„Welche Sünden der Menschheit sollte Jesu Tod sühnen? Da die Bibel nur Juden verpflichtet, die Gesetze zwischen Gott und Menschen einzuhalten, konnte die nichtjüdische Welt solche Sünden gar nicht begangen haben. Die einzigen Sünden, die Nichtjuden begangen haben könnten, wären die Sünden gegen andere Menschen“ schreiben Dennis Prager und Joseph Telushkin im Buch „Judentum heute“ (S. 76).
Im Judentum unterscheidet man zwischen den Sünden, die Gott betreffen und denen welche nur Mitmenschen etwas angehen.
Eliyah Havemann schreibt im Buch „Wie werde ich Jude?“: „Nach orthodoxer Lesart ist jeder Mensch ein Jude, der eine jüdische Mutter hat.“ (S. 17). „Nach chassidischer Leseart hat ein Jude im Gegensatz zu allen anderen Menschen eine zweite Seele neben der irdischen, die jeder Mensch und auch jedes Tier hat. Die zweite, himmlische oder g’ttliche Seele macht den Juden zum Juden“ (S. 232).
Da ein Nichtjude demnach keine göttliche Seele hat und auch nicht angehalten wird, die Gesetze an das jüdische Volk einzuhalten, kann er sich Gott gegenüber gar nicht versündigen.
Eine Jüdin erklärte auf einer Führung im jüdischen Museum auf die Frage, ob es richtig sei, dass Juden glauben, im kommenden Königreich in Jerusalem wieder auf diese Erde zurückzukehren: „Ja, aber ich weiß nicht mit welcher Reinkarnation ich auferstehen werde.“ Eine andere Jüdin sagt mir: „Ich glaube meine Existenz ist ein Splitter einer jüdischen Seele.“ (vergleiche dazu Artikel: Juden, Christen, Muslime – das gleiche Ziel?)
Nach den traditionellen Vorstellungen des Judentums wird eine jüdische Seele wieder als Jude geboren. Ausnahme bleiben die, welche eine besondere Entwicklungsstufe (Heiligkeitsgrad) erreicht haben. Diese warten im Paradies in einem „friedlichen Ruhezustand“ auf die Auferstehung in ein irdisches Leben im kommenden Königreich. Ein Jude hat mir erzählt, das Paradies befinde sich 30 cm über dem Erdboden in Mesopotamien. Das kommende Königreich hat sein Zentrum im irdischen Jerusalem. Es wird unter anderem in Jesaja (2,4 und 11,6-9) beschrieben.
Dieses Reich wird von einem Messias errichtet, der nach jüdischem Verständnis kein religiöser Führer, sondern ein Politiker (König) ist. Gott wird sich dann in Jerusalem neu manifestieren. Im Judentum hat man eher die Vorstellung von einer unsichtbaren geistlichen Realität als von einer jenseitigen Welt. Im kommenden Königreich werden alle Juden wieder zu einem Leben auf dieser Erde auferstehen.
Denis Prager schreibt im Buch Judentum heute: „Die Vorstellung, dass wir als Sünder geboren wurden, ist alles andere als jüdisch. Jeder Mensch wird unschuldig geboren. Er selbst trifft die Wahl zu sündigen oder nicht“ „Dem Judentum zufolge können Menschen Erlösung durch ihre Taten erlangen“ (S.75). (vergleiche auch Artikel: Der Mensch für Juden, Christen und Muslime).
Juden brauchen nach ihrem Verständnis keinen Erlöser für ihre Seelen. Ihre Seele ist bereits jüdisch und wird als solche weiter existieren. Ein Jude hält sich an die von Gott gegebenen Gesetze, um ein von Gott gesegnetes Leben auf dieser Erde zu erhalten. Nach rabbinischer Tradition werden an Jom Kippur bei Gott die Bücher über die Schicksale der Menschen für ein weiteres Jahr geschlossen (siehe auch Konzepte der Erlösung bei Juden, Muslimen und Christen).
Im Talmud heißt es: „Die Sühne erfolgt nur durch das Blut“ und in 3. Mose 17,11: „Das Blut ist die Versöhnung, weil das Leben in ihm ist.“ Das Blut des Opfertieres musste auf den Sühnedeckel der Bundeslade gesprengt werden (3. Mose 16,15) und auf den Altar (Vers 18). Nach der Zerstörung des Tempels, dem Ort der jüdischen Opferung, ersetzten die Juden den Opferdienst durch das dreimalige tägliche Gebet. Diese Praxis entstand im Exil und wurde schon von Daniel dem Propheten ausgeübt (Daniel 6,11). Für Juden gilt diese Sühne mit Gott im Hinblick auf unterlassene Gesetze zwischen Gott und dem jüdischen Menschen.
So ist in der Beziehung auf seine Seele der Tod von Jesus am Kreuz für einen Juden bedeutungslos und das Christentum damit unverständlich. Denn nach ihrem Verständnis können sich auch Nichtjuden an den Gott Israels wenden. Sie können in ihrem irdischen Leben gesegnet werden, wenn sie sich an die universalen Moralvorstellungen halten (die heute meistens als die sieben Gesetze Noahs definiert werden).
Christen verstehen den Tod von Jesus anders. Der Mensch wendet sich Gott zu indem er die Konsequenz eines Lebens ohne Gott anerkennt und den stellvertretenden Tod von Jesus am Kreuz für sich in Anspruch nimmt. So wird man als Kind von Gott angenommen (Johannes 1,12; 3,16). Die Opferung eines Tieres zur Sühnung zwischen Gott und Mensch ist im christlichen Glauben abgelöst, da Jesus für die Konsequenzen der Sünde gestorben ist. Der Mensch lebt nun mit Gott, nicht um von ihm angenommen zu werden, sondern weil er durch Jesus angenommen ist und aus Dankbarkeit mit ihm sein Leben gestaltet (vergleiche Artikel: Mega geliebt).
Jesus hatte die jüdische Tradition seiner Zeit hinterfragt, die den ursprünglich biblischen Sinn nicht mehr traf (z.B. Schabbatgebot). Zugleich benutzte er Vergleiche, die im jüdischen Umfeld inakzeptabel waren. So sagte Jesus: „Wenn ihr nicht das Fleisch des Menschensohns esst und sein Blut trinkt, so habt ihr kein Leben in euch.“ (Johannes 6,53). Beim letzten Pessachfest sagte er zum Kelch mit Wein, den er den Jüngern reichte: „Das ist mein Blut des Bundes, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden.“ (Matthäus 26,28). In der Thora steht aber: „Ihr sollt auch kein Blut essen, weder vom Vieh noch von Vögeln, überall, wo ihr wohnt. Jeder, der Blut isst, wird ausgerottet werden aus seinem Volk.“ (3. Mose 7,26-27).
Ebenso sagt Jesus: „Ich und der Vater sind eins.“ (Johannes 10,30). In der Thora steht: „Du sollst keinen andern Gott anbeten. Denn der HERR heißt ein Eiferer; ein eifernder Gott ist er.“ (2. Mose 34,14).
Im jüdischen Buch Midrash zu Tehillim 4,4 zur Festlegung der jüdischen Feste steht: „Ein irdischer König erlässt eine Verordnung, und obwohl seine Berater es verlangen, können sie diese nicht auflösen. Ob es ihnen gefällt oder nicht, sie gehorchen seiner Verordnung, aber wenn der König sie selbst auflöst, wird sie aufgelöst. Aber der ewige König, gepriesen sei er, ist nicht so, denn er befolgt alles, was der Sanhedrin beschließt.“
Im Judentum dreht sich alles um die Auslegung der Rabbiner, an die sich selbst Gott hält. Samuel Levine schreibt: „Im 5. Mose 17,8-13 steht, dass die Juden, wenn in irgendeinem Bereich des jüdischen Rechts Zweifel auftauchen sollte, zum Sanhedrin, dem Obersten Gericht, gehen sollten. Was dann der Sanhedrin beschließt, wird zum Willen Gottes werden.“
In 5. Mose 17,8-12 steht: „Wenn eine Sache vor Gericht dir zu schwer sein wird, zwischen Blut und Blut, zwischen Handel und Handel, zwischen Schaden und Schaden, und was Streitsachen sind in deinen Toren, so sollst du dich aufmachen und hingehen zu der Stätte, die der HERR, dein Gott, erwählen wird, 9 und zu den Priestern, den Leviten, und zu dem Richter, der zur Zeit sein wird, kommen und fragen; die sollen dir das Urteil sprechen. 10 Und du sollst tun nach dem, was sie dir sagen an der Stätte, die der HERR erwählen wird, und sollst es halten, dass du tust nach allem, was sie dich lehren werden. 11 Nach dem Gesetz, das sie dich lehren, und nach dem Recht, das sie dir sagen, sollst du dich halten, dass du davon nicht abweichest, weder zur Rechten noch zur Linken. 12 Und wo jemand vermessen handeln würde, dass er dem Priester nicht gehorchte, der daselbst in des HERRN, deines Gottes, Amt steht, oder dem Richter, der soll sterben, und sollst das Böse aus Israel tun.“
Doch hier geht es um einen Rechtstreit, der an einem Ort nicht gelöst werden kann. Deshalb soll man zum Heiligtum gehen und die Priester und Richter, als Schriftkundige , sollen aufgrund der Schrift die Sache entscheiden.
Die rabbinisch-jüdische Auffassung ist nun: Gott soll sich nicht in diese Angelegenheiten einmischen, denn er hat den Menschen seine Thora gegeben und den Rabbinern die Macht, im Konfliktfall zu entscheiden.
Doch Gott versprach in der Thora auch, dass er einen Propheten wie Mose senden wird (5. Mose 18,18). Was dieser Prophet sagt, wird normativen Wert haben. Wer seine Worte nicht befolgt, der wird von Gott selbst zur Rechenschaft gezogen (Vers 19).
5.Mose 18,18: „Einen Propheten wie dich will ich ihnen aus der Mitte ihrer Brüder erstehen lassen. Ich will meine Worte in seinen Mund legen, und er wird zu ihnen alles reden, was ich ihm befehlen werde. 19 Und es wird geschehen, der Mann, der nicht auf meine Worte hört, die er in meinem Namen reden wird, von dem werde ich Rechenschaft fordern.“ (vergleiche: Ein Prophet wie Mose).
Die Frage ist also: War Jesus dieser Prophet wie Mose? In dieser Frage kommen die Juden zu einem anderen Schluss als die Leute vom neuen Weg (Apg. 9,2 / 19,23), später Christen genannt (Apg. 11,26). Sie kommen zum Schluss, dass Jesus nach 5.Mose 13,11 schuldig ist, indem er nach ihrem Urteil „sich selbst zu Gottes Sohn gemacht“ hat (Joh. 19,7) und so die Menschen aus ihrer Sicht von Gott JHWH abbringen wollte.
Der Talmud berichtet über Jesus: „Hierauf ließ er Jesus durch Nekromantie erscheinen und fragte ihn, wer in jener Welt am geachtetsten sei. Dieser erwiderte: ‚Jisrael.‘ – ‚Soll man sich ihnen anschließen?‘ Dieser erwiderte: ‚Suche ihr Bestes und nicht ihr Böses; wer an ihnen rührt, rührt an seinem Augapfel.‘ Sodann fragte er ihn: ‚Womit wirst du gerichtet?‘ Dieser erwiderte: ‚Mit siedendem Kote.‘ Der Meister sagte nämlich: ‚Wer über Worte der Weisen spottet, wird mit siedendem Kote gerichtet.‘ Komm und sieh den Unterschied zwischen den Abtrünnigen Jisraels und den Propheten der weltlichen Völker“ (Gittin fol 57a Bab. Talmud Band 6 S. 368).
Jesus und damit auch seine Nachfolger haben nach rabbinisch-jüdischem Verständnis keinen Anteil an der kommenden Welt. Da Jesus behauptet hat, dass uns nicht das verunreinigt, was in den Mund gelangt, sondern das, was daraus hervorkommt (Mt. 15,17-20) und er seinen Leib als Speise anbot (Joh. 6,48-58), besteht nach jüdischem Verständnis die Strafe für diese Häresie darin, in dem zu sitzen, was seine Anhänger ausscheiden, wenn sie ihn gegessen haben.
Messianische Juden kommen dagegen zu einem anderen Schluss. Für sie ist Jesus der verheißene jüdische Messias. Auf der Seite One for Israel erklären einige, warum sie zu dieser Überzeugung gekommen sind.
Marc Chagall malte das erstaunliche Bild: „Die Weiße Kreuzigung“
Text: Hanspeter Obrist
https://youtu.be/PP9buaiKL7g
Vergleiche auch Artikel: Der Tod im Namen Gottes
Weitere Hintergrundinformationen erhalten Sie in einer Präsentation mit Hanspeter Obrist (Erwachsenenbildner in transkultureller Kommunikation).