Die Frage nach den Grenzen Israels gibt immer Anlass zur Diskussion, da verschiedene Ansichten existieren. Einige sind der Meinung, dass Israels Grenzen vom Euphrat im Norden bis zum Nil im Süden reichen sollen. Sie berufen sich dabei auf die Verheißung Gottes an Abraham: „Deiner Nachkommenschaft will ich dieses Land geben vom Bach Ägyptens bis an den großen Strom Euphrat“ (1. Mose 15,18). Hier stellt sich allerdings die Frage, ob diese Verheißung nur Isaak oder auch seinen sieben Brüdern galt (1. Mose 25,2.9).
In Hesekiel finden wir eine detaillierte Beschreibung der Grenzen Israels (Hes. 47,13-20). Dieses Gebiet entspricht dem früheren Kanaan. Wahrscheinlich müssen die Städte nicht als Grenze sondern ihr damaliges Herrschaftsgebiet dazu gezählt werden.
Man darf bei der Betrachtung dieses Themas jedoch nicht außer Acht lassen, dass das jüdische Volk im Laufe seiner Geschichte ganz unterschiedlich große Gebiete bewohnte. Daher bleibt die große Frage, auf welchen Siedlungsraum man sich in der heutigen Diskussion eigentlich bezieht: Sind es die Grenzen von Hesekiel oder die Grenzen früherer Herrschaftsgebiete?
Land der Gottesoffenbarung
Als Abraham im 17. Jahrhundert vor Christus von Ur in das heutige Israel zog, begegnete er dort dem geheimnisvollen Priester Melchisedek von Salem (Jerusalem). Er wird ein „Priester Gottes, des Höchsten“ genannt (1. Mose 14,18). Ein Ort von zentraler Bedeutung in jenem Land war der Berg Morija, der heutige Tempelberg (1. Mose 22,2; 2. Chr. 3,1).
Auf diesem Berg forderte Gott von Abraham das Opfer seines Sohnes Isaak. Laut der Aussage Abrahams würde Gott sich dort sein Lamm ausersehen (1. Mose 22,8). So wurde dieser Flecken Erde bereits von Beginn der Geschichte Gottes mit seinem Volk mit einer tiefen Gottesoffenbarung verbunden.
Besiedelung
Während die Israeliten, ursprünglich wegen der Hungersnot, in Ägypten waren, besiegte 1480 v.Chr. der ägyptische Pharao Thutmosis III. bei Megiddo die Kanaaniter. So wurde aus dem Land Kanaan eine ägyptische Provinz. Während dieser Zeit wanderten die Philister aus Kaftor (heutiges Griechenland / Amos 9,7) ein. Die Ägypter erlaubten ihnen, sich am Mittelmeer anzusiedeln. Die Philister waren kein semitisches Volk, sondern zugewanderte Hamiten. Etwa 1272 v.Chr. kam das jüdische Volk unter der Führung von Josua in das an Abraham verheißene Land zurück. Es siedelte sich vorwiegend in den Bergen und um die Jordansenke an.
Aufstieg und Zerfall
Unter Saul, David und Salomo wurden weitere Gebiete erobert und die Grenzen erweitert. Der nördliche Teil des Landes war allerdings tributpflichtig, und die dortigen Bewohner erhielten keine Bürgerrechte.
Nach dem Tod von Salomo 931 v.Chr. zerfiel das Reich in ein Nord- und Südreich, die nördlichsten Teile gehörten nicht mehr dazu. In der Beziehung dieser beiden Reiche zueinander wechselten sich Zeiten der Feindschaft und freundschaftlicher Bündnisse ab.
722 v.Chr. wurde das Nordreich von den Assyrern eingenommen und fand so sein Ende. Jerusalem war eine Stadt neben den Verbindungswegen und war es nicht wert, erobert zu werden.
Unter Nebukadnezar führten die Babylonier 605 v.Chr. Krieg gegen die Ägypter, mussten allerdings aufgrund des Todes von Nebukadnezars Vater den Rückzug antreten. Als Ägypten dann die Babylonier 601 v.Chr. in einer Schlacht besiegte, wandte sich der israelitische König Jojakim den Ägyptern zu, von denen er sich Schutz vor dem mächtigen Babylon erhoffte. Dies sollte sich jedoch als Irrtum erweisen. Jerusalem wurde von den Babyloniern eingenommen und 597 v.Chr. und 586 v.Chr. etappenweise nach Babylon deportiert.
Rückkehr unter den Persern
Der Perserkönig Kyros (559–530 v.Chr.) machte nach der Unterwerfung des Babylonischen Reiches Israel zu einer persischen Provinz. Die Juden durften nach fast 50-jähriger Gefangenschaft in ihre Heimat zurückkehren. Von 520 bis 515 v.Chr. erbauten sie in Jerusalem den Zweiten Tempel. Die Intrige Hamans, mit der er die Juden im ganzen persischen Reich auszurotten versuchte (vgl. Buch Ester), ereignete sich wahrscheinlich im Jahr 473 v.Chr.
Aufstand und Eigenverwaltung
Nach dem Zerfall des Persischen Reiches kam Israel 332 v.Chr. unter die Herrschaft Alexanders des Großen.
Nach seinem Tod 323 v.Chr. fiel Israel an die in Ägypten residierenden Ptolemäer.
Nach der Schlacht bei Paneion 198 v.Chr. fiel Jerusalem an die in Syrien regierenden Seleukiden. Als Antiochus 167 v.Chr. einen Zeusaltar im Tempel aufrichtete, kam es zum Aufstand der Makkabäer.
Ab 165 v.Chr. erlangte Israel im so genannten Hasmonäerreich seit langem wieder seine Unabhängigkeit, die rund 100 Jahre währen sollte.
Doch im Jahr 63 v.Chr. wurde das Land von den Römern erobert.
Zur Zeit Jesu
König Herodes der Große verwaltete das Gebiet als Verbündeter Roms. Unter ihm erstrahlte Jerusalem in neuem Glanz und erlebte eine neue Blütezeit.
Als er 4 v.Chr. starb, wurde sein Reich in drei Teile geteilt. Seine Söhne Philippus und Herodes Antipas bekamen ihre eigenen Herrschaftsgebiete, der Rest stand unter der Herrschaft des römischen Statthalters Pontius Pilatus. Daneben existierte die Dekapolis, ein Landesteil, der zehn freie Städte umfasste.
Als Jesus mit seinen Jüngern umherzog, existierten diese vier Herrschaftssysteme, doch er machte sie nie zum Inhalt seiner Reden. Er lebte darin (in den Evangelien lesen wir davon, wie er von einem Gebiet zum anderen wechselte, um zu lehren) und ordnete sich ihnen unter. Dies lernt uns, unser Augenmerk nicht auf das Land und die Grenzen gerichtet sein soll, sondern auf die Menschen, die darin leben. Veränderte Menschen verändern die Politik, die Politik verändert jedoch nicht das Herz des Menschen.
Zerstörung und Exil
70 n.Chr. setzte Rom dem jüdischen Krieg, der 66 n.Chr. begonnen hatte, mit der Zerstörung Jerusalems ein Ende. Im Jahr 135 n.Chr. schlug der römische Kaiser Hadrian den jüdischen Aufstand unter Bar Kochba nieder, die Juden wurden aus Israel verbannt. Hadrian gab Jerusalem den Namen „Aelia Capitolina“ und dem Land den Namen „Palästina“. Er wollte damit die Erinnerung an die Geschichte der Juden auslöschen. Er verbot ihnen sogar, Israel und die Stadt Jerusalem wieder zu betreten.
Gott aber hat das jüdische Volk nicht vergessen. Trotz aller Verfolgung hat es überlebt und existiert wieder als eine Nation.
Die Frage der Grenzen ist auch heute heiß umstritten. Wenn wir aus der geschichtlichen Perspektive argumentieren, stellt sich sofort die Frage, welche Grenzen verbindlich sind. Denn sind es die Grenzen des ehemaligen Kanaan, kommt die Frage auf, warum Gott die Besiedelung im Ostjordanland zugelassen und dort sogar zwei Zufluchtsstätte (die Stadt Bezer und Ramoth-Gilead) zugelassen hat (Josua 20,8).
Interessant ist auch, dass heute die Palästinenser das biblische Kernland besiedeln, während die Israelis eher dort wohnen, wo sich früher ihre Feinde niedergelassen hatten. Auch lebte Israel nur rund 780 Jahre ohne Fremdherrschaft.
Durch die biblische Geschichte mit dem jüdischen Volk wird sichtbar, dass Gott selbst über die Grenzen und Nachbarn von Israel wacht, wenn es mit ihm lebt. Gott selbst versteht sich als Eigentümer des Landes (3. Mose 25,23: Darum sollt ihr das Land nicht verkaufen für immer; denn das Land ist mein, und ihr seid Fremdlinge und Beisassen bei mir). In Hosea 9,3 wird es «Land des Herrn» genannt. Doch immer, wenn sich das jüdische Volk von Gott entfernte, hatte es Probleme mit seinen Nachbarn. Gott möchte, dass die Menschen mit ihm ihr Leben gestalten, dann wacht er auch über ihrem Leben.
Text: Hanspeter Obrist
Fortsetzung Die Herrschaft des geistlichen Israels
Vergleiche auch:
Welche Gebiete gehören zu Israel?
Die Herrschaft des geistlichen Israels
Die geschichtlichen Wurzeln des Nahost-Konflikts
Israel gehört nach dem Koran den Juden
Jerusalem als Israels Hauptstadt ist eine islamische Prophezeiung
Faszination Jerusalem
Jerusalem im Wandel der Zeit