Mit ISIS / IS ist eine neue Diskussion über den Glauben entfacht worden. Vertritt der Islamische Staat (IS) den Islam? So einfach ist diese Frage nicht zu beantworten. Jeder Mensch hat einen persönlichen Glauben. Inspiration und Impulse erhält er durch eigene Erfahrungen und durch Vertreter einer Glaubensrichtung.
„Den Islam“ gibt es ebenso wenig, wie es „das Christentum“ oder „das Judentum“ gibt. In jeder Glaubensrichtung gibt es unterschiedliche Strömungen und Untergruppen. Bei den Muslimen sind die größeren Strömungen die Sunniten, die Schiiten, die Alewiten und die Sufis. Sie vertreten zum Teil gegensätzliche Ideen und akzeptieren sich gegenseitig nicht immer als Muslime.
Die Frage bei allen Religionen ist vielmehr, wie die heutigen Strömungen die Grundsätze der jeweiligen Religionsgründer vertreten und verstanden haben. Bei den Muslimen ist das Mohammed, bei den Christen Jesus und bei den Juden Mose. So kann man vergleichen, inwiefern sich die heutigen Auffassungen an den ursprünglichen Inhalten der Religion orientieren.
Die Anhänger vom IS wollen einen Islam leben, der sich am Leben von Mohammed orientiert. Mit ihrer Interpretation von Mohammeds Lehren stehen sie jedoch im Widerspruch zu einem weltoffenen Islam.
Um den IS zu beurteilen, muss man ihre Publikationen lesen, von denen es bisher aber nur wenige gibt. Viele ihrer Handlungen werden mit dem Koran begründet oder finden sich in den Schriften über das Leben von Mohammed (Hadithe und Biographie von Mohammed von Ibn Hisham).
Einige Praktiken vom IS:
Die Enthauptung von Ungläubigen wird im Koran in Sure 47, Vers 4 befohlen: „Und wenn Ihr die Ungläubigen trefft in eurem Kampf, dann schneidet ihnen die Hälse durch (schlagt ihnen die Köpfe ab).“ Der Name der Sure ist „Muhammed“. Und in Sure 8, Vers 12: „Ich werde in die Herzen der Glaubensverweigerer den Schrecken werfen, dann schlagt ein auf ihre Hälse und schlagt von ihnen alle Fingerkuppen ab.“
Das Töten von Gefangenen ist auch ein Befehl von Allah an Mohammed und alle Muslime. Es heißt: „Kein Prophet darf Kriegsgefangene haben (und sie gegen Lösegeld freigeben), solange er nicht (die Gegner überall) im Land vollständig niedergekämpft hat“ (Sure 8, Vers 67).
Die Einforderung von Schutzgeld von Juden oder Christen bezieht sich auf Sure 9, Vers 29: „Kämpft gegen diejenigen, die […] nicht der wahren Religion angehören – von denen, die die Schrift erhalten haben – kämpft gegen sie, bis sie kleinlaut Tribut entrichten.“
Das Töten von andersgläubigen Menschen Sure 9, Vers 5: „[….] tötet die Heiden, wo immer ihr sie findet, greift sie, umzingelt sie und lauert ihnen überall auf! Wenn sie sich aber bekehren, das Gebet verrichten und die Almosensteuer geben, lasst sie ihres Weges ziehen! Gott ist barmherzig und bereit zu vergeben“. Nur wenn jemand in ihrem Sinne gläubig ist gilt Sure 4, Vers 92-93: „Ein Gläubiger darf keinen Gläubigen töten. Und wer einen Gläubigen mit Vorsatz tötet, dessen Lohn ist Dschahannam (Hölle); ewig soll er darin verweilen, und Allah zürnt ihm und verflucht ihn und bereitet für ihn gewaltige Strafe.“ Auch nach Sure 33, Vers 60-61 können Andersdenkende eliminiert werden: „Wahrlich, wenn die Heuchler und diejenigen, in deren Herzen Krankheit ist, und die Aufwiegler in Medina nicht aufhören, so werden Wir dich gegen sie anspornen. Alsdann sollen sie nicht darinnen als deine Nachbarn wohnen, es sei denn nur für eine kurze Zeit. Verflucht, wo immer sie gefunden werden, sollen sie ergriffen und niedergemetzelt werden.“
Im Gegensatz zum Selbstmörder, welcher kein Ziel hat außer der Flucht vor der Konfrontation, besitzt der Märtyrer eine klare Zielsetzung, nämlich Allah zu gefallen. So ist „Töten im Namen Allahs“ ein geistlicher Verdienst. Sure 4, Vers 74: „Und so soll kämpfen in Allahs Weg, wer das irdische Leben verkauft für das Jenseits. Und wer da kämpft in Allahs Weg, falle er oder siege er, wahrlich dem geben Wir gewaltigen Lohn.“ Sowie in Sure 9, Vers 111: „Siehe Allah hat von den Gläubigen ihr Leben und ihr Gut für das Paradies erkauft. Sie sollen kämpfen in Allahs Weg und töten und getötet werden […] Freut euch daher des Geschäfts, das ihr abgeschlossen habt; und das ist eine große Glückseligkeit.“ Sure 3, Vers 169: „Und wähnet nicht die in Allahs Weg Gefallenen für tot, nein, lebend bei ihrem Herrn, werden sie versorgt.“
In diesem Sinne vertritt IS einen historischen Islam, der sich auf den Gründer berufen kann.
Die Christen sind angehalten, die Worte von Jesus umzusetzen:
• „Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen“ (Lukas 6,27).
• „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist“ (Lukas 6,36).
Jesus hat die Gewaltanwendung im Zusammenhang mit Glauben immer abgelehnt, obwohl er wusste, dass seine Nachfolger um des Glaubens willen Verfolgung erleiden müssen.
Hier Links zu Artikeln, die einzelne Aspekte des Glaubens von Juden, Christen und Muslimen vergleichen:
Juden, Christen, Muslime – das gleiche Ziel?
Juden, Christen, Muslime – ein Gott
Der Mensch für Juden, Christen und Muslime
Konzepte der Erlösung bei Juden, Muslimen und Christen
Normative Schriften bei Juden, Christen und Muslimen
Der Glaube von Juden, Christen und Muslimen ähnelt sich – zugleich gibt es aber auch Unterschiede
Text: Hanspeter Obrist