeitet nur für die Macht der Muslimbruderschaft. Er muss abtreten.“ Eine katholische Ordensschwester aus Ägypten, die ungenannt bleiben möchte, ergänzt: „Freiwillig wird Mursi nicht gehen. Aber er muss. Er hat jetzt ein Jahr Zeit gehabt. Aber statt besser wird alles immer schlimmer hier. Wir Christen haben so viel Hoffnung, dass diese Demonstrationen zum Erfolg führen.“ Ein muslimischer Passant erkennt das Ordensgewand. „Jesus war als Baby hier in Ägypten“, sagt er zur Schwester. „Bitte beten Sie zu ihm, dass er uns heute von den Muslimbrüdern befreit.“ Die Schwester nickt freundlich. „Hier sind Christen und Muslime gegen Mursi vereint. Und alle sind freiwillig hier“, sagt sie und zeigt auf die Zehntausenden ringsherum. „Die Muslimbrüder hingegen sind zu ihrer Demo aus ganz Ägypten mit dem Bus angekarrt worden. Viele Unterstützer hat man auch mit ein paar hundert Pfund motivieren müssen zu kommen.“
Bei den Muslimbrüdern und Salafisten tönt es anders: „Wir sind hier, um den legitimen Präsidenten Ägyptens zu verteidigen“, sagt ein Mann, der Jahre in Frankreich gelebt hat. „Hollande in Paris hat im Moment auch niedrige Zustimmungswerte. Aber fordert ihn die französische Opposition deswegen gleich zum Rücktritt auf?“ Ein anderer ergänzt: „Die Ägypter haben nicht verstanden, was Demokratie heißt. Man muss eine rechtmäßige Wahl akzeptieren. Ja, der Präsident hat Fehler gemacht. Das hat er am Mittwoch in seiner Ansprache zugegeben. Aber man gibt ihm auch keine Chance.“ „Wir hier halten zusammen. Wir wollen Ägyptens Revolution und Demokratie voranbringen. Die Chaoten vom Tahrir haben keinen Plan für unser Land.“ Ein älterer Mann aus Assiut in Oberägypten meint: „Wir wollen keine Türkei hier, wo Staat und Religion getrennt sind. Ägypten ist ein islamisches Land. Nur der Islam ist die Lösung für unsere Probleme.“ Eine Gruppe junger Männer hebt zur Unterstützung eine Taschenbuch-große Ausgabe des Koran in die Höhe. Im Chor rufen sie: „Wir sind bereit, für unseren Präsidenten unser Leben zu geben.“
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