Juden und Christen im Gespräch über Genesis 18
Dienstag, 15. November, Radio Maria Schweiz
In dieser Sendung dabei ist Dr. Richard Breslauer, jüdischer Dozent an der Jüdisch – Christlichen Akademie in Basel, und Hanspeter Obrist, Erwachsenenbilder aus Schmerikon
Zusammenfassung der Beiträge von Hanspeter Obrist
Gott zu Gast bei Abraham und Sara
1 Der HERR erschien Abraham bei den Eichen von Mamre, während er bei der Hitze des Tages am Eingang des Zeltes saß. 2 Er erhob seine Augen und schaute auf, siehe, da standen drei Männer vor ihm. Als er sie sah, lief er ihnen vom Eingang des Zeltes aus entgegen, warf sich zur Erde nieder 3 und sagte: Mein Herr, wenn ich Gnade in deinen Augen gefunden habe, geh doch nicht an deinem Knecht vorüber! 4 Man wird etwas Wasser holen; dann könnt ihr euch die Füße waschen und euch unter dem Baum ausruhen. 5 Ich will einen Bissen Brot holen, dann könnt ihr euer Herz stärken, danach mögt ihr weiterziehen; denn deshalb seid ihr doch bei eurem Knecht vorbeigekommen. Sie erwiderten: Tu, wie du gesagt hast!
Eine herausfordernde Geschichte. Gott, Adonai, erscheint Abraham, mitten im Tag. Es sind drei Männer. Im nächsten Kapitel sehen wir, dass zwei von ihnen als Engel nach Sodom gehen. In Genesis 19,1 steht: „Die beiden Engel kamen am Abend nach Sodom.“
Also besuchen hier, Gott und zwei Engel Abraham und Sara als Menschen.
Ich finde es spannend, dass Abraham unter diesen Männern gleich seinen Herrn erkennt. Für mich als Christen, bedeutet es, dass Gott auch schon im ersten Testament den Menschen in einer Form begegnet, die sie fassen können. Deshalb kann für mich, Gott uns Menschen auch in Jesus begegnen.
(Die jüdische Erklärung ist, dass es sich hier um vier Personen handelt. Gott und drei Männer die Abraham besuchen.)
6 Da lief Abraham eiligst ins Zelt zu Sara und rief: Schnell drei Sea feines Mehl! Knete es und backe Brotfladen! 7 Er lief weiter zum Vieh, nahm ein zartes, prächtiges Kalb und übergab es dem Knecht, der es schnell zubereitete. 8 Dann nahm Abraham Butter, Milch und das Kalb, das er hatte zubereiten lassen, und setzte es ihnen vor. Er selbst wartete ihnen unter dem Baum auf, während sie aßen.
In diesem Abschnitt sehe ich, Gott erscheint Abraham nicht nur in menschlicher Gestalt er ist ganz Mensch. Er isst Butter, Milch und Fleisch.
Als Jesus nach der Auferstehung den Jüngern erschien, auch da aß er vor ihren Augen, damit sie sahen, dass er nicht nur eine Geisterscheinung ist. In Lukas 24,41-43 steht: „Als sie es aber vor Freude immer noch nicht glauben konnten und sich verwunderten, sagte er zu ihnen: Habt ihr etwas zu essen hier? 42 Sie gaben ihm ein Stück gebratenen Fisch; 43 er nahm es und aß es vor ihren Augen.“
Das zweite was mich verwundert ist, dass Gott Fleisch mit Milch ass. Im heutigen Judentum wird, das ja strickte getrennt.
(Die jüdische Interpretation ist, dass die Trennung von Fleisch und Milch erst mit dem Gesetz von Mose kam. Das setzt jedoch voraus, dass Gott sich wandelt und nicht ein ewiges Gesetz offenbart hat.)
9 Sie fragten ihn: Wo ist deine Frau Sara? Dort im Zelt, sagte er. 10 Da sprach er: In einem Jahr komme ich wieder zu dir. Siehe, dann wird deine Frau Sara einen Sohn haben. Sara hörte am Eingang des Zeltes hinter seinem Rücken zu. 11 Abraham und Sara waren schon alt; sie waren hochbetagt. Sara erging es nicht mehr, wie es Frauen zu ergehen pflegt. 12 Sara lachte daher still in sich hinein und dachte: Ich bin doch schon alt und verbraucht und soll noch Liebeslust erfahren? Auch ist mein Herr doch schon ein alter Mann! 13 Da sprach der HERR zu Abraham: Warum lacht Sara und sagt: Sollte ich wirklich noch gebären, obwohl ich so alt bin? 14 Ist denn beim HERRN etwas unmöglich? Nächstes Jahr um diese Zeit werde ich wieder zu dir kommen; dann wird Sara einen Sohn haben. 15 Sara leugnete: Ich habe nicht gelacht. Denn sie hatte Angst. Er aber sagte: Doch, du hast gelacht.
Für mich erscheint in dieser Stelle das „typisch Gott“. Da wo nichts mehr geht, da handelt Gott. Es wird klar, dass die Geburt vom Sohn ein Wunder ist.
Ähnlich ging es ja auch Elisabeth und Zacharias mit ihrem Sohn Johannes. Und so verstehe ich auch die Geburt von Jesus. Nur eine Jungfrauengeburt kann ein Zeichen Gottes sein, wie es in Jesaja 7,14 steht: Darum wird der Herr selbst euch ein Zeichen geben: Siehe, die Jungfrau hat empfangen, sie gebiert einen Sohn und wird ihm den Namen Immanuel geben.
Vers 14 ist für mich sehr wichtig: „Ist denn beim HERRN etwas unmöglich?“ Gott ist nichts unmöglich. Er kann zugleich im Himmel sein und auf der Erde sich einem Menschen annehmen. Gott lässt sich nicht mit unserem menschlichen Denken fassen.
Was mir weiter auffällt, ist, dass Gott auch wahrnimmt, was wir meinen es sei verborgen. Sara lacht und denkt und trotzdem es ist vor Gott offenbar. Vor Gott spielt nicht nur das eine Rolle, was wir tun, sondern auch, wie wir denken.
Deshalb liegt ein Schwerpunkt des Glaubens darin, unser Denken zu verändern. So schreibt Paulus den Ephesern: „Lasst euch erneuern durch den Geist in eurem Denken!“ Das gilt für alle Menschen. Wer sein Denken lenken kann, der erfüllt was Gott in 1.Mose 4,7 sagt: „Ist es nicht so: Wenn du gut handelst, darfst du aufblicken; wenn du nicht gut handelst, lauert an der Tür die Sünde. Sie hat Verlangen nach dir, doch du sollst über sie herrschen.“
(In der jüdische Auslegung war es ein Engel, der die Botschaft überbracht hat. Danach hat er seine Aufgabe erfüllt und kehrt zurück. Im Text steht jedoch in Vers 14, dass Gott (JHWH) nachfragt. Gott ist also aktiv und wartet nicht abseits, bis Abraham die drei Männer bedient hat.)
16 Die Männer erhoben sich von dort und schauten auf Sodom hinab. Abraham ging mit ihnen, um sie zu geleiten. 17 Da sagte der HERR: Soll ich Abraham verheimlichen, was ich tun will? 18 Abraham soll doch zu einem großen, mächtigen Volk werden, durch ihn sollen alle Völker der Erde Segen erlangen. 19 Denn ich habe ihn dazu ausersehen, dass er seinen Söhnen und seinem Haus nach ihm gebietet, den Weg des HERRN einzuhalten und Gerechtigkeit und Recht zu üben, damit der HERR seine Zusagen an Abraham erfüllen kann.
Gott will seine Gedanken mit uns teilen. Jesus hat das in Johannes 15,15 so gesagt: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe.“
Glaube meint eigentlich, uns und das Leben, mit Gottes Augen zu sehen. Damit verliert manches an Stellenwert und neue Dinge werden uns wichtig. Hier im Text steht: „den Weg des HERRN einzuhalten und Gerechtigkeit und Recht zu üben“. Würden wir uns und unsere Mitmenschen mehr unter dem Aspekt sehen, wie Gott sie sieht, dann sähe unsere Welt anders aus. Von Mose steht in Exodus 33,11: „Der HERR und Mose redeten miteinander von Angesicht zu Angesicht, wie einer mit seinem Freund spricht.“ Gott möchte seine Gedanken mit uns teilen und uns nichts verheimlichen.
(Im jüdischen Kontext ist wichtig, dass Gott noch nicht beschlossen hat, Sodom zu vernichten, sondern zuerst hingeht und selber schaut. Es braucht immer Zeugen, die etwas gesehen haben. Hier sind es zwei Engel. Erst dann wird ein Urteil gefällt.)
20 Der HERR sprach: Das Klagegeschrei über Sodom und Gomorra, ja, das ist angeschwollen und ihre Sünde, ja, die ist schwer. 21 Ich will hinabsteigen und sehen, ob ihr verderbliches Tun wirklich dem Klagegeschrei entspricht, das zu mir gedrungen ist, oder nicht. Ich will es wissen. 22 Die Männer wandten sich ab von dort und gingen auf Sodom zu. Abraham aber stand noch immer vor dem HERRN. 23 Abraham trat näher und sagte: Willst du auch den Gerechten mit den Ruchlosen wegraffen? 24 Vielleicht gibt es fünfzig Gerechte in der Stadt: Willst du auch sie wegraffen und nicht doch dem Ort vergeben wegen der fünfzig Gerechten in ihrer Mitte? 25 Fern sei es von dir, so etwas zu tun: den Gerechten zusammen mit dem Frevler töten. Dann ginge es ja dem Gerechten wie dem Frevler. Das sei fern von dir. Sollte der Richter der ganzen Erde nicht Recht üben? 26 Da sprach der HERR: Wenn ich in Sodom fünfzig Gerechte in der Stadt finde, werde ich ihretwegen dem ganzen Ort vergeben. 27 Abraham antwortete und sprach: Siehe, ich habe es unternommen, mit meinem Herrn zu reden, obwohl ich Staub und Asche bin. 28 Vielleicht fehlen an den fünfzig Gerechten fünf. Wirst du wegen der fünf die ganze Stadt vernichten? Nein, sagte er, ich werde sie nicht vernichten, wenn ich dort fünfundvierzig finde. 29 Er fuhr fort, zu ihm zu reden: Vielleicht finden sich dort nur vierzig. Da sprach er: Ich werde es der vierzig wegen nicht tun. 30 Da sagte er: Mein Herr zürne nicht, wenn ich weiterrede. Vielleicht finden sich dort nur dreißig. Er entgegnete: Ich werde es nicht tun, wenn ich dort dreißig finde. 31 Darauf sagte er: Siehe, ich habe es unternommen, mit meinem Herrn zu reden. Vielleicht finden sich dort nur zwanzig. Er antwortete: Ich werde sie nicht vernichten um der zwanzig willen. 32 Und nochmals sagte er: Mein Herr zürne nicht, wenn ich nur noch einmal das Wort ergreife. Vielleicht finden sich dort nur zehn. Er sprach: Ich werde sie nicht vernichten um der zehn willen. 33 Der HERR ging fort, als er aufgehört hatte, zu Abraham zu reden, und Abraham kehrte an seinen Ort zurück.
Dieser Abschnitt wirft Fragen auf? Kann man mit Gott einen Handel treiben? Oder will Gott Abraham aufzeigen, dass er den Gerechten immer sieht und sie kennt? Spannend ist ja, dass Lot und seine Familie gerettet werden. Gott lässt keinen Gerechten mit den Gottlosen untergehen.
Für mich ist dieses Gespräch ein Spiegel von Gottes Pädagogik. Gott führt uns Schritt für Schritt. Er lässt uns selbst formulieren, wie sich unsere Erwartungen verändern. Am Ende steht die Gnade Gottes. Gott erduldet viel Unheil, wenn er auf Gerechte hoffen kann. Doch Lot hat keinen positiven Einfluss mehr auf die Leute von Sodom. Sie hören nicht auf ihn, dass sehen wir im folgenden Kapitel.
In Matthäus 13,27-29 erzählt Jesus eine Geschichte: „27 Da gingen die Knechte zu dem Gutsherrn und sagten: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher kommt dann das Unkraut? 28 Er antwortete: Das hat ein Feind getan. Da sagten die Knechte zu ihm: Sollen wir gehen und es ausreißen? 29 Er entgegnete: Nein, damit ihr nicht zusammen mit dem Unkraut den Weizen ausreißt.“
Diese Geduld Gottes wird auch in Offenbarung 6,10 sichtbar: „Die Märtyrer riefen mit lauter Stimme und sagten: Wie lange zögerst du noch, Herr, du Heiliger und Wahrhaftiger, Gericht zu halten?“ Gott sieht den Gerechten, doch er hofft auf die Umkehr des von ihm abgewandten Menschen. Hätte Gott nicht immer wieder gnädig eingegriffen, wir hätten uns schon lange selbst zerstört.
(In der jüdischen Diskussion ist wichtig, dass der Mensch Gott seine Fragen stellen kann. So wie auch Hiob es tat. Der Mensch kann jedoch Gott nicht begreifen. Auch ist es eine offene Frage, wie der Mensch Ebenbild Gottes ist, da Gott nach jüdischer Auffassung keine bestimmte Form hat – also in diesem Zusammenhang auch nicht als Mensch erscheinen kann.)
Abraham – der Vater der Monotheistischen Religionen:
Der Gott Abrahams, Erst wenn wir verstehen, wie Abraham Gott erlebt hat, können wir beurteilen, ob wir an den Gott von Abraham glauben oder ob wir einem eigenen Gottesbild folgen.
Abraham – erwählt zum Segen, Segen ist nicht Wohlstand, sondern die Gegenwart Gottes.
Abraham – mit Gott im Bund, Ein spannender Einblick, wie Gott die Dinge sieht.
Abraham – Glauben, ohne zu sehen, Glaube ist ein inneres Wissen um Dinge, die man nicht sieht, welche sich im Leben bestätigen.
Abraham – Segen durch Aufgabe, Kaum erwählt und reich gesegnet – schon Probleme. Das Miteinander geht auseinander.
Abraham – Leben mit Schwächen, Versuchung ist, selbst in die Hand zu nehmen, was Gott uns geben möchte.
Abraham – Leben durch ein Opfer, Der Opfergang von Abraham und Isaak in 1.Mose 22,1-19 ist eine der schwierigsten Stellen in der jüdischen Bibel. Der Text wirft viele Fragen auf …
Abraham und Melchisedek, Melchisedek begegnet Abraham inmitten vom Drama um Sodom und Gomorra. Zwei schwierig nachvollziehbare Geschichten haben ihre Logik in der Kombination.
Abraham – Repräsentant Gottes, Abraham wird respektiert, weil Gott hinter ihm steht.
Abraham – Versöhnung am Grab, Ismael und Isaak geben immer wieder Anlass für wilde Spekulationen und Theorien. Doch ein genaues Hinhören in die biblischen Texte lohnt sich.