Nach über hundert Tagen Krieg stumpft die Fähigkeit ab, entsetzt und schockiert zu sein.
Die Gewaltverbrechen der russischen Armee in der Ukraine sind der Spiegel einer Kultur, die das Land bis heute nicht aus den Klauen gelassen hat. Sie wurzelt tief im Innern der russischen Gesellschaft. Nun dringt nach aussen, was zu Hause immer schon der Fall war, meint Sergei Medwedew. Seine These, diese sich massenhaft entladende brutale Gewalt entspricht der strukturellen Gewalt, die russische Machtapparate seit historischen Zeiten praktizieren.
Sergei Medwedew, geboren 1966, ist ein russischer Politikwissenschafter, Historiker und Journalist. Er war Professor an der Higher School of Economics in Moskau.
All diese Truppenteile sind auch in Friedenszeiten für ihre Brutalität bekannt. Eine Brutalität, gegen die offensichtlich nicht systematisch vorgegangen wird. Eine Studie, die sich mit den Gewaltpraktiken der russischen Militärs befasst hat konstatiert, dass die Kriegsverbrechen der russischen Armee im 21. Jahrhundert – von Tschetschenien und Georgien über Syrien und den Donbass bis hin zum Beginn der aktuellen Phase des Kriegs – ungestraft geblieben sind.
Die russischen Streitkräfte haben im Unterschied zu den westlichen Armeen keine institutionelle Kultur entwickelt, die die Verluste unter der Zivilbevölkerung minimieren würde: In der russischen Armee existieren keinerlei Schutzmechanismen gegen ungerechtfertigte, willkürliche Gewalt.
Problem so Sergei Medwedew sind nicht so sehr die vielen einzelnen Gewalttäter, es ist das russische System selbst. mehr Informationen
Moskaus Exportschlager war schon immer die Angst, behauptet Sergei Medwedew.
Um den Krieg gegen den Westen zu gewinnen, braucht Moskau gar keine Soldaten, argumentiert die „Prawda„. Es sei viel erfolgversprechender, die Feinde „auszuhungern“ und auf terroristische Methoden zu setzen. Als erstes müsse das Gas abgedreht werden, und zwar „vor allem für die Armen und Schwachen“, worunter das Blatt nach eigenen Angaben Bulgarien und Rumänien versteht.
Außerdem müsse die „Ernährungskrise“ verschärft werden, am Besten dadurch, dass Russland die fruchtbare „Schwarzerde“ der Ukraine besetze und das Land vom Schwarzen Meer abschneide.
Dienstleistungen seien jetzt nicht so wichtig: „Wenn wir den Dienstleistungssektor vom Bruttoinlandsprodukt abziehen, dann ist die russische Wirtschaft mit der deutschen vergleichbar und näher an der japanischen.“
Die europäische Elite müsse zwangsweise prorussisch werden, so die Forderung, der eine wilde Vernichtungsfantasie von Kolumnistin Lyubov Stepuschowa (61) folgt: „Das aktive Handeln der Russischen Föderation wird eine vollständige Neuordnung der Weltwirtschaft sicherstellen und proamerikanische Eliten von Schlüsselposten in Europa entfernen.
Der russische Schriftsteller Wladimir Sorokin fasste Russlands „Geschäft“ mit der Angst in einem Interview 2002 mal in der prägnanten Aussage zusammen: „Ich habe schon alle Ängste durchlebt. Es kann Ihnen auch ein Ziegelstein auf den Kopf fallen. Wozu also Angst. Entweder du hast Angst oder du lebst in Russland.“ Damals war das noch ironisch zu verstehen.
Medwedew verweist darauf, dass spätestens in den achtziger Jahren nur noch die „altbewährte Drohmunition im Arsenal der Supermacht“ geblieben: „Das moderne Russland ist zu schwach, um eine neue Welt aufzubauen, aber gefährlich genug und in globale Netzwerke integriert, um die alte Welt zu zerstören, indem es sie mit Umwälzungen, Instabilität, neuen Kriegen und nuklearen Katastrophen bedroht.“
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