Die arabischen Intellektuellen schweigen

Zitate aus dem Interview von Taz.de mit dem algerischen Schriftsteller Boualem Sansal über Israel und Islamisten.

taz: Herr Sansal, dieses Mal sind Sie für viele einen Schritt zu weit gegangen. Sie haben das größte Tabu gebrochen, das ein arabischer Intellektueller brechen kann. Sie sind nach Israel gereist. Warum?

Boualem Sansal: Ganz einfach, weil ich eingeladen worden bin. … Ich hoffe, dass dies weitere Besuche von Arabern in Israel und von Israelis in der arabischen Welt zur Folge hat. Damit können wir vielleicht etwas zum Frieden zwischen Israelis und Palästinensern beitragen.

Das sieht kaum jemand so. Die Reaktionen in der arabischen Welt fielen sehr heftig aus.

Die Kritik kam vor allem von Seiten der Islamisten und von Intellektuellen, die sich stark auf der Seite der Palästinenser engagieren. Für diese Leute bin ich ein Verräter.

Haben Sie auch Zustimmung von Seiten arabischer Künstler und Intellektueller erfahren?

Es gibt Leute, die mich unter vier Augen oder am Telefon unterstützt haben. Aber niemand hat dies öffentlich in einem Artikel getan. … Es gibt Politiker auf beiden Seiten, die sich immer wieder überall auf der Welt treffen, Geschäftsleute, die zusammenarbeiten, Künstler, Musiker, Anwälte, Ärzte … Warum sollen wir Intellektuellen und Schriftsteller das nicht tun? Unser Wort hat Gewicht. Es ist notwendig auszubrechen, um das Problem den Extremisten auf beiden Seiten zu entreißen.

Erwartet man nicht von einem Schriftsteller, der aus einem Land kommt, das vor 50 Jahren teuer für die Unabhängigkeit bezahlt hat, dass er sich ganz besonders hinter die Palästinenser stellt?

… Algerien trat nie für einen Frieden mit Israel ein, sondern will, dass Israel verschwindet. Gaddafi in Libyen ist tot, Saddam Hussein im Irak auch, im Jemen ist der Präsident weg, Syrien ist im Bürgerkrieg … nur Algerien ist übrig, und verfolgt die 30 Jahre alte Linie. In Algerien sind wir palästinensischer als die Palästinenser. Das ist doch nicht normal.

Die Hardliner sehen im Kampf der Palästinenser einen antikolonialen Befreiungskampf wie einst in Algerien. Ist es somit nicht logisch, dass die Kolonialmacht abziehen, verschwinden muss?

Man kann zwei völlig unterschiedliche Dinge nicht einfach gleichsetzen. … In Palästina leben zwei Völker, die das gleiche Land beanspruchen. Beide führen ihre Geschichte an, um zu belegen, dass sie die alleinigen Eigentümer sind. Es ist als würden sich zwei Besitzer um das gleiche Haus streiten. Beide legen ihre Papiere vor, der eine die Bibel, der andere den Koran. Dabei wird vergessen, dass Israel per internationalem Gesetz 1948 von der UNO gegründet wurde. Es ist kein Kolonialproblem sondern ein Problem des Eigentums.

Was ist die Lösung?

Ich glaube die einzige Lösung sind zwei Häuser, in einem Haus zusammen zu leben ist nicht mehr möglich. Die UNO wollte bereits 1948 zwei Häuser, Palästina und Israel. Die Araber lehnten dies ab. …

In Israel gibt es auch Extremisten, die davon reden, dass Palästina verschwinden muss.

Natürlich. Aber die israelischen Radikalen leben in einem demokratischen Staat mit seinen Gesetzen. Sie demonstrieren, sie machen ihre Propaganda, aber es ist eine kleine Minderheit in einem Rechtsstaat mit einem Parlament und einer Regierung. Sie haben keine Chance, umzusetzen, was sie wollen.

Aber es gab doch eine Reihe von Revolutionen. Warum hat dies nicht zu einer Diskussion, zu einer intellektuellen Öffnung geführt?

Die Unabhängigkeit hat in den meisten arabischen Ländern nicht zu Freiheit und zu einem besseren Leben geführt, wie es sich die Menschen erhofften. Egal ob die Regierenden auf den Kapitalismus oder den Sozialismus setzten, es scheiterte immer daran, dass es Diktaturen waren. … Deshalb glauben viele Menschen jetzt, dass der Islamismus die Lösung, ja die einzige Lösung, ist. Das ist gefährlich. Denn hinter dem Islamismus stehen eine starke Ideologie und starke Unterstützer. Lange hat man gedacht, der Islamismus wäre eine unbedeutende Irrlehre, die vom Weg der Religion abgekommen ist. Das ist nicht so. Es handelt sich um eine echte faschistische Ideologie, mit einem politischen Projekt und einer Strategie, um sich die Welt untertan zu machen. …

Wo bleibt da für Intellektuelle noch Platz?

In den arabischen Ländern hat der Intellektuelle keinen Platz. Es gibt nur die Macht und das Volk. … Was mir Sorge bereitet: Die Stimme der arabischen Intellektuellen ist nie zu hören. Egal bei welchem Problem auf dieser Welt mischen sich die westlichen Intellektuellen ein, halten Kongresse ab, schreiben Manifeste. Die arabischen Intellektuellen schweigen. Wir müssen uns befreien, von der Macht, der Religion, von der arabo-muslimischen Kultur, die einen Araber dazu zwingt, wie ein Araber zu denken.

Vergleiche auch Artikel: Ein Ägypter zu Besuch in Israel  http://israelimpulse.wordpress.com/2012/06/08/ein-agypter-zu-besuch-in-israel/

 

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