Paulus zeigt in wenigen Worten in Epheser 4,1-16 auf, was im Miteinander von Christen wichtig ist: Einheit, Ergänzung, Mündigkeit.
Zuerst erwähnt er die Einheit im Geist (Vers 3). Paulus erlebt immer wieder, dass Menschen versuchen, den Glauben durch religiöse Formen und Traditionen zu ersetzen und die Einheit aufzuspalten. In seiner Zeit sind es vor allem Menschen, die fordern, dass sich die Männer beschneiden und zum Judentum konvertieren müssen. Paulus hält entgegen, dass es nur einen Glauben gibt. Anstatt sich voneinander abzugrenzen und sich gegenseitig den Glauben abzusprechen, sollen wir die Einheit im Geist bewahren. Mit dem Ausdruck: „ertragt einander in Liebe“ wird klar, dass Christsein nicht Friede, Freude, Eierkuchen ist, sondern eine Liebe, die unterschiedliche Standpunkte aushält.
Der folgende Gedanke der Ergänzung zeigt auf, dass Unterschiedlichkeit zum System gehört. Jesus verteilt die Gaben (Vers 7). Die Idee ist, dass wir einander dienen und nicht in Konkurrenz zueinander stehen. Reich Gottes heißt, dass keiner über dem anderen steht, sondern dass wir füreinander da sind. Je näher wir Christus kommen, desto mehr dienen wir wie Jesus den anderen (Markus 9,35). Wir sind alle miteinander und mit Christus verbunden (Vers 16). Wenn dieses gegenseitige Dienen nicht funktioniert, dann wird die Kirche steif und bewegt nicht.
Paulus nennt fünf Dienste, welche gern in Konkurrenz zueinander gesehen werden. Doch eigentlich sollen sie sich in Einheit ergänzen.
- Der Dienst des Apostels beinhaltet die Fähigkeit, Dinge zusammenzuhalten und einen weitsichtigen Durchblick zu haben.
- Ein Prophet spricht ein göttliches Wort in eine bestimmte Situation hinein. Das kann auch ein persönliches Wort der Ermutigung sein.
- Der Evangelist kann das Evangelium so erklären, dass es auch Menschen verstehen, die dem Glauben noch fernstehen.
- Der Hirte erkennt, was eine Gemeinschaft oder ein Mensch jetzt braucht und wie es ihnen geht.
- Ein Lehrer bringt die Dinge auf den Punkt und ordnet sie. Er erkennt biblische Zusammenhänge und kann sie verständlich weitergeben.
Das Ziel der christlichen Gemeinschaft ist nicht der Aufbau einer Organisation, sondern eine organische Stärkung aller Herausgerufenen (ἐκκλησία, Ekklesia – die Kirche als geistliche Gemeinschaft), damit jeder Einzelne mündig wird und sich nicht von jeder beliebigen Lehre aus der Bahn werfen lässt (Vers 14). Alles führt zu Jesus hin. Die einzelnen Glieder des Leibes sind in Christus, dem Haupt, verknüpft (Vers 15). Wir alle sollen zu der Erkenntnis gelangen, dass Jesus der Sohn Gottes ist (Vers 13).
Jesus sagte es so: „Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern“ (Matthäus 28,19). Ein Jünger ist ein Lernender. Wir sollen also bereit werden, von Jesus zu lernen und stets in der Haltung des Lernenden zu bleiben. Wir stehen nicht im Dienst einer Organisation, sondern im Dienst für Jesus in dieser Welt. Mit dem Bild vom Leib Christi zeigt Paulus auf, dass wir alle vom Haupt abhängig sind und jedes Glied in seiner Unterschiedlichkeit die anderen ergänzt (Vers 16). Der Fokus liegt darin, dass Menschen aufgebaut werden und in ihrer von Gott gegebenen Bestimmung unterstützt werden.
Teresa von Avila (1515–1582), eine spanische Mystikerin aus dem 16. Jahrhundert, drückte es wie folgt aus:
„Christus hat keinen Körper außer deinem. Keine Hände, keine Füße auf der Erde außer deinen. Es sind deine Augen, mit denen er sieht – er leidet mit dieser Welt. Es sind deine Füße, mit denen er geht, um Gutes zu tun. Es sind deine Hände, mit denen er die Welt segnet. Christus hat jetzt keinen Körper auf der Erde außer deinem.“
Ein wichtiger Aspekt muss noch ergänzt werden. Wir sind nicht jeder für sich allein der Körper von Jesus Christus, sondern wir sind es gemeinsam. Alles andere würde uns maßlos überfordern. Es gibt nur einen Körper Jesu Christi, einen über alle Zeiten und alle Kontinente hinweg, einen innerhalb aller christlicher Gruppierungen. Gott will durch seine Geistesgemeinschaft in dieser Welt wahrnehmbar und gegenwärtig sein.
Text: Hanspeter Obrist, November 2021
Epheserbrief
Drei Gründe, Gott zu loben, 1. Oktober 2021, Epheser 1,1-14
Jesus ist die Schlüsselperson, 8. Oktober 2021, Epheser 1,15-23
Vom Tod zum Leben, 15. Oktober 2021, Epheser 2,1-10
Ein neuer Tempel, 19. Oktober 2021, Epheser 2,11-22
Gottes Plan, 28. Oktober 2021, Epheser 3,1-21
Aufruf zur Einheit, 11. November 2021, Epheser 4,1-16
Erneuert euer Denken, 22. November 2021, Epheser 4,17-32
Lebt als Kinder des Lichts, 10. Januar 2022, Epheser 5,1-20
Verhalten in der Familie und im Beruf , 28. Januar 2022, Epheser 5,21-6,9
Gerüstet fürs Leben, 15. Februar 2022, Epheser 6,10-24
Aufruf zur Einheit
Epheser 4,1-16, Einheitsübersetzung 2016
1 Ich, der Gefangene im Herrn, ermahne euch, ein Leben zu führen, das des Rufes würdig ist, der an euch erging. 2 Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe 3 und bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch das Band des Friedens! 4 Ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung in eurer Berufung: 5 ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, 6 ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist.
7 Aber jeder von uns empfing die Gnade in dem Maß, wie Christus sie ihm geschenkt hat. 8 Deshalb heißt es (Psalm 68,19): Er stieg hinauf zur Höhe und erbeutete Gefangene, er gab den Menschen Geschenke. 9 Wenn es heißt: Er stieg aber hinauf, was bedeutet dies anderes, als dass er auch zur Erde herabstieg? 10 Derselbe, der herabstieg, ist auch hinaufgestiegen über alle Himmel, um das All zu erfüllen.
11 Und er setzte die einen als Apostel ein, andere als Propheten, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer, 12 um die Heiligen für die Erfüllung ihres Dienstes zuzurüsten, für den Aufbau des Leibes Christi, 13 bis wir alle zur Einheit im Glauben und der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen, zum vollkommenen Menschen, zur vollen Größe, die der Fülle Christi entspricht.
14 Wir sollen nicht mehr unmündige Kinder sein, ein Spiel der Wellen, geschaukelt und getrieben von jedem Widerstreit der Lehrmeinungen, im Würfelspiel der Menschen, in Verschlagenheit, die in die Irre führt. 15 Wir aber wollen, von der Liebe geleitet, die Wahrheit bezeugen und in allem auf ihn hin wachsen. Er, Christus, ist das Haupt. 16 Von ihm her wird der ganze Leib zusammengefügt und gefestigt durch jedes Gelenk. Jedes versorgt ihn mit der Kraft, die ihm zugemessen ist. So wächst der Leib und baut sich selbst in Liebe auf.