Die Lebensgeschichte von René Stutz ist 75 Seiten lang, Stand Januar 2012. Sie enthält viele bittere Episoden: als Kind Schläge, Unterernährung, Krankheiten, Vergewaltigungen durch einen älteren Mitschüler. Später der trinkende Vater, der die Familie zu erschiessen drohte; Berufswahl unter Zwang, Tablettensucht, Konkurs des Geschäfts. Und doch endet die Geschichte mit dem Satz: «Trotzdem macht René immer noch gern Spass.»
Auch wenn René Stutz jetzt vor einem am Tisch sitzt, wirkt er nicht so, als trüge er das erlittene Leid ständig vor sich her. Die Kaffeetasse schiebt er zu seiner Frau hinüber und sagt mit schelmischem Lächeln: «Das kannst du machen.» Mit der Langmut einer unerschütterlich treuen Begleiterin rührt Marlies Stutz ihrem Mann Rahm und Zucker in den Kaffee.
Trotz Heiterkeit wird schnell klar: Der 74-Jährige hat die Vergangenheit als «Verdingbuäb und administrativ Versorgter». In einer Pflegefamilie war es auch, wo René Stutzs Schicksal seinen Lauf nahm. Dorthin war er gekommen, weil seine Mutter, eine Zürcher Jüdin, ihn als uneheliches Kind zur Welt gebracht hatte. Als solches galt er damals, in den 40er-Jahren des 20. Jahrhunderts, per se als kriminell veranlagt. «Dabei habe ich mir nie etwas zu Schulden kommen lassen», betont Stutz.
«Eines Tages tauchte Herr Landolt mit einer wunderschönen neuen Bibel bei mir auf. Unter vier Augen teilte er mir mit, dass diese mir zu einem neuen Leben verhelfen könne.» Schon früher hatte René Stutz begonnen, die Bibel zu lesen «und nach Wahrheit zu suchen», wie er sagt. Heute bezeichnet er sich als «Jude, der an Jesus als dem Israel verheissenen Messias glaubt». Während der 25 Jahre, die er mit seiner Frau und den drei Kindern in Israel lebte, habe er «mit Juden über Jesus geredet, bis ich verfolgt wurde». Kein Wunder: Die so genannten messianischen Juden sind im orthodoxen Judentum ein rotes Tuch. Davon liessen sich René und Marlies Stutz nicht beirren. Sie wollten den Ärmsten helfen und führten in Nazareth eine Entzugsklinik für junge Drogensüchtige. Woher er das nötige Wissen hatte? «Eine gute Frage», sagt René Stutz, «ich habe es nicht gelernt. Aber was ich tat, zeigte mir, dass ich spezielle Gaben habe.»
Seine Lebensgeschichte hat er aufgeschrieben, weil er anderen Mut machen will. Hat es ihm nichts ausgemacht, alles noch einmal zu durchleben? René Stutz schüttelt den Kopf, sagt eine Weile nichts. Dann: «Das ist vorbei für mich.» Eine Zeitlang aber habe er die «Verrückti» in sich hineingefressen. «Das Vergeben», sagt Stutz, «war ein Kampf.»
René Stutz hat seine Lebensgeschichte publiziert auf www.dr-narkoman.com.