Gottes Wille erscheint oft wie ein großes Rätsel. Wie erkennt man, was Gott will? Wie erfahre ich was Gott sich für mein Leben ausgedacht hat? Welche Schule soll ich besuchen und welchen Beruf erlernen? An wen soll ich mein Herz verschenken, um den richtigen Ehepartner zu finden?
Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.
Hat Gott überhaupt schon alles in meinem Leben vorherbestimmt? Einige stellen sich das so vor. So wie eine Eisenbahnschiene legt Gott unseren Weg fest. Eine Lokomotive kommt nur an’s Ziel, wenn sie den Schienen entlang fährt. Wie die Weichen gestellt sind, kann der Lokomotivführer nicht beeinflussen. Er fährt einfach den Schienen entlang. Es ist daher unsere Aufgabe, einfach den Schienen Gottes in unserem Leben nachzufolgen. Es gibt nur einen Weg ans Ziel zu kommen, nämlich den Schienen entlang. Und wir haben vor allem darauf zu achten, dass wir nicht aus diesen Schienen fallen, sonst geschieht ein großen Unglück.
Wenn ich über mein Leben nachdenke, gibt es Stellen, in denen ich Gottes Führung ziemlich klar erlebt habe. Aber es gibt auch Zeiten, wo vieles unklar geblieben ist. Wer im Innersten überzeugt ist, dass Gott über seinem Leben einen exakten Plan ausgearbeitet hat, der wird ganz intensiv nach Gottes Willen suchen. Denn er möchte auf keinen Fall einen Fehler machen. Doch warum gibt es da Zeiten, wo so vieles unklar bleibt? Ist vielleicht gar nicht alles über unserem Leben vorherbestimmt?
In Psalm 25,12 heißt es: „Wer ist nun der Mann, der den HERRN fürchtet? Ihn wird er unterweisen in dem Weg, den er wählen soll.“
Mir ist aufgefallen, dass es hier heißt: Den Weg, den er wählen soll. Hier steht nicht: Er wird ihn unterweisen in dem Weg, den er gehen muss. Gott will, dass wir wählen. Wir tragen Mitverantwortung für den Weg, den wir einschlagen.
Mir ist auf einmal bewusst geworden, dass die Frage nach dem Willen Gottes oft eine Frage der Verantwortung und der Entscheidung ist. Weil wir uns nicht entscheiden und keine Verantwortung tragen wollen, suchen wir lieber endlos nach Gottes Willen. Gott soll uns die Entscheidungen abnehmen, die uns begegnen.
Doch Gottes Wille ist es, dass wir uns freiwillig für IHN entscheiden.
Gott gibt uns genügend Informationen, dass wir uns nach seinen Maßstäben entscheiden können. Die eigentliche Frage ist nicht, wie erkenne ich Gottes Willen, sondern wie treffe ich gute Entscheidungen, die ich vor Gott verantworten kann.
So wie ich es zur Zeit erkenne, verhält es sich mit Gottes Willen viel eher wie mit einer Autostraße. Ein Auto wurde dazu geschaffen, dass es auf den Straßen herumfährt. Klar können wir mit einem Auto auch neben der Straße fahren, aber es wird nicht alle Situationen meistern. Sobald wir unser Auto als U-Boot benutzt, merken wir, dass es einfach nicht dafür geschaffen ist. Auch in der Wildnis spüren wir die Grenzen. Ohne großen technischen und menschlichen Aufwand, würde jede Auto-Tropie irgendwo im Urwald stecken bleiben. So wie ein Auto auf den Straßen fahren soll, so sollen wir uns nach Gottes Geboten ausrichten. Jetzt kann es kommen, dass wir plötzlich an eine Wegkreuzung kommst. Welchen Beruf sollen wir wählen? Gott hat uns verschiedene Gaben gegeben, und es ist sinnvoll, innerhalb dieser Möglichkeiten einen Beruf zu wählen. Eines ist klar, wenn wir einen Weg eingeschlagen hast, dann wird er unser Leben prägen.
Gott kann sogar auf unseren krummen Linien wieder gerade schreiben. Auch wenn wir Fehlentscheidungen treffen, Gott wirft deswegen noch lange nicht das Handtuch. Ich bin davon überzeugt, dass es nie Gottes Absicht war, dass die ersten Menschen sich gegen seine Anordnungen stellten. Diese Entscheidung von damals prägt nun das Leben der Menschen, aber Gott kommt dennoch zu seinem Ziel, auch über Umwege. Er möchte, dass wir uns freiwillig für ihn entscheiden.
Wenn Du Dich auch innerhalb Gottes Willen entschieden hast, dann geht vielleicht nicht immer alles so, wie Du Dir das am Anfang vorgestellt hast. So wie eine Straße oft einen großen Umweg machen muss, weil auf der direkten Linie ein unüberwindbares Hindernis ist, so lässt Gott uns manchmal Umwege machen, damit unser Vertrauen in ihn wachsen kann. Dennoch hält er alles in seinen Händen. Schwieriger wird es, wenn wir ständig Abkürzungen suchen und gegen die Wegführung Gottes rebellieren. Genau in diese Situation gehört dieses Gebet: Dein Wille geschehe.
Jesus hat es uns vorgelebt, was dieses Gebet heißt. Kurz bevor Jesus auf die grauenvollste Art und Weise an einem Kreuz hingerichtet wurde, war er in einem Garten. Er wusste, dass er sterben wird. In dieser angespannten Situation spricht er mit Gott. Ihm war es gar nicht nach einer Heldentat zu Mute. Er fiel auf sein Angesicht und betete: Mein Vater, wenn es möglich ist, so lass das nicht geschehen; doch nicht wie ich will, sondern wie du es willst soll es geschehen (Mt 26,39). Jesus formulierte hier seine Empfindungen und seinen Willen: Wenn es möglich ist, so lass das nicht zu. Doch er stellte seinen Willen unter Gottes Willen. Jesus betete: Nicht wie ich will, sondern wie du willst soll es geschehen.
Das Ende der Rebellion
Die Bitte „Dein Wille geschehe“ ist das Ende aller Rebellion gegenüber Gott. Es ist das Gegenteil von der Auflehnung gegen Gott. Adam und Eva wollten nicht innerhalb der Anweisungen, die Gott gegeben hat, leben. Sie begehrten nach dem, was Gott verboten hat. Dies war Rebellion gegen Gottes Anordnungen. „Dein Wille geschehe“ ist das Gegenteil davon.
Wenn ich bete „Dein Wille geschehe“, gebe ich damit meinen Widerstand gegenüber Gott auf. Es ist meine vorzeitige Kapitulation vor Gott. Diese Bitte kostet mich also in einem gewissen Sinne das Leben. Sie erfordert meine Übergabe und meine Kapitulation vor Gottes Wahrheit. Sie zieht mich in jenes Sterben hinein, das meinen eigenen Willen trifft. Das hat wohl Luther gemeint, wenn er einmal sagte, das sei eine gefürchtete Bitte. Statt sie ahnungslos dahin zu plappern, sollte uns bewusst sein, dass wir damit unser Leben Gott anvertrauen, der Eigenwille zerbricht und wir zurückkehren in die Arme des himmlischen Vaters. Gott will, dass wir uns freiwillig für ihn entscheiden.
Zum Lobe Gottes
Gottes Wille erscheint uns manchmal gar nicht so sinnvoll, zweckmäßig, nützlich und vernünftig. Es erscheint unbegreiflich, dass Jesus, ein Mann von dreißig Jahren, kaum hatte er zu wirken angefangen, sterben sollte. Gottes Wege erscheinen unverständlich. Aber Gott hat es gefallen, den Menschen gerade dadurch zu helfen. Was als Verlust erschien, wurde zum Gewinn der ganzen Menschheit. Was als Torheit erscheint, hat Gott zur Weisheit gemacht.
Aber ist es nicht höchst unvernünftig, seinen eigenen Willen zu verlieren? Wird man da nicht eine total unselbständige Kreatur? Seltsamerweise, und das versteht unsere Vernunft wiederum nicht, geschieht das mit Jesus nicht. Wer seinen Willen unter Gottes Willen stellt, verliert ihn nicht, sondern er kann sich neu entfalten. Gott zerstört nicht unseren Verstand, unser Gemüt und unseren Willen. Sondern er erneuert sie, damit sie sich entfalten können. Auch wenn Gott uns manchmal Wege führt, die uns nicht so gefallen. Es könnten nämlich Schwierigkeiten auftauchen, die wir bisher überhaupt nicht kannten. Unser Eigenwille hat darum im tiefsten Grund zu Recht eine heimliche Angst. Wir müssen jedoch bei Gott keine Angst haben, denn er hat das Ziel angegeben. Er will uns verherrlichen. So wie er es auch mit seinem Sohn tat. Über unserem Leben soll Gottes Lob und Herrlichkeit zum Ausdruck kommen. So schreibt Paulus in Epheser 1,12, dass wir etwas zum Lob seiner Herrlichkeit sein sollen.
Mit dem Gebet „Dein Wille geschehe“ vertrauen wir uns Gottes Führung an. Ich will mich unter Gottes Willen stellen. Auch wenn mir manche Führungen und Anweisungen zuerst Mühe machen. Ich stelle mich darunter, weil ich weiß, dass Gott es gut meint. Es kann sein, dass ich im Moment überhaupt nicht einsehen kann, wozu etwas gut ist. Aber wenn Gott dadurch verherrlicht wird, dann will ich mich darunter stellen und mich nicht ständig dagegen auflehnen und verbittert werden. Wir müssen daher nicht herausfinden, was Gott tut, sondern merken, dass er weiß, was er tut.
Gottes Willen ist, dass wir uns freiwillig für IHN entscheiden.
Text: Hanspeter Obrist
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