Eine zweite unerwartete Jesus-Aussage
Nach einer jüdischen Erzählung überraschte ein Jude einige Gelehrte, die bei ihm zu Gast waren, mit der Frage: „Wo wohnt Gott?“ Seine Gäste lachten ihn aus: „Was sagst du! Die Welt ist voll seiner Herrlichkeit!“ Er aber antwortete auf seine eigene Frage: „Gott wohnt, wo man ihn einlässt.“
Jesus sagt in Johannes 14,23: „Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten; mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und bei ihm Wohnung nehmen.“
Was meint Jesus damit?
Gott wohnt im Himmel. In der Bibel ist er auf dieser Erde im brennenden Dornbusch und auf dem Gottesberg in der Wüste erschienen. Dann hat er den ersten Tempel mit seiner Gegenwart erfüllt.
Gottes Gegenwart ist das Entscheidende. „Wir werden zu ihm kommen und bei ihm Wohnung nehmen.“
Ein Israeli, der eine messianische Gemeinde besuchte, sagte: „Ich habe die Schechina Gottes gespürt.“ Das ist die Gegenwart Gottes. An anderen Orten verspürte er sie nicht.
Es ist sehr wichtig, dass wir uns am Sonntag nicht nur hier treffen, sondern dass wir Gott einladen und bereit sind, ihm zu begegnen. Die Gegenwart Gottes ist das Entscheidende.
Jesus sagt in Matthäus 18,20: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“
Dann geschieht etwas Besonderes. Durch den Heiligen Geist wird uns plötzlich klar, wer Gott ist, wie wir wirklich sind und wie wir mit Gott versöhnt werden (Johannes 16,8).
Der Heilige Geist verändert uns durch Lieder, Impulse, Begegnungen und Gebete.
Charles Finney, ein Erweckungsprediger, stellte fest, dass da wo der Heilige Geist Raum hat, er durch andere einen Impuls geben kann, ohne dass der andere es weiß. In seinen Gebetsversammlungen gab Gott Antworten auf offene Fragen, ohne dass diese vorher bekannt gegeben wurden.
Gott will mitten unter uns sein. Er will sogar in uns wohnen. Das bedeutet nicht, dass wir „unseren göttlichen Kern in uns“ suchen, sondern dass Gott nicht an einen Ort oder einen Gegenstand gebunden ist. Er ist immer bei uns. Wo immer wir sind, da ist Gott.
Heute würden wir vielleicht sagen, dass wir immer online mit Gott sind. Oder ich kann ihn anrufen, wo immer ich auch bin. Bei Gott gibt es kein Funkloch.
Eine alleinstehende Frau hat einmal zu meiner Frau gesagt: „Ich bin nie allein. Jesus ist immer da. Ich spreche den ganzen Tag mit ihm.“
Das ist etwas Besonderes: Wir brauchen keine Gegenstände und Symbole, die uns beschützen. Gott und seine Engel sind immer bei uns.
Jesus sagt in Johannes 2,19-20: „Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen werde ich ihn aufrichten. Da sprachen die Juden: 46 Jahre ist an diesem Tempel gebaut worden, und du willst ihn in drei Tagen aufrichten?“
Das konnten seine Zuhörer nicht verstehen. Gott hatte sich im Tempel niedergelassen und alle Juden mussten jedes Jahr dreimal dorthin pilgern. Nun kommt Jesus und sagt, dass dieser Tempel und damit der ganze Tempeldienst vergehen wird.
Es ist aber spannend, dass diese Aussage nicht so viel Widerstand hervorgerufen hat, wie die Aussage über die Begegnung mit Abraham und das Bild vom guten Hirten.
Denn der Tempeldienst wurde überwiegend von liberalen Priestern ausgeübt. Die Gegenwart Gottes manifestierte sich auch nie im wieder aufgebauten Tempel. Nach Flavius Josephus, einem jüdischen Priester und späteren Historiker, befand sich im Allerheiligsten auch keine Bundeslade.
Die Essener lehnten daher den Tempeldienst in Jerusalem ab und verstanden ihre Gemeinschaft als den lebendigen Tempel Gottes. Ihre Hoffnung ruhte auf einem priesterlichen und einem königlichen Messias, der die „Söhne der Finsternis“ besiegen wird. Sie waren eine mystische Richtung des Judentums.
In Markus 14,58 sagen die Leute über Jesus: „Wir hörten ihn (Jesus) sagen: Ich werde diesen Tempel, der mit Händen gemacht ist, abbrechen, und in drei Tagen werde ich einen anderen aufbauen, der nicht mit Händen gemacht ist.“
In einem Umfeld, das an territoriale Götter glaubte und verschiedene Heiligtümer hatte, war die Botschaft von Jesus revolutionär.
Gott ist nicht an Ort und Zeit gebunden.
Wir müssen nicht einen besonderen Kraftort aufsuchen oder können nur an bestimmten Orten beten.
Jesus sagt: Ich und der Vater sind immer bei euch, wo immer ihr seid. Wo und wann auch immer, ich bin bei euch, und ihr könnt mir jederzeit euer Herz ausschütten und neue Kraft empfangen.
Wenn wir zusammenkommen, soll Gottes Gegenwart erfahrbar werden. Vielleicht ist dein Glaube gerade ins Stocken geraten, dann kannst du ihn in der Gemeinschaft neu entfachen. Oder wenn jemand für dich betet oder für dich dankt, kann sich deine Blockade lösen.
Es ist wie bei einem Auto, das mit einem Überbrückungskabel wieder anspringt.
Wir können überbrücken, wenn jemand selbst nicht mehr kann. Aber man muss dann selbst wieder die Verantwortung übernehmen und nicht ständig nach vollmächtigen Personen suchen, sondern Gottes Vollmacht in unserem Leben in Anspruch nehmen. Gott ist da. Und je mehr wir uns von den Dingen verabschieden, die uns nicht guttun, desto weniger Macht haben sie in unserem Leben.
Im Bibel-Treff lesen wir in der Apostelgeschichte. Als der Heilige Geist kam, bewirkte er, dass jeder das Lob Gottes in seiner eigenen Muttersprache hören konnte. Dadurch wurden die Zuhörer offen für die Predigt des Petrus. Ausgerechnet der ängstliche Petrus wurde zum Sprachrohr. Er nahm Worte aus der Heiligen Schrift und erklärte, was nun geschehen war. Ausgehend von der Heiligen Schrift legte er dar, dass Jesus der Name ist, der angerufen werden soll, weil in Jesus Gott erfahrbar ist.
Die Aussage Jesu vom „in uns wohnen“ ist eingebettet in eine Diskussion darüber, wie man Gott erfahren kann.
In Vers 22 fragt ein Jünger Jesus: „Herr, wie kommt es, dass du dich uns offenbaren willst und nicht der Welt?“
Darauf antwortet Jesus, dass der Vater und er selbst durch den Heiligen Geist in uns wohnen werden und so erfahrbar und erkennbar werden. Gott hat die Menschen als Verwalter auf dieser Erde eingesetzt. Und durch Menschen will er gegenwärtig sein.
Philippus sagt zuvor zu Jesus: „Herr, zeige uns den Vater, und es genügt uns. Jesus spricht zu ihm: So lange Zeit bin ich bei euch, und du hast mich nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen. Und wie sagst du: Zeige uns den Vater?“ (Johannes 14,8-9)
In Jesus begegnet uns der himmlische Vater. Und in uns sehen die Menschen um uns herum, wie Gott uns verändert und durch uns wirkt.
Wenn also der himmlische Vater und Jesus in uns wohnen, dann ist er durch uns wahrnehmbar.
Paulus sagt es in 2.Korinther 3,18 so: „Wir alle aber stehen mit unverhülltem Gesicht vor Gott und spiegeln seine Herrlichkeit wider. Der Herr verändert uns durch seinen Geist.“
In Matthäus 5,14 sagt Jesus: «Ihr seid das Licht der Welt».
Gottes Gegenwart in uns macht den Unterschied. Nicht wir tun etwas, sondern wir lassen Gott durch uns wirken, indem wir uns von ihm verändern und führen lassen.
Da kann es sein, dass ich plötzlich den Impuls bekomme, jemanden anzurufen. Oder ich merke, dass jemand meine helfende Hand oder ein aufmunterndes Wort braucht.
Oder es fällt einfach unsere positive Lebenseinstellung auf. Denn auch in einer Welt, die viel Unsicherheit verbreitet, wissen wir, dass unser Gott alles in seiner Hand hält. Und wir ermutigen, weil wir wertschätzend miteinander umgehen.
Der Heilige Geist wird uns auch brauchen, indem wir etwas sagen, das für andere zum Trittbrett für einen Gedanken wird, der in die richtige Richtung führt.
Es ist wie ein Puzzle. Gott gibt uns durch verschiedene Menschen unterschiedliche Impulse, damit ein neues Bild entsteht.
Es ist spannend, dass Gott durch uns Menschen auf dieser Erde wirkt. Wir sind Hände und Füße Gottes.
An Pfingsten hat Gottes Gegenwart alles verändert. Es geht um die Begegnung mit ihm.
Gott will, dass wir füreinander da sind und Freud und Leid miteinander teilen. Im gegenseitigen Anteilnehmen wollen wir den Blick auf Gott richten, der uns so nahe ist.
Wir schreiben Gott nicht vor, wie er zu handeln hat, sondern halten gemeinsam Schwierigkeiten aus und formulieren sie gemeinsam vor dem gegenwärtigen Gott, der der eigentlich Handelnde ist.
Er ist da und hört uns immer, auch wenn wir ihn gerade nicht wahrnehmen. Hier können wir einander helfen.
Indem wir uns von Gottes Geist leiten lassen, wird Gott durch uns erfahrbar. Deshalb ist es wichtig, dass wir Gott in unser Leben einladen. Wenn er in uns wohnt, muss alles andere weichen.
Gott will nicht fern von uns sein, nicht abgesondert, nicht nur zu Besuch, sondern „Gott mit uns – Immanuel“ sein. Vater und Sohn sind durch den Heiligen Geist gegenwärtig und ansprechbar.
Gott ist in den Menschen gegenwärtig, die ihn aufnehmen. In Johannes 1,12 heißt es: „So viele ihn aber aufnahmen, denen gab er das Recht, Kinder Gottes zu werden“.
Je mehr wir ihm Raum geben und sich nicht alles um uns selbst dreht, desto mehr wird er in uns sein. Er bewirkt in uns göttlichen Frieden, Zuversicht, Freude und Glaube (Johannes 14,27-29).
Text: Hanspeter Obrist, März 2024 / Skulptur: Jürg Steinlin, Ebnat-Kappel