Gedanken von Daniel Boyarin im Buch «Die jüdischen Evangelien». Daniel Boyarin ist ein US-amerikanischer Religionsphilosoph. Seit 1990 lehrt er Talmud im Fachbereich Nahost-Studien der Universität von Berkeley in Kalifornien. Boyarin ist amerikanischer und israelischer Staatsbürger. Er definiert sich selbst als „orthodoxen“ Juden, und zwar in dem Sinne, dass er sich sowohl dem zwingenden Charakter jüdischer Praxis für Juden verpflichtet weiß als auch eine radikale Veränderung innerhalb der sich „orthodox“ nennenden jüdischen Gruppe für notwendig erachtet.
«Zur Zeit Jesu erwarteten die Juden einen Erlöser. Ihre eignen Leiden unter der römischen Herrschaft schienen so groß, und der Erlöser war ihnen prophezeit worden. Indem sie das Buch Daniel genau lasen, hatten wenigstens einige Juden … geschlossen, dass der Erlöser eine göttliche Gestalt namens Menschensohn sein würde, der als ein Mensch auf die Erde kommen, die Juden von der Bedrückung befreien und die Welt als ihr Herrscher regieren würde» (Seite 134).
«Die vorrangige Methode der frühen jüdischen biblischen Exegese ist der Midrasch, der die Verknüpfung von verwandten Abschnitten und Versen aus der ganzen Bibel darstellt, um neue Lehrinhalte und Erzählungen abzuleiten. Es ist der Midrasch den wir auch hier am Werke sehen» (S. 133).
«Anstatt das Christentum als eine neue Erfindung anzusehen, … (ist es) als eine der vom Judentum eingeschlagenen Wege – ein Pfad, so alt in seinen Quellen wie der, den die rabbinischen Juden beschritten … Viele Juden erwarten den göttlich-menschlichen Messias, den Menschensohn» (S. 128).
Zu Jesaja 53
«Der Geistesriese der spanischen Judenheit, Rabbi Moses ben Nachman (RaMBaN), räumt ein, dass dem Midrasch und den Rabbinen des Talmuds zufolge Jesaja 53 in Gänze vom Messias handelt; doch er selbst widerspricht» (S. 145).
«Daher stellt die Behauptung vieler Leiden, dazu Verwerfung und Verachtung des Menschensohns in keinerlei Hinsicht einen Bruch mit dem Judentum oder der Religion Israels dar. Tatsächlich sind diese Ideen von den Evangelien von der Tora (der Schrift in ihrer umfassendsten Bedeutung) mittels, dieses jüdischsten aller exegetischen Stilmittel, des Midrasch, abgeleitet worden» (S. 145).
Evangelien sind jüdisch
«Juden argumentieren nicht selten, dass sich das Christentum die hebräische Bibel angeeignet und für seine eigenen, nicht-jüdischen Zwecke verdreht und damit ihre Sinngehalte verfälscht habe … Dieses Buch bestreitet die Auffassung, dass das Neue Testament selbst eine Aneignung ist – oder noch genauer – eine Vereinnahmung des Alten Testaments. … Das Neue Testament ist sehr viel tiefer in das jüdische Leben und Denken während des Zweiten Tempels eingebettet, als viele gedacht hätten … in genau den Details, die wir als am charakteristischsten christlich angesehen haben: die Vorstellung einer zweifachen, dualen Gottheit mit einem Vater und einem Sohn, die Vorstellung eines Erlösers, der selbst sowohl Gott als auch Mensch sein wird, und die Vorstellung, dass dieser Erlöser im Zuge des Erlösungsprozesses leiden und sterben würde. Wenigsten einige dieser Ideen, die Vater/Sohn-Gottheit und der leidende Erlöser, haben ebenfalls tiefe Wurzeln in der hebräischen Bibel und dürften sich unter einigen der ältesten Vorstellungen über Gott und die Welt befinden, die das israelische Volk jemals vertrat» (S. 147).
So ist sein Fazit:
«Ein Volk hatte jahrhundertelang von einem neuen König, einem Davidssohn, erzählt, über ihn nachgedacht und gelesen, der kommen würde, um sie von der seleukidischen und später römischen Unterdrückung zu erlösen, und sie hielt schließlich diesen König für eine zweite, jüngere, göttliche Gestalt auf der Grundlage der Reflexion des Danielbuches über dies sehr alte Überlieferung. So gewannen sie die Überzeugung, in Jesus von Nazareth denjenigen zu sehen, den sie erwartet hatten, der kommen würde; den Messias, den Christus» (S. 148-149).
«Die Details seines Lebens, seine hoheitlichen Vorrechte, seine Tugenden und sogar sein Leiden und Tod vor dem triumphalen Sieg, sind alle aus einer sogfältigen midraschischen Interpretation des biblischen Materials entwickelt, und sie erfüllen und ereignen sich in seinem Leben und Tod. Die Erhörungs- und Auferstehungserfahrungen seiner Nachfolger sind eine Hervorbringung der Erzählung (narrative), nicht deren Ursache» (S. 149).
Siehe auch:
Emmaus-Weg
Zwei Jünger verließen Jerusalem, den Ort des Scheiterns von Jesus (Lukas 24,13-35). Es gab nichts mehr zu hoffen. Es war zum Davonlaufen. Die Sache Jesu schien verloren. Sie suchten grübelnd nach dem Sinn dieses Todes, fanden aber keinen.
Ihr Gang war schwer, und so holte sie ein ihnen unbekannter Weggefährte ein. Gerade in Situationen, in denen ein Mensch an die Grenzen seiner Existenz stößt, tut es gut, wenn jemand anderes signalisiert: „Ich bin bei dir. Ich begleite dich auf deinem Weg.“
Jesus hörte auf eine Weise zu, die den traumatisierten Jüngern dabei half, zu reden, das Herz auszuschütten und ihre Trauer und Fragen in Worte zu fassen.
Sie hatten jedoch ihr Bild von Jesus nicht der Schrift entnommen, sondern sich eher von ihren Wünschen leiten lassen.
Jesus erklärt anhand der Propheten, dass alles so geschehen musste. Das Kreuz ist nicht ein Scheitern und die Vernichtung des göttlichen Plans, sondern das Schlüsselereignis.
Die Sonne geht unter, doch mit ihrem eigenartigen Begleiter geht den Jüngern langsam ein Licht auf.
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Rückmeldungen:
F: Der Menschensohn, so göttlich er auch ist, weil ihn Gott sendet, weiß sich nicht als der allein wahre Gott zu bezeugen! Wird nie so bezeugt, (siehe Jesaja 53. So ein Denken bleibt hellenistisch.
Hallo F, in Genesis 18 besucht JHWH Abraham in menschlicher Gestalt. Er war ganz Mensch und ass was Abraham ihm vorsetzte. Er war aber auch ganz Gott, weil er als JHWH sprach. Das hat also nichts mit Hellenismus zu tun.
F: Gott offenbart sich in vielfältiger Weise, diese Boten sind aber nicht Gott oder suchten sich als Gott zu offenbaren.
Hallo F: 1 Und der HERR (JHWH) erschien ihm bei den Terebinthen von Mamre … 13 Da sprach der HERR zu Abraham … Abraham ging mit ihnen, sie zu begleiten. 17 Der HERR aber sprach ⟨bei sich⟩: … 20 Und der HERR sprach: … 22 Abraham aber blieb noch vor dem HERRN stehen … 26 Da sprach der HERR … 33 Und der HERR ging weg …
F: Diese Betrachtung einer Begegnung Gottes kann uns doch nicht eine Grundlage bieten um so ganz anders von Gott zu reden als alles offenbarte Wort! Ich verstehe nicht auf was „für Ideen“ von Bibelstellen zu teilen man kommt um dieses Dogma verteidigt wissen zu meinen.
Hallo F: Es gibt noch viele andere Stellen, die vor der griechischen Zeit davon sprechen, dass Gott uns Menschen begegnet. Davon spricht Daniel Boyarin. „Indem sie das Buch Daniel genau lasen, hatten wenigstens einige Juden … geschlossen, dass der Erlöser eine göttliche Gestalt namens Menschensohn sein würde, der als ein Mensch auf die Erde kommen, die Juden von der Bedrückung befreien und die Welt als ihr Herrscher regieren würde“. Ein Dogma verteidige ich nicht, sondern ich beobachte nur, was im Tenach (AT) steht und wie im NT mit dem Tenach argumentiert wird, im jüdisch exegetischen Stil.
F: Natürlich sind die Evangelien urjüdisch und nicht hellenistisch wie sie gerne betrachtet werden, aber dass das NT in ein denken des Zweiten Tempels eingebettet gewesen wäre ergibt für mich überhaupt keinen Sinn. … Doch den Tempelkult pflegten die Jünger nicht mehr ihr Paschalamm war bereits ein für alle mal geschlachtet worden!
Hallo F, die an Jesus glaubenden Juden besuchten weiterhin den Tempel bis zu seiner Zerstörrung. Sogar Paulus erfüllte ein Gelübde im Tempel.
F: Aber niemand glaubt dass sie die Opferrituale besuchten … Es gab auch Lesungen und Austausch wie wir ja sehen diesen besuchten sie und versuchten mit dem Wort Menschen für Jesus als den Christus zu erreichen.
Hallo F, Apg 21,26 „Dann nahm Paulus die Männer zu sich, und nachdem er sich am folgenden Tag gereinigt hatte, ging er mit ihnen in den Tempel und kündigte die Erfüllung der Tage der Reinigung an, bis für einen jeden von ihnen das Opfer dargebracht war.“