Wenn der Ökumenische Rat der Kirchen im September in Karlsruhe zusammentritt, wird man sich auf weniger Gemeinsamkeiten denn je berufen können.
Über Nacht scheinen die Bemühungen von Generationen Christen, die sich in der Ökumenischen Bewegung engagierten, zunichte gemacht. Es wäre Naivität zu meinen, man könne nach dem 24. Februar 2022 in der Ökumene weitermachen, als habe es ihn nie gegeben.
Die geistliche Schwäche, die sich bereits beim Ausbruch der Pandemie abzeichnete, hat sich verschärft. Es fehlt an vielen Orten eine vereinende Gebetsbewegung der Christen, um das Unheil abzuwenden.
Anstatt sich Gott zuzuwenden, wenden sich Menschen ab. Die Kirchenleitungen scheinen keine Kraft für gemeinsame Antworten aufzubringen. Man umschifft diplomatisch, statt Dinge beim Namen zu nennen. Die unterschiedlichen Meinungen zum Umgang mit einem Unrechts-Staat, lassen neue Gräben aufbrechen.
Die ökumenische Bilanz ist nüchtern: Man stelle sich vor, es droht ein Weltkrieg und viele wissen gar nicht mehr, wie Beten geht.
In einem offenen Brief setzen sich deutsche Theologen mit Nachdruck dafür ein, dass der Ökumenische Rat der Kirchen die Beziehungen zur russisch-orthodoxen Kirche abbricht. «Die Hierarchie der Russisch-Orthodoxen Kirche», so steht in dem Schreiben, «schafft mit ihrer Kriegslegitimation und der Ablehnung der individuellen, unveräußerlichen Menschenrechte eine geistige und geistliche Basis für eine autokratische Staatsmacht mit revisionistischen und diktatorischen Zügen. Mit ihrem Segen wird ein Angriffskrieg geführt.»
Der Anlass und der Grund für diesen Brief liegt auf der Hand: Die Kirchenleitung der Russisch Orthodoxen Kirche (ROK) heißt den Überfallskrieg Russlands auf die Ukraine nicht nur gut – sie legitimiert ihn theologisch und apostrophiert ihn als einen Heiligen Krieg, einen Krieg zwischen Gut und Böse, wobei „der Westen“ und die Ukraine die Rolle des Bösen und Teuflischen einnehmen.
Die EKD schreibt, dass dieser Offene Brief ein Signal in die „falsche Richtung“ sei, da dadurch „ein großer Teil der orthodoxen Christinnen und Christen aus der weltweiten ökumenischen Gemeinschaft ausgeschlossen“ würde.
Das neue Credo scheint nicht mehr zu sein: Erlöse uns von dem Bösen, sondern wir wollen uns mit dem Bösen arrangieren.
Die 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen ÖRK findet vom 31. August bis 8. September 2022 in Karlsruhe statt. Unter dem Thema «Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt» kommen Tausende Delegierte und Besucherinnen und Besucher aus aller Welt zusammen.
Die 11. ÖRK-Vollversammlung verspricht für die ökumenische Bewegung – und die Welt – ein historischer Meilenstein zu werden. Mit einer Vision von Einheit, die die Kirchen anregen und beflügeln soll, mit öffentlichen Erklärungen, die auf die Sorgen der Welt eingehen, und schließlich mit einer Botschaft, die die Erfahrungen und Hoffnungen der Vollversammlung zusammenfasst, wird die Vollversammlung die ökumenische Bewegung zusammenwachsen und wachsen lassen.
Die Vollversammlung ist das höchste Entscheidungsgremium des Ökumenischen Rates der Kirchen ÖRK und tritt in der Regel alle acht Jahre zusammen. Sie ist die einzige Gelegenheit, an der die Gemeinschaft der Mitgliedskirchen an einem Ort zusammenkommt, um zusammen zu beraten, zu beten und zu feiern. Dem ÖRK gehören 349 Kirchen an, die insgesamt mehr als eine halbe Milliarde Christeninnen und Christen als ihre Mitglieder zählen. Die Vollversammlung bringt mehr als 4000 Teilnehmende aus allen Ecken der Welt an einem Ort zusammen.
Die regionalen Präsidentinnen und Präsidenten des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) teilten eine Botschaft zu Pfingsten 2022: “Der Heilige Geist führt die Kirche zu einer neuen Vision.” Sie erinnerten an die Verpflichtung der Kirche, denjenigen die gute Nachricht zu bringen, die am meisten unter den bewaffneten Konflikten, unter den schädlichen Auswirkungen wirtschaftlichen Ehrgeizes während der Pandemie und unter den verheerenden Schäden, die wir unserem Planeten zufügen, zu leiden haben.
“In der Apostelgeschichte bringt der Heilige Geist neue Gaben, neue Möglichkeiten der Evangelisierung, neue Orte, die es zu erreichen gilt, neue Möglichkeiten, das Leben zu leben, und neue Wege, diejenigen zu erreichen, die diskriminiert werden; er nimmt Leben, die im Dienst der Verfolgung und des Todes gelebt wurden, und verwandelt sie in Leben im Dienst Christi und seiner guten Nachricht; er verleiht Kraft, sich politischen, militärischen und wirtschaftlichen Mächten entgegenzustellen”, sagt die Botschaft. “Die Kirche versteht die Notwendigkeit, sichere Räume zu errichten und somit Leben zu retten.”
Der bayerische Landesbischof Bedford-Strohm hofft, dass die russisch-orthodoxen Kirche ihre „kriegslegitimierende Position“ revidiert. Im Gespräch mit dem BR sagte Bedford-Strohm, es gehe im ökumenischen Dialog mit der russisch-orthodoxen Kirche nun darum, Brücken zu bauen, damit diese ihre „kriegslegitimierende Position“ revidiert. Beim Thema Waffenlieferung an die Ukraine spricht der evangelische Landesbischof von einer inneren Zerrissenheit. „Es ist nicht richtig, so zu tun, als ob Waffen nicht schlimme Instrumente wären, die Menschen töten. Man kann nicht Menschen auf die Anklagebank setzen, weil sie sich mit dieser Entscheidung schwer tun. Und umgekehrt ist es zu einfach, aus Prinzip zu sagen, Waffenlieferungen kommen nicht in Frage„, sagt Heinrich Bedford-Strohm. Dennoch glaubt er, dass es aktuell keine andere wirksamere Alternative gegen die russische Aggression gibt, als der Ukraine die Selbstverteidigung zu ermöglichen. Es wird aber nicht so sein wie mit Nazi-Deutschland, dass ein riesiges Land wie das russische Reich militärisch besiegt wird. Die Ukraine nicht das einzige Land, dem eine humanitäre Katastrophe drohe. „Man darf nicht die vielen anderen Schauplätze der Welt vergessen und dass jeden Tag 20.000 Menschen sterben, weil sie nicht genug zu essen haben“, so Bedford-Strohm.
Der Teil der ukrainisch-orthodoxen Kirche, der bisher zum Moskauer Patriarchat gehörte, hat sich mittlerweile von diesem abgespalten und den Krieg klar verurteilt. Auch innerhalb der russisch-orthodoxen Kirche in Russland gebe es viele Priester, die sich öffentlich geäußert hätten, gegen die Linie von Patriarch Kyrill.