Führe uns nicht in Versuchung

In der Fragebox stand auf einem Zettel: „Zum Vaterunser. Wie soll man es verstehen: Führe uns nicht in Versuchung. Ich meine, dass unser Vater im Himmel das nicht macht.“

Im Jakobusbrief heißt es: „Niemand sage, wenn er versucht wird: Ich werde von Gott versucht. Denn Gott kann nicht versucht werden vom Bösen, er selbst aber versucht niemand (Jakobus 1,13).

Was gilt nun? In der Bibel finden wir manchmal widersprüchliche Aussagen.

Der erste Tipp ist, darauf zu achten, wo und wie ein Vers eingebunden ist.

Jakobus beginnt seinen Brief mit den Worten: „Haltet es für lauter Freude, meine Brüder, wenn ihr in mancherlei Versuchungen geratet, indem ihr erkennt, dass die Bewährung eures Glaubens Ausharren bewirkt“ (Jakobus 1,2-3). Und in Vers 12: Glückselig der Mann, der die Versuchung erduldet! Denn nachdem er bewährt ist, wird er den Siegeskranz des Lebens empfangen“. Versuchung gehört zu unserem Leben.

Das Wort Versuchungen (peirasmos – πειρασμός) kann auch mit Prüfungen übersetzt werden.  In schwierigen Situationen wird unser Glaube gestärkt.

Wenn wir an die Grenzen des Verstehens kommen, beginnt die Welt des Vertrauens.

Warum lehrt uns Jesus zu beten: „Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen“?

Gleich nach der Taufe heißt es in Matthäus 4,1: „Dann wurde Jesus von dem Geist in die Wüste hinaufgeführt, um von dem Teufel versucht zu werden. Also Gott führt Jesus in die Versuchung.

Der zweite Tipp ist, man muss die verschiedenen Aussagen in der Bibel miteinander vergleichen. Nur ein Ausschnitt eines Bildes kann zu falschen Schlussfolgerungen führen.

Im Garten Eden, ganz am Anfang in der Bibel, gab es zwei besondere Bäume: der Baum der Erkenntnis und der Baum des Lebens. Gott sagte zu Adam und Eva, dass sie von allen Bäumen essen dürfen, nur nicht von dem einen Baum.

Gott schafft also die Möglichkeit, dass der Mensch genau das macht, was Gott nicht möchte – unabhängig von ihm zu entscheiden, was gut und böse für ihn ist. Man könnte daraus schließen: Gott hätte diese Versuchung gar nicht erst schaffen sollen.

Aber dann gäbe es keinen freien Willen. Und Liebe baut auf der freien Entscheidung auf.

Gott möchte geliebt werden. Ein Gesetzeslehrer fasst die jüdischen Schriften in Lukas 10,27 so zusammen: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft und mit deinem ganzen Verstand und deinen Nächsten wie dich selbst.“

Jetzt setzt sich unser Puzzle langsam zusammen. Weil Gott ein echtes Gegenüber will, hat er uns nicht wie die Tiere geschaffen, sondern uns einen freien Willen gegeben, damit wir uns freiwillig für ihn entscheiden können. Dazu braucht es die passive Möglichkeit, sich auch gegen ihn entscheiden zu können.

Aktiv aber ist der Versucher durch die Schlange im Garten Eden, und selbst gegenwärtig als Teufel in der Wüste.

Bei Hiob fällt auf, dass Gott dem Durcheinanderbringer Schranken setzt. So wie es auch Paulus in 1.Korinther 10,13 schreibt: „Gott aber ist treu, der nicht zulassen wird, dass ihr über euer Vermögen versucht werdet, sondern mit der Versuchung auch den Ausgang schaffen wird, sodass ihr sie ertragen könnt.“

Wichtig ist auch der zweite Teil im Vaterunser: „Erlöse uns von dem Bösen“. Das bedeutet: Halte uns den Versucher von Leibe. Ich will mich für Jesus entscheiden.

Die Frage ist auch: Was ist Versuchung? Schauen wir uns dazu Matthäus 4 genauer an.

1 Dann wurde Jesus von dem Geist in die Wüste hinaufgeführt, um von dem Teufel versucht zu werden; 2 und als er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn schließlich. 3 Und der Versucher trat zu ihm hin und sprach: Wenn du Gottes Sohn bist, so sprich, dass diese Steine Brote werden! 4 Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben: »Nicht von Brot allein soll der Mensch leben, sondern von jedem Wort, das durch den Mund Gottes ausgeht.« 5 Darauf nimmt der Teufel ihn mit in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels 6 und spricht zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so wirf dich hinab! Denn es steht geschrieben: »Er wird seinen Engeln über dir befehlen, und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du nicht etwa deinen Fuß an einen Stein stößt.« [Psalm 91,11-12 ] 7 Jesus sprach zu ihm: Wiederum steht geschrieben: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen (prüfen).« [5.Mose 6,16 ] 8 Wiederum nimmt der Teufel ihn mit auf einen sehr hohen Berg und zeigt ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit 9 und sprach zu ihm: Dies alles will ich dir geben, wenn du niederfallen und mich anbeten willst. 10 Da spricht Jesus zu ihm: Geh hinweg, Satan! Denn es steht geschrieben: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und ihm allein dienen.« [5.Mose 6,13] 11 Dann verlässt ihn der Teufel, und siehe, Engel kamen herbei und dienten ihm. 

Als erstes fällt auf, dass der Heilige Geist Jesus an einen Ort und in eine Situation führt, in der er sich für den göttlichen Weg entscheiden soll.

Nach einer 40-tägigen Fastenzeit fordert ihn der Teufel auf, sich aus Steinen Brot zu machen. Es ist die Versuchung, sich selbst zu helfen. Jesus lehnt das ab.

Dann versucht ihn der Teufel dazu zu bewegen, Gott zum Handeln zu zwingen, indem er sich vom Dach des Tempels in die Tiefe stürzt. Auch das lehnt Jesus mit den Worten ab: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen“.

Zu guter Letzt will der Teufel Jesus eine Abkürzung anbieten und ihm alles Leid ersparen. „Dies alles will ich dir geben“. Doch Jesus befiehlt dem Teufel, wegzugehen (Vers 10). Dann dienen die Engel Jesus.

In diesen drei Dingen sind auch wir herausgefordert: auf Gottes Zeitpunkt zu warten, Gott nicht unter Druck zu setzen, sondern unveränderliche Situationen auszuhalten und keine Abkürzungen zu nehmen. Wir haben einen Gott, der uns durchträgt. Gott bringt zu seiner Zeit seine Engel ins Spiel.

Wichtig dabei ist, wie Jesus reagiert. Er sagt immer wieder: „Es steht geschrieben.“ Der Durcheinanderbringer zitiert sogar die Bibel. Aber Jesus weist darauf hin, dass man eine Stelle nicht aus dem Gesamtzusammenhang der Bibel herauslösen darf.

Es gelten immer die beiden Tipps. Zuerst im Umfeld schauen, was auch noch steht und dann andere Stellen, die vom gleichen Thema sprechen, einbeziehen. Das heißt, wir lesen in der ganzen Bibel, damit wir den Gesamtzusammenhang verstehen.

Gerade heute gibt es Menschen, die Teilwahrheiten zitieren und sie dann zu absoluten Aussagen erheben. Letzte Woche habe ich im Internet jemanden darauf hingewiesen, dass es zu einem bestimmten Thema noch andere Aussagen gibt. Diese Person hat mich unverzüglich blockiert. Ich finde es schade, dass man über gegensätzliche und schwierige Aussagen kaum mehr reden kann und nur noch akzeptiert wird, was einem passt.

Oft muss man hinter eine Geschichte schauen, um Gott keine negativen Motive zu unterstellen.

Gott möchte uns vor unserem selbstgewählten Untergang retten und Missbrauch verhindern.

Bei Hiob haben seine Freunde das Richtige zur falschen Zeit gesagt. Es gibt Zeiten, in denen es darauf ankommt, einfach da zu sein, ohne Ratschläge zu geben. Wir stehen in der Gefahr zu reden, weil wir es nicht mehr aushalten und nicht, weil der andere es nicht mehr aushält.

Versuchung ist wie eine Wegkreuzung, vor der wir stehen. Wir können uns für oder gegen Gottes Anweisungen entscheiden. Versuchung an sich ist noch keine Sünde. Die Frage ist aber, wie wir mit solchen Gedanken umgehen. Stellen wir uns bewusst dagegen oder geben wir uns ihnen hin und begehren plötzlich Dinge, von denen wir wissen, dass sie uns letztlich nicht gut tun. Darüber sprechen wir im nächsten Abschnitt der Bergpredigt.

Wir können nicht verhindern, dass die Vögel über unseren Köpfen fliegen, aber wir können verhindern, dass sie ihre Nester darauf bauen.

Vom Versucher kommt die ursprüngliche Versuchung, Gott zu misstrauen und ihm negative Motive zu unterstellen. „Hat Gott wirklich gesagt …“.

Erich Sauer hat einmal gesagt: „Gott wollte, dass der Mensch das Gute tut und um das Böse weiß, aber jetzt weiß er was gut wäre und tut das Böse“.

Der eigentliche Bruch zwischen Mensch und Gott besteht darin, dass der Mensch in Frage stellt, ob es Gott mit seinen Anweisungen gut meint.

Diese Vertrauensfrage ist heute genauso aktuell. Wollen wir Gott und seinen Anweisungen vertrauen, oder entscheiden wir auch selbst, was gut für uns ist? Jesus lehrt uns beten: „Führe uns nicht in Versuchung“. Das bedeutet: „Gott hilf uns, dass wir dir in allen Situationen vertrauen“.

Im Hohepriesterlichen Gebet in Johannes 17 sagt Jesus: „Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt wegnimmst, sondern dass du sie bewahrst vor dem Bösen (Johannes 17,15). Gott ist es, der uns bewahrt, damit wir durch die Versuchung nicht unser Vertrauen in ihn verlieren und uns dazu verleiten lassen, uns von ihm abzuwenden.

Mit dem Gebet «Führe uns nicht in Versuchung» bekennen wir uns zu unserer Schwäche (Hilfsbedürftigkeit) und distanzieren uns von falschem Selbstvertrauen. Wir sind uns bewusst, dass wir den Heiligen Geist brauchen, denn er hilft uns auf Gott zu vertrauen. Wir bitten um den Schutz Gottes.

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Ein Gedanke zu „Führe uns nicht in Versuchung“

  1. Hoi Hanspeter,
    vielen, vielen Dank für deine Erklärungen und Auseinandersetzungen mit dem Inhalt der Bibel! Ich hatte auch meine Auseinandersetzungen mit:“ Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.“ Das tönt ja wie eine Zurechtweisung an die Adresse Gottes! Jemand gab mir dann die deutsche Uebersetzung aus dem Aramäischen: „Führ uns, auf dass wir nicht in Versuchung fallen, und erlös uns von dem Bösen.“ Auch kam der Hinweis, man könne diese Stelle auch so beten: „Führe uns in der Versuchung.“
    Eigentlich einleuchtend. Ich habe dann einige Jahre in „diesem Sinne“ gebetet. Da bekam ich eines Tages den „Impuls“: „ICH möchte dich nicht nur in der Versuchung führen, sondern immer“… Wau…
    Seither versuche ich diese Stelle in meinem Herzen so zu beten: „Führe uns bitte mit deinem Hl. Geist und erlöse uns vom Bösen“. Rückblickend staune ich immer wieder wie Gott auch in meinem Leben „geführt“ hat. Aber dadurch sind die “ Auseinandersetzungen “ im Herzen nicht kleiner geworden!
    Was sich da manchmal alles „einnisten“ will…..und wie mühsam das „ausmisten“geht…. auch dürfen wir in keiner Weise stolz auf Erreichtes sein, sondern einfach nur demütig dankbar für das GESCHENK!
    In diesem Sinn wünsche ich euch eine gottgesegnete Zeit!

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